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04.09.2003 - Ausstellung
Kunstforum: Bedingungslos unbescheiden
Jawlensky, Chagall und Picasso: Das BA-CA Kunstforum ermöglicht in Wien einen einmaligen Blick in eine Schweizer Privatsammlung.
VON ALMUTH SPIEGLER


V
ielleicht hat das Blumenstilleben ja farblich zum Teppich gepasst, viel leicht wollte der Transportunter nehmer Karl Im Obersteg nur spendabel sein - vielleicht aber auch stimmte ihn das üppig-expressive "Nelkenbukett" einfach fröhlich. Jedenfalls kaufte es der Basler im Jahr 1916 dem Schweizer Maler Cuno Amiet ab. Ein prächtig unspektakulärer Beginn für eine der bedeutendsten Sammlungen Klassischer Moderne, die sich heute noch in privater Hand befindet. Typisch unspektakulär für Schweizer Verhältnisse, wo Bescheidenheit für die Reichsten eine überlebensnotwendige Tugend ist. Wie hätte man sonst wie die Familie Im Obersteg unbeschwert wohnen können, mitten in Basel, zwischen Museumsstücken von Chagall, Jawlensky, Rodin oder Picasso?

Über 400 Werke füllten über die Jahrzehnte die Wände des schlichten Privathauses. Nach Karls Tod 1969 führte sein Sohn Jürg die Sammlung weiter. Gelegentlich bat man Freunde zu Besuch, öffnete auch schon einmal Unbekannten die Tür. Ein Zustand, den sich Jürgs Witwe, Doris Im Obersteg, nicht mehr zumuten wollte. Sie stiftete ihr Lebensumfeld dem Basler Kunstmuseum. Ab Dezember werden die Spitzenstücke in das Museum integriert.

Ein Zustand der Unruhe für die so behütete Sammlung, von dem jetzt just Wien profitiert. Das erste und vermutlich auch letzte Mal wird der Bestand im Ausland gezeigt, im BA-CA Kunstforum. Ein teils tief beeindruckendes und auch wieder sympathisch ernüchterndes Erlebnis. Neben absoluten Museumsstücken ist der zahlenmäßig größte Teil der über 80 Exponate stark geprägt vom subjektiven Verlangen der Sammler, die sich allein durch ihren Geschmack leiten ließen. So findet sich etwa kein Ernst Ludwig Kirchner. Im Obersteg konnte trotz mehrerer Besuche einfach keinen Gefallen an dessen Violetttönen finden.

Die kompliziertesten Anstrengungen aber unternahm er, um die drei Porträts alter Juden von Marc Chagall in seinem Haus vereinen zu können, die jetzt in ihrer düsteren Märchenhaftigkeit den Hauptsaal des Kunstforums dominieren. Ein Raum, der viel erzählt von Karl Im Oberstegs Temperament. Er scheint magisch angezogen gewesen zu sein von Randgestalten, von Melancholie. Chaim Soutines "Kind mit dem Spielzeug": ängstlich umfängt der Knabe eine Puppe. Mitten im Raum: Picassos "Absinth-Trinkerin", das Übergangswerk zur "Blauen Periode", 1901. Sie zeigt im doppelten Sinn den tristen Teil der Pariser Gesellschaft. Auf der Rückseite hatte sich Picasso noch im Toulouse-Lautrec-Stil an einer verschnörkselten Dame in einer Loge vergnügt.

Dem Herzstück der Sammlung ist ein eigener Raum gewidmet: Bei einem Kuraufenthalt in Ascona lernte der Basler Unternehmer-Sohn 1919 Alexej Jawlensky kennen. Er erweckte Im Oberstegs Leidenschaft für die Kunst. Aus der Freundschaft resultierte eine durchgängige Jawlensky-Sammlung, von einem Frühwerk aus 1890 bis zu den abstrakten Meditationen aus 1935.

In einer Vitrine dann eine Postkarte, Briefe Jawlenskys an Carl Im Obersteg. Es ist die unverhohlene Intimität dieser Ausstellung, der Sammlung, die derart anzieht. Und ganz unauffällig, im schattigen Eck: Das "Nelkenbukett" von 1916, die Keimzelle einer bedingungslosen, am qualitativen Ende so gar nicht bescheidenen Leidenschaft. Bis 30. 11. Täglich 10-19h, Fr. 10-21h.



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