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Notiz zu Bildern von Conny Kunert und möglichen Geschichten/ Von Birgit Schwaner
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Bleibendes Geheimnis

300 Jahre Wiener Zeitung!Alles. Im großen Format. Zu sehen: sitzend, links, die erste Person - schräg hinter und neben ihr - sehr nah und sie berührend - die zweite, stehend. Die sitzende Person blickt nach oben, hat den Mund leicht geöffnet, als sage sie etwas. Vertrauensvoll einem Gesicht entgegen, das wir nicht mehr sehen. Die Oberkörper beider sind nackt.
Wie um die Intimität der Szene zu schützen, hält die stehende Person ihren linken Arm vor die sitzende. Eine kleine Schranke vor Betrachterblicken, im Vordergrund, zufällig vielleicht, ja, genau besehen: nur der Ausschnitt eines Unterarms. Denn diese Szene ist ein Fragment. Und sie konzentriert wie jedes Fragment den Blick aufs gezeigte Detail: auf Hals und Gesicht des einen, auf die Brust des anderen Menschen. Der Aufschauende: Schlüsselbein, Adamsapfel, Schatten am Halsansatz und unterm Kinn, dunkle Augen und Augenbrauen, längeres dunkles Haar, ein kindlicher, fragender Blick.

Der Sich-Niederbeugende: der Bund einer dunklen Hose und eine Brust, die weder männlich noch weiblich ist.
Wie ist diese Szene zu deuten? In nächster Nähe verschwimmen die Grenzen zwischen Freude und Trauer . . . Was geht zwischen den beiden vor? Erste Begegnung, Abschied, Liebe, Begehren? Jede Frage zieht weitere nach sich, die voyeuristische Faszination wächst - der Betrachter kann sich leicht in dieses Bild hineinsehen, das wie der Ausschnitt einer Geschichte ist.

Der Sich-Niederbeugende: der Bund einer dunklen Hose und eine Brust, die weder männlich noch weiblich ist.
Wie ist diese Szene zu deuten? In nächster Nähe verschwimmen die Grenzen zwischen Freude und Trauer . . . Was geht zwischen den beiden vor? Erste Begegnung, Abschied, Liebe, Begehren? Jede Frage zieht weitere nach sich, die voyeuristische Faszination wächst - der Betrachter kann sich leicht in dieses Bild hineinsehen, das wie der Ausschnitt einer Geschichte ist. Und doch zugleich abgerückt, ein Stückweit verblasst, wie etwas Vergehendes, da nicht bzw. kaum farbig (in Assoziation zu älteren Schwarzweiß-Fotografien). Oder wie ein besonders intensiv erfahrener Augenblick: Im Moment höchster Intensität des Glücks oder des Schmerzes, der Wirklichkeit sieht zumindest der moderne Mensch sich oft wie von außen, fremd.
Hierzu passt, dass die Szene noch nicht das ganze Bild ist, sondern nur dessen linker Teil (den wir zuerst "lesen" würden.) Den anderen, rechten, hat die transsexuelle Malerin Conny Kunert (1957 in Wien geboren) monochrom rot gemalt. In der Mitte der Farbe ein Wort, in Schreibmaschinentypen: "alles". Die rote, ins Auge springende Fläche, das kleine Wort: vielleicht ebenso Zeichen der Leidenschaft, abgetrennt. Als ließe sich die Welt nur zweifach, ja dreifach verschieden zeigen und deuten. Als müsse man auf verschiedene Weise, aus unterschiedlichen Blickwinkeln, auf drei Weisen wahrnehmen: gegenständliche Darstellung, abstrakte (aber: emotional rezipierte) Farbe und Sprache. Zudem - als bliebe immer ein Rest, der alles bestimmt - lässt sich das verschieden Wahrgenommene nicht widerspruchslos zusammensetzen. Das Ganze als Bild bleibt offen, mehrdeutig, nie gänzlich deutbar, paradox . . .
Die Kombination von gegenständlicher Malerei mit abstrakten Elementen und Sprache ist typisch für die Arbeit von Conny Kunert.

Als Vorgabe dienen der Künstlerin Fotografien, ebenso wie gefundene Wörter, Satzfragmente. Letztere stammen manchmal aus eigenen Gedichten - wie die zwei Zeilen: "solange es geht / solange ich kann." Die, ebenfalls in Form von Schreibmaschinentypen, auf einer Arbeit zu lesen sind, welche mit "alles" ein Diptychon bilden könnte.

Als Vorgabe dienen der Künstlerin Fotografien, ebenso wie gefundene Wörter, Satzfragmente. Letztere stammen manchmal aus eigenen Gedichten - wie die zwei Zeilen: "solange es geht / solange ich kann." Die, ebenfalls in Form von Schreibmaschinentypen, auf einer Arbeit zu lesen sind, welche mit "alles" ein Diptychon bilden könnte. Nur, dass hier außer dem "gegenständlichen" rechten Teil, der die Köpfe zweier eng nebeneinander liegender Menschen zeigt, auch auf der roten Seite des Bildes zusätzlich Figuren zu sehen sind, skizzenhaft: zwei laufende Kinder, Mädchen wahrscheinlich - das erste Kind lachend und ausgelassen. Vom zweiten, im Hintergrund, sieht man den Kopf nicht, nur Zöpfe . . . Auch dieses Bild bleibt geheimnisvoll. Nicht nur, was die Geschlechter der gezeigten Personen betrifft. Die Frage, in welcher Beziehung sie - und damit rechte und linke Seite - der Arbeit zueinander stehen . . . und beide zu dem Text (der auf Ende, Vergänglichkeit weist, zwischen Resignation und Hingabe - dies aber nur eine Lesart), kann bald zur Frage nach grundlegenden Werten unseres Daseins werden: Was ist Identität? Liebe? Freundschaft? Sexualität? Wie weit bestimmen gesellschaftliche Zwänge unser Leben, wie weit begrenzen (oder steigern) sie unsere Sehnsucht, behindern unser Glück?
"Mich interessieren vor allem Menschen" sagt Conny Kunert, die ihr erstes Atelier mit 17 Jahren hatte und, wie sie in einer Kurzbiografie schreibt, "nach zehn jahren komposition und abstraktion" seit 1996 "die rätselhaftigkeit der person" thematisiert. Man muss hinzufügen: auf einzigartige, charakteristische Weise. Betrachter können hier eine Art "Befreiung zum Geheimnis" erfahren - mitten in der entzauberten, bildüberladenen Gegenwart. Vielleicht gerade, weil die Künstlerin von populär-ästhetischen Fotografien, oft massenmedial geprägten Klischees ausgeht, die sie durch Übersetzung in die aufwendige, Kunst, Kanon und Dauer implizierende Technik Malerei verfremdet und weiters durch Fragmentieren, Übereinanderlegen und Kombination verschiedener "Bildausschnitte", abstrakter Flächen und Wörter so verfremdet, dass die gängigen Kategorien im Widerspruch aufgehoben werden. In einer weiteren Arbeit aus dem umfangreichen und vielfältigen Werk von Conny R. Kunert etwa sehen wir eine zerstreute Gruppe Menschen, nach oben schauend, vorm hellblauen Himmel, wo sich, oben, im Vordergrund (wie ein Vorhang?) überraschend zwei Tigerköpfe zeigen - plötzliche Epiphanie. So "abgeschnitten", dass das linke Tier mit beiden, das rechte mit einem Auge jeden anblickt, der sie betrachtet (Blicke sind Anziehung und Abstoßung in einem . . .). "Hörst du das Klatschen einer Hand?" lautet ein berühmtes Koan im Zen-Buddhismus. Die intensive Vorstellung einer paradoxen Situation sollte das logische Denken außer Kraft setzen und die Wahrnehmung befreien, für die Erkenntnis einer Wirklichkeit abseits der Kategorien. Siehst du die Tigerköpfe am Himmel? Das Mädchen im Mann, den Jungen in der Frau? Die Welt durchs Bild?
Mehr über Conny Kunert:
www.r.kunert.net


Erschienen am: 10.10.2003

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