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Zilvinas Kempinas: 27 Kilometer Band, 10.000 Nägel

05.12.2008 | 18:44 | NICOLE SCHEYERER (Die Presse)

Ausstellung. Zilvinas Kempinas, Litauer in New York, zieht in der Kunsthalle Wien seine Kreise aus schwarzen Videobändern: ein tanzendes, fesselndes Liniengewitter.

Da muss doch ein Trick dabei sein! Das ist der erste Gedanke bei der Begegnung mit der Kunst von Zilvinas Kempinas. Diese Vermutung ist jedoch widersinnig, legt der Künstler seine Verfahren doch vollkommen offen. So schweben zu Beginn seiner Personale in der Kunsthalle Wien Kreise aus Videoband in der Luft, die von Ventilatoren zum flatternden Fliegen gebracht werden. Die faszinierenden Installationen „O2“ und „Double O“ erklären sich von selbst – und scheinen doch ein Geheimnis zu bergen.

„Ich mag es, wenn eine Illusion erzeugt und zugleich zerstört wird“, erklärt Kempinas seine Strategie, die er etwa mit Starkünstler Olafur Eliasson gemeinsam hat. Er verwendet ausschließlich schwarze Videobänder: ein fast obsoletes Material, aber elastisch, glänzend und zur Levitation bestens geeignet. Da das Medium VHS in den letzten Zügen liegt, ist es billig und in Massen vorhanden. Zudem schwingt die Funktion als Datenspeicher mit, die die Magnetbänder mit Zeitlichkeit und Erinnerung verknüpfen. Auf diese Facette geht Kempinas aber nicht weiter ein. Seine kinetischen Skulpturen präsentieren sich als Raumzeichnungen, die schöne Schatteneffekte erzeugen. Nicht umsonst werden diese Arbeiten oft mit der Op-Art („Optical Art“) in Beziehung gebracht, die auf der Leinwand mit geometrischen Formmustern visuellen Schwindel erzeugte. Kempinas ist aber weniger auf optische Effekthascherei wie Nachbilder oder Flimmern aus als auf ein Spiel mit Zwei- und Dreidimensionalität.

 

„Parallels“ über den Köpfen

„White Noise“ nennt sich eine Installation, die unzählige Bänder in der Horizontalen vor weißes Licht spannt. Durch Ventilatorenwind bewegen sich die schwarzen Linien nervös. Im Sinn des – von Kempinas geschätzten – Malers Lucio Fontana könnte sein „Weißes Rauschen“ als in schmale Streifen zerschnittene schwarze Leinwand betrachtet werden. Dieses Liniengewitter erzeugt einen Sog, der einen gefangen nimmt. Im größten Raum der Ausstellung hat Kempinas aus Videobändern eine Zwischendecke eingezogen, die ein feines Liniengeflecht als Schatten wirft. Leicht wäre die „Parallels“ betitelte Deckeninstallation zu zerstören, denn sie hängt in Reichweite über den Köpfen der Besucher, die sich in ihrer glänzenden Oberfläche spiegeln. 27 Kilometer Band und 10.000 Nägel hat Kempinas dafür gebraucht – und seine heiklen Werke in wochenlanger Arbeit selbst aufgebaut.

Die Versuchung hinzugreifen wird auch bei der raumgreifenden Schwebearbeit „Airborne“ spürbar. Den tanzenden Kreis, der abermals von Gebläsen in der Luft gehalten wird, gilt es zu betreten – eine delikate Angelegenheit ob der Furcht, sich im rundum reichenden Magnetband zu verwickeln oder seinen Schwebezustand zu zerstören. Auf einem Foto wird diese dynamische Arbeit zu einer krakeligen Linie an der Wand.

Kempinas zitiert mit seinen federleichten Arbeiten immer wieder wuchtige Architektur. So etwa in „Columns“, wo die schwarzen Bänder vertikal von der Decke herabhängen und auf runden Holzscheiben befestigt sind. Die transparenten Säulen schweben einige Zentimeter über dem Boden, was den Eindruck erzeugt, sie würden rotieren. Wie grafische Elemente beleben die falschen Pfeiler den Raum, erzeugen eine esoterische Säulenhalle, durch die die Betrachter sichtlich angetan wandeln.

Schon als kleiner Bub, erzählt Kempinas, habe er ein ganzes Zimmer mit Wollfäden überzogen – freilich ohne Kenntnis der Rauminszenierungen von Marcel Duchamp oder Fred Sandback. Es gehe ihm darum, „den Raum durch etwas Unbedeutendes zu erobern“. Seine ephemeren Arbeiten bieten viele Anknüpfungspunkte an die moderne Kunstgeschichte, und dennoch schafft es Kempinas, sein Publikum mit einfachsten Mitteln in den Bann zu ziehen. Das macht ihm in dieser Dichte nicht so schnell einer nach. Bis 25.Jänner


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