In der Kulturhauptstadt Istanbul sorgt eine
bespielbare Klangskulptur für Aufsehen
(Klang-)Brücken aus Wien
|
Die Skulptur "The Morning Line" von Matthew Ritchies (Künstler) und
Aranda\Lasch and Arup AGU (Architekten) am Eminönü-Platz an der
Galata-Brücke in Istanbul. Foto: Murat Durusoy/TBA21, 2010
|
Von Jörn Florian
Fuchs
![Aufzählung Aufzählung](00089283-Dateien/wzfeld.gif)
Francesca von
Habsburg zeigt "The Morning Line"-Skulptur.
![Aufzählung Aufzählung](00089283-Dateien/wzfeld.gif)
Freiluftmusiksaal am Eminönü-Platz in Istanbul.
Istanbul.Einst
standen die Türken vor Wien, jetzt kommt Wien nach Istanbul. Allerdings
in durchaus friedlicher Mission, nämlich in Form der Stiftung
Thyssen-Bornemisza Art Contemporary (TBA21), die Francesca von Habsburg
leitet. TBA21 residiert in der Himmelpfortgasse im noblen ersten Wiener
Gemeindebezirk Innere Stadt und auch das Portfolio der Stiftung ist
nicht nur genremäßig edel bestückt, die aktuellen Projekte reichen von
Wien-Ottakring über Kroatien bis nach Istanbul.
Nicht nur das Ruhrgebiet, auch Istanbul ist ja derzeit Europäische
Kulturhauptstadt und die herausgeputzte Metropole am Bosporus hat seit
dem Wochenende eine ganz besondere Attraktion: Am sehr belebten und
überaus beliebten Eminönü-Platz – in der Nähe sind der Gewürzmarkt und
Istanbuls riesiger Bazar – sorgt ein begehbarer Freiluft-Musiksaal für
Aufsehen. Es handelt sich um eine 17 Tonnen schwere, schwarze
Aluminium-Skulptur, acht Meter hoch und zwanzig Meter breit. "The
Morning Line" wirkt wie ein futuristisches Lebewesen, das gigantische
Gliedmaße besitzt.
Raumklangeffekte mit rund 50 Lautsprechern
Auf der einen Seite schraubt sich eine Art Arm empor, auf der anderen
Seite kann man mit etwas Fantasie ein paar Finger erkennen. Im Inneren
gibt es Videobilder auf zwei Leinwänden. Und es sind rund 50
Lautsprecher in die diversen "Körperteile" integriert, sie ermöglichen
eine Vielzahl von Raumklangeffekten.
Besonders bemerkenswert ist die Struktur dieser von Matthew Ritchie,
dem Architektenduo Aranda\Lasch und weiteren Kooperationspartnern
entwickelten Skulptur: Sie erinnert ebenso an osmanische Formen wie an
Kristalle oder Sternbilder.
Bespielt wird der eigenwillige Musikpavillon mit rund einem Dutzend
Auftragswerken, wobei die Komponisten aufgrund ihrer Herkunft genau jene
Brücke zwischen Ost und West schlagen, für die auch Istanbul steht und
ganz besonders der Eminönü-Platz an der Galata-Brücke, die über das
Goldene Horn führt und deren moderne Variante übrigens von der Firma
Thyssen mitgestaltet wurde.
Die Komponisten bilden einen west-östlichen Künstlerdiwan, wobei die
türkischen Tonsetzer insgesamt die interessanteren Stücke kreierten. Der
aus Ankara stammende Mehmet Can Özer zum Beispiel ließ sich in
Katpatuka von der Landschaft und den Stimmungen Kappadokiens
inspirieren, er zeichnete eine Vielzahl von realen Klängen auf und
transformierte sie mit einer eigens programmierten Software zu einem
eindrucksvollen Hörparcours. Der knapp 30-jährige Özer ist dabei
strukturell, konzeptionell und was das sinnliche Erlebnis betrifft
weiter als manche Akustiktüftler in unseren Breiten.
Bis in den September hinein beschallen nun allabendlich feinsinnige
Klanginstallationen, wuchtige Elektronik-Bomben und Projekte mit
interaktiven Elementen das nicht immer freiwillige Publikum. Es war bei
der an drei Tagen stattfindenden Erstaufführung aller Werke bisweilen
arg skurril, wenn sich zu wummernden Klangballungen Dönerverkäufer,
Souvenirhändler oder Gestalten von fragwürdigem Charakter mit Freaks der
Neue-Musik-Szene mischten.
So geschehen bei Cevdet Erek, der mit seiner vielschichtigen Collage
"neither the time nor the place for dancing" zwei offenkundige
Obdachlose zu kreativem Ausdruckstanz verleitete. Allmählich wurde das
Treiben dann noch etwas wilder und bunter, mit weiteren illustren
Figuren.
Gestört hat sich daran niemand, und genau das ist ein veritabler
kultureller Unterschied. Man stelle sich so etwas nur einmal auf dem
Wiener Stephansplatz vor, wie schnell da die uniformierten Freunde und
Helfer bei der Sache beziehungsweise in diesem Fall bei den Tänzern
wären.
Printausgabe vom Freitag, 28. Mai 2010
Online
seit: Donnerstag, 27. Mai 2010 19:30:24
Kommentar senden:
* Kommentare werden nicht automatisch
veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Regeln.
Die Redaktion behält sich vor Kommentare
abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als
Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die
Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese
Adresse wird online nicht veröffentlicht.