06.11.2001 11:57:00 MEZ
Kunsthistoriker Ernst Gombrich verstorben
Der Wiener schrieb Klassiker über die Kunstgeschichte

London - Der Entwicklung des medienorientierten Kunstbetriebs stand Ernst Gombrich skeptisch gegenüber. Der aus Wien gebürtige weltbekannte Kunsthistoriker, der am Samstag 92-jährig in London gestorben ist, war ein Anhänger des Begriffs der Kennerschaft und der Meisterschaft in der Kunst und ein Gegner von "zeitgeistigem Kunstgeschwätz". Aufklärung und Andacht waren für ihn keine Gegensätze. Und nicht das Neue um jeden Preis, sondern das Gefühl der Künstler "für ein Ziel, einen Zweck" war für ihn die Bedingung, "damit das Wunder der Kunst entstehen kann".

Ernst Hans Josef Gombrich wurde am 30. März 1909 in Wien in eine assimilierte jüdische Familie geboren, die unter anderem Kontakt zu Hugo von Hofmannsthal, Arnold Schönberg und Sigmund Freud pflegte. Gombrichs Vater war Anwalt, die Mutter Pianistin. Nach der Matura am Theresianum studierte er in Wien bei Julius von Schlosser und wurde 1933 zum Doktor der Philosophie promoviert. Nach seiner Emigration 1936 - sein Vater war in ein Lager gekommen, aber es gelang ihm, seine Eltern und Geschwister 1938 ins Exil zu retten - schloss sich der Wissenschafter dem Londoner Warburg-Institut an, das aus der nach England verlegten Bibliothek des Hamburger Kulturhistorikers Aby Warburg hervorging.

Während des Zweiten Weltkriegs war Gombrich für die BBC tätig. 1945 informierte er den britischen Premierminister Winston Churchill als erster über den Tod Hitlers, nachdem er die Meldung im deutschen Radio gehört hatte. Nach Kriegsende nahm Gombrich seine Arbeit am Warburg-Institut wieder auf und arbeitete sich vom Forschungsassistenten zum Direktor des Instituts hoch, dem er von 1959 bis 1976 vorstand. Während dieser Jahre hatte er auch eine Professur an der Universität von London inne. Zahlreiche Lehraufträge führten ihn u.a. nach Harvard, Cambridge, Paris und Florenz.

Pädagoge und Kunsthistoriker

Gombrich beschäftigte sich in seinen Arbeiten besonders mit der Renaissance, dem Mittelalter und ikonologischen Themen, schrieb aber auch über Karikatur und Cartoons. Seine Tetralogie zur Kunst der Renaissance "Norm und Form", "Das symbolische Bild", "Entdeckung des Sichtbaren" und "Neues über alte Meister" hat die Kunstgeschichtswissenschaft entscheidend geprägt.

Seinen Ruf als außergewöhnlicher Pädagoge und Kunsthistoriker begründeten zwei Geschichtswerke, die für Laien geschrieben wurden: die 1935 erstmals erschienene "Weltgeschichte für Kinder" und der millionenfach verkaufte populärwissenschaftliche Bestseller "Die Geschichte der Kunst". Insgesamt hat Gombrich mehr als 20 Bücher verfasst, zu seinen einflussreichsten zählt "Kunst und Illusion", in dem er Probleme des Bildermachens beschreibt. Weitere Publikationen sind unter anderem "Ornament und Kunst" sowie "Die Krise der Kulturgeschichte".

Ein System

Kunst war für Gombrich stets ein System von Bildern, Zeichen und Metaphern. Analog zur Sprache gestand er ihr Verständigungscharakter zu und reihte sie unter die von der Vernunft bestimmten Äußerungen des Menschen. In seine kunsthistorische Forschung schloss Gombrich auch psychoanalytische Ansätze ein. Er stand auch in engem Kontakt mit Sir Karl Popper. Aus Gesprächen mit dem französischen Kunsthistoriker Didier Eribon entstand der Band "Die Kunst, Bilder zum Sprechen zu bringen". Ein weiterer Forschungsschwerpunkt Gombrichs war der Begriff der Primitivität und seine Bedeutungsänderung seit der Antike.

Gombrich, der selbst auch Cello spielte, war seit 1936 mit der Pianistin Ilse Gombrich, einer Schülerin seiner Mutter, verheiratet. 1972 wurde der Wissenschafter von Königin Elizabeth II. in den Adelsstand erhoben. Er war außerdem Träger des britischen "Order of Merit" - der höchsten Auszeichnung, die eine Person des öffentlichen Lebens in Großbritannien erhalten kann -, des Österreichischen Staatspreises für Verdienste um die österreichische Kultur im Ausland (1993) und der Goethe-Medaille des Goethe-Instituts. Als Ehrenmitglied gehörte er der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der bildenden Künste Wien an. (APA/Reuters)


Quelle: © derStandard.at