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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
30. November 2006
19:43 MEZ
"Emerging Artists 06 - Schweiz"
sammlung-essl.at
Bis 25. 2. 2007 
Foto: Irina Polin
Aufs Törtchen reduziert: Irina Polins hand- und kopflose Barbie hat sich zu nah ans Messer gewagt. "Situation Nr.3" aus der Serie "Situations", die Männerphantasien und erotische Klischees ironisiert.

Herzhaftes Lachen im Gemüse
Schlaglichter auf junge Schweizer Kunst in der Sammlung Essl: Erstaunlich Humorvolles rund um essbare Werkstoffe – von Barbie-Toast bis Gurken aus dem Glas

Klosterneuburg – "War es nicht ein 'Fehler', den das Törtchen machte, als es sich dem Messer näherte": Ein Gummi-Spargel mit gepunktetem Lendenschurz vergeht sich an einer im Baiser des Sahnetörtchens versinkenden Barbie. Danach rückt das Gemüse der wehrlos ausgelieferten Polyester-Schönheit unter den Stielaugen einer Gurke sogar mit dem Messer zu Leibe. Regisseurin dieser aus alltäglichen Gegenständen – von Puppenhäusern über Mode-accessoires bis zu Lebensmitteln – gebauten, provokant-bizarren Szenerien ist die in Moskau geborene Fotografin Irina Polin. Der "sinnlich-erotischen" Wirkung der Geschichten kann sich der Betrachter nicht entziehen, meint die heute in Bern lebende Künstlerin. Entziehen kann man sich aber auch dem Witz dieser bitterbösen Inszenierungen erotischer Klischees und fetischisierter Sexualität nicht.

Aus 500 Einreichungen und 40 Atelierbesuchen haben die Kuratoren von emerging artists 06: Schweiz – Daniela Balogh und Andreas Hoffer – achtzehn Künstler für ihren "sicher nie objektiven" Blick auf das aktuelle Kunstgeschehen im Land der Eidgenossen ausgewählt. Der Ansatz dieses Spotlightings auf die junge Schweizer Szene steht der Ausstellung, die sich unbeengt ausbreitet und – taktisch klug – das kleinteilige, anstrengendere an den Beginn, visuelle Hingucker ans Ende der Schau reiht, gut.

Regelrecht hypnotisch ist die Spezies der gewöhnlichen Gartengurken – schon wieder das grüne Gemüse! – bei Christian Gonzenbacher. Dieser hat in Stop-Motion-Technik eine Art "Universum"-Dokumentation zur Frage "Leben Gürkchen in Städten?" gebastelt, die in manchen Passagen eher den Titel "Invasion der Tiefseegurken" verdienen würde.

Zärtlicher Nager

Wie ein monumentales Gemälde erscheinen Gonzenbachers Video-Stillleben mit Hase und Ente: Bei längerer Beobachtung der "Nature Morte" sind Nager und Schnabeltier einander aber in lebendiger Zärtlichkeit zugetan. Hinter diesem Schabernack verbergen sich recht grundlegende Fragen: Wie jene nach dem Moment, der Tiere zu Objekten – zu Nahrungsmitteln – macht, der Sekunde zwischen Leben und Tod.

Ebenso aufs Gemüse gekommen ist Sonja Feldmeier, die die verdaulich gemachten Diktatoren Stalin, Saddam Hussein und Hitler süßen Wildschweinen oder hungrigen Hunden vorstellt. Auch Lukas Beyeler ist einer der Künstler, der durch den Humor seiner Identität und Starkult thematisierenden Arbeiten aus der Ausstellung herausleuchtet. Eine japanische Heidi im Bleistiftrock führt im Video in Computergame-Ästhetik Heidi Oh- virtuell durch ihre Wahlheimat: Von den Berner Alpen bis zum Genfer See geht die Reise und in Luzern heißt es: "Es ist sehr romantisch und schön hier, auch when you get pissed off." Tröstlich der Schluck aus der Edelweiß-Schnapsflasche.

Der Ehrfurcht gegenüber den Altmeistern der Konzeptkunst begegnet Stefan Burger mit einem Augenzwinkern: "Geschwollenes Konzeptkunst-Stück (das sich einmal hinlegen muss)", übersetzt sich der zweideutige Titel einer Arbeit, die nicht zufällig an On Kawara erinnert. Niedergelegt hat sich auch der Wellensittich von Barbarella Maier. Seine auf sechs Meter Länge aufgeblasene Fotokopie ist mit Watte ausgestopft und gehört zwar physisch zu den leichteren Arbeiten der Ausstellung, inhaltlich aber zur Hälfte mit der schwerer verdaubaren Kost. Schweizer Appetithäppchen gibt es aber auch da. (Anne Katrin Feßler/ DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.12.2006)


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