Wie viel Picasso gibt es für einen Schilling? Einen zum Anschauen
Von Claudia Aigner Drinnen Picasso, draußen eine Meute "in den
Startlöchern" und Sicherheitsleute, die unentwegt auf die Uhr schauen. Bis
um 19.15 Uhr die Tür geöffnet wird und sich eine nicht enden wollende
"Völkerwanderung" hindurchquetscht. Die Szene hat etwas von einer Unmenge
Fleisch, das sich auf den Fleischwolf zubewegt. Picasso zieht also immer
noch.
Hätte man sich damals beim Sturm auf die Bastille geduldig
draußen angestellt, bis einem jemand aus Höflichkeit aufmacht, hätte es
womöglich ähnlich ausgesehen wie letzten Mittwoch vor den Pforten des
Kunstforums der Bank Austria. Genug Leute dürften ja da gewesen sein, die
sich lieber schon einen guten Stehplatz vor dem Eingang gesichert haben,
während drüben im komplett verstopften Festsaal des Palais Ferstel gerade
erst die Eröffnungsreden zur Picasso-Ausstellung gehalten wurden. "Es
sind - ja, äh, ja . . ." Wie viele werden sich da wohl die Füße in den
Bauch gestanden haben? "Ich bin Schätzmeister. Es sind - ja, äh, ja. . ."
Der Security-Mann war rechnerisch sichtlich überfordert. (Aus dem
Kunstforum sollte später verlauten: "2000 bis 2500.") Als Journalistin
stellt man sich ein paar Minuten in den Megastau hinein, um die
dichtgedrängte Picasso-Manie authentisch mitzuerleben, und geht dann um
die Absperrungen herum, um unverzüglich hineingelassen zu werden. Und um
drinnen nach jenem Mann Ausschau zu halten, dem der ganze Trubel
letztendlich zu verdanken ist, schließlich sind es die Bilder seiner
Sammlung, die an den Wänden hängen: Bernard Picasso, Pablos Enkel, der
folglich noch ein paar Erbanlagen des angeblich größten Meisters des 20.
Jahrhunderts mit sich herumträgt. Auch wenn es in der Natur der Sache
liegt, dass sein Picasso-Erbgut "gepantscht" ist: zuerst mit den Genen der
Primaballerina Olga Khokhlova, seiner Großmutter (der ersten geehelichten
Tisch- und Bettgenossin Pablo Picassos). Und dann mit den Genen seiner
Mutter Christine Ruiz Picasso, der Gattin von Picassos ältestem Sohn
Paulo. Nach Picassos Tod 1973 und Paulos Tod 1975 fiel rund ein
Fünftel des unmittelbaren Picasso-Nachlasses (also der Kunstwerke, die der
Maestro an seinen beiden südfranzösischen Wohnsitzen bis zuletzt um sich
gehabt hatte) an den Picasso-Enkel Bernard, der damals 13 Jahre alt war
und der sich nun hauptberuflich um das "Unternehmen Picasso" kümmert.
Seine Firma "Images Modernes" ist mit der Verwaltung der wertvollen
Sammlung beschäftigt, von der zwar immer wieder Leihgaben an die
Öffentlichkeit durchgesickert sind, die in einem Ausmaß wie derzeit im
Kunstforum (noch bis zum 7. Jänner 2001) aber bisher noch nie gezeigt
wurde. Also eine Premiere. Und eine erfolgreiche noch dazu, gemessen an
den sich abzeichnenden Besucherzahlen (allein am ersten Tag sollen 1800
Menschen über die Schwelle des Kunstforums getreten sein). Am
Vernissageabend war jedenfalls ein Griss um den Enkel, der als eine Art
Stellvertreter-Picasso zu fungieren schien (wenngleich es nicht so weit
ging, dass ihm pausenlos irgendein Picasso-Enthusiast die Hand
entgegengestreckt und dann gequietscht hätte: "Ich habe ein paar
Picasso-Gene geschüttelt!"). Der Picasso-Blutsverwandte konnte Hand in
Hand mit seiner Lebensabschnittspartnerin Almine Rech keine zehn von den
250 Laufmetern Hängefläche abschreiten, ohne dass ihn ein Reporter über
seinen Großvater ausgefratschelt oder ein Pressefotograf ihn gebeten
hätte, sich fotogen vor einem Picasso zu postieren. Die Versicherungssumme
der Bilder, die alle innerhalb von zwei Tagen mit drei Lkws aus Paris
überstellt wurden, will man wissen. Die Antwort des Enkels: "-." (Obwohl
er sich natürlich mit gewählteren Worten ausgeschwiegen hat.) Aus dem
Pressebüro hört man auch nur: "Unschätzbar eben."
