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06.03.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Sündenfall im Dorfmuseum
VON ANNE-CATHERINE SIMON
Ein Kunstdieb outet sich. Wie Stéphane Breitwieser Werke mit Milliardenwert stahl.

E
s ist schwerer, bei Virgin eine DVD zu stehlen als ein Meisterwerk aus einem Museum", sagt der Elsässer Stéphane Breitwieser. Man sollte ihm eher glauben als Museumsdirektoren, immerhin hat er zwischen 1994 und seiner Verhaftung 2001 239 Kunstwerke gestohlen, darunter Werke von Pieter Brueghel, Albrecht Dürer, Antoine Watteau und Lucas Cranach d. Ä. Im Ferdinandeum in Innsbruck etwa habe er "die Gelegenheit genutzt, als alle einen Moslem anstarrten, der gerade einen Gebetsteppich ausrollte". Er steckte das kleine Porträt des "Flötisten" von Gérard Dou in die Hose und ging. "Als ich in einer österreichischen Zeitