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ielleicht hat das Blumenstilleben ja farblich zum Teppich
gepasst, viel leicht wollte der Transportunter nehmer Karl Im Obersteg nur
spendabel sein - vielleicht aber auch stimmte ihn das üppig-expressive
"Nelkenbukett" einfach fröhlich. Jedenfalls kaufte es der Basler im Jahr
1916 dem Schweizer Maler Cuno Amiet ab. Ein prächtig unspektakulärer
Beginn für eine der bedeutendsten Sammlungen Klassischer Moderne, die sich
heute noch in privater Hand befindet. Typisch unspektakulär für Schweizer
Verhältnisse, wo Bescheidenheit für die Reichsten eine
überlebensnotwendige Tugend ist. Wie hätte man sonst wie die Familie Im
Obersteg unbeschwert wohnen können, mitten in Basel, zwischen
Museumsstücken von Chagall, Jawlensky, Rodin oder Picasso?
Über 400 Werke füllten über die Jahrzehnte die Wände des
schlichten Privathauses. Nach Karls Tod 1969 führte sein Sohn Jürg die
Sammlung weiter. Gelegentlich bat man Freunde zu Besuch, öffnete auch
schon einmal Unbekannten die Tür. Ein Zustand, den sich Jürgs Witwe, Doris
Im Obersteg, nicht mehr zumuten wollte. Sie stiftete ihr Lebensumfeld dem
Basler Kunstmuseum. Ab Dezember werden die Spitzenstücke in das Museum
integriert.
Ein Zustand der Unruhe für die so behütete Sammlung, von
dem jetzt just Wien profitiert. Das erste und vermutlich auch letzte Mal
wird der Bestand im Ausland gezeigt, im BA-CA Kunstforum. Ein teils tief
beeindruckendes und auch wieder sympathisch ernüchterndes Erlebnis. Neben
absoluten Museumsstücken ist der zahlenmäßig größte Teil der über 80
Exponate stark geprägt vom subjektiven Verlangen der Sammler, die sich
allein durch ihren Geschmack leiten ließen. So findet sich etwa kein Ernst
Ludwig Kirchner. Im Obersteg konnte trotz mehrerer Besuche einfach keinen
Gefallen an dessen Violetttönen finden.
Die kompliziertesten Anstrengungen aber unternahm er, um
die drei Porträts alter Juden von Marc Chagall in seinem Haus vereinen zu
können, die jetzt in ihrer düsteren Märchenhaftigkeit den Hauptsaal des
Kunstforums dominieren. Ein Raum, der viel erzählt von Karl Im Oberstegs
Temperament. Er scheint magisch angezogen gewesen zu sein von
Randgestalten, von Melancholie. Chaim Soutines "Kind mit dem Spielzeug":
ängstlich umfängt der Knabe eine Puppe. Mitten im Raum: Picassos
"Absinth-Trinkerin", das Übergangswerk zur "Blauen Periode", 1901. Sie
zeigt im doppelten Sinn den tristen Teil der Pariser Gesellschaft. Auf der
Rückseite hatte sich Picasso noch im Toulouse-Lautrec-Stil an einer
verschnörkselten Dame in einer Loge vergnügt.
Dem Herzstück der Sammlung ist ein eigener Raum gewidmet:
Bei einem Kuraufenthalt in Ascona lernte der Basler Unternehmer-Sohn 1919
Alexej Jawlensky kennen. Er erweckte Im Oberstegs Leidenschaft für die
Kunst. Aus der Freundschaft resultierte eine durchgängige
Jawlensky-Sammlung, von einem Frühwerk aus 1890 bis zu den abstrakten
Meditationen aus 1935.
In einer Vitrine dann eine Postkarte, Briefe Jawlenskys
an Carl Im Obersteg. Es ist die unverhohlene Intimität dieser Ausstellung,
der Sammlung, die derart anzieht. Und ganz unauffällig, im schattigen Eck:
Das "Nelkenbukett" von 1916, die Keimzelle einer bedingungslosen, am
qualitativen Ende so gar nicht bescheidenen Leidenschaft. Bis 30. 11.
Täglich 10-19h, Fr. 10-21h.
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