"Bilder einer
Ausstellung"
Und was meint die Kuratorin Evelyn Benesch dazu?
Das herauszufinden war mir nicht vergönnt. Denn telefonisch mit ihr
Kontakt aufzunehmen ist dieser Tage ein regelrechter
Odysseus-Sisyphos-Biathlon. A (das Pressebüro) verweist einen an C (die
Kuratorin) weiter ("Da sprechen Sie am besten gleich mit C"), dort ist
aber immer besetzt. Den Rest des Nachmittags hebt immer nur B ab (so etwas
wie die Vermittlung), B versucht mit C zu verbinden und scheitert
naturgemäß. Der Soundtrack der Warteschleife: Mussorgskys "Bilder einer
Ausstellung". Und ist man endlich nach einer ausgiebigen Odyssee durchs
hausinterne Telefonnetz am Ziel (hat also seinen Stein glücklich auf den
Gipfel gerollt), schupst C den Brocken kurzerhand wieder zu B zurück
("Wieso werden Sie zu mir durchgestellt? Ich habe eine Besprechung") und
lässt eineinhalb Stunden später ausrichten, dass sie frühestens in einer
Woche zu sprechen ist. Dann möchte man es wenigstens mit A versuchen (ein
Pressesprecher in der Hand ist besser als eine Kuratorin auf dem Dach),
der ist aber mittlerweile heimgegangen. Wen wundert's, wenn man am Ende so
demoralisiert ist, dass man sogar eine Putzfrau interviewen würde, wie sie
den Picasso denn erlebt habe (als sie die 1300 m2 Ausstellungsfläche
aufgewischt hat). Und dass man jetzt über eine Konditionierung wie der
Pawlowsche Hund verfügt: Sobald Mussorgskys "Bilder einer Ausstellung"
erklingen, lässt man schlagartig alle Hoffnung fahren.
Lieber
Picasso als Papst
Tags darauf hat man immerhin A (den
Presseinformanten Wolfgang Lamprecht) erwischt. Was war eigentlich die
bislang erfolgreichste Ausstellung im Kunstforum? "Ganz sicher der
Cézanne." (Davon ließen sich nämlich knapp 300.000 Leute anlocken.) Und
mit wie vielen Ausstellungsbesuchern rechnet man nun bei Picasso? "Mit
200.000." Wieso denn mit weniger als bei Cézanne? "Na ja, das is
eigentlich so a Gfühl." Und Prognosen im Zusammenhang mit Picasso können
ja durchaus eine Trefferquote wie eine Wettervorhersage haben. So hatte
etwa Picassos Mutter ihrem damals knapp 25-jährigen Sohn geweissagt: "Wenn
du Soldat wirst, wirst du General. Wenn du Mönch wirst, wirst du Papst."
Und irgendwie hatte sie ja recht damit. Denn nachdem ihr Sprössling sich
für den Beruf eines freischaffenden Künstlers entschieden hatte, wurde er
Picasso (und folglich ein Jahrhundertereignis). Und es stimmt schon: Wenn
man es darauf anlegt, kann man ja tatsächlich fast überall einen Picasso
sehen. Da ist man vielleicht schon abgestumpft (und es kommen wirklich
"nur" 200.000). 694,2 m2 Picasso zeigt man. Hat das jemand penibel
zusammengezählt? Lamprecht: "Na sicher." Aber mit dem Taschenrechner. -
"Ja ja." Picasso ist eine dermaßen multiple Künstlerpersönlichkeit,
dass sich die Frage aufdrängt: Wie viele Picassos gibt es eigentlich? Den
Picasso der "Blauen Periode", den der "Rosa Periode", den kubistischen
Picasso, den klassizistischen und dann kommt mindestens noch der Picasso,
den jeder auf Anhieb als Picasso erkennen würde, wo sich Picasso also am
ähnlichsten sieht. Praktisch alle davon sind in der Ausstellung vertreten.
Schwerpunktmäßig aber das unglaublich frische Spätwerk. Möglicherweise
nimmt man Picasso ja mittlerweile als "das Genie" einfach so hin und sieht
schon längst das Bild vor lauter Picasso nicht mehr. So manches vom späten
Picasso kommt mir denn doch sehr hingeschludert vor. Aber ich wage nicht
zu entscheiden, ob das einfach nur Vitalität ist oder eine Schmiererei.
Picasso - ein Temposünder? Wem da und dort auf der Zunge liegt: "Das kann
mein vierjähriges Enkerl auch", der sei ans Ei des Kolumbus erinnert. Im
nachhinein kann' s ein jeder. Wie wenig das Nachmachen auch bringen mag.
(Es gibt ja schließlich Eierbecher.)
Erschienen am: 12.09.2000 |
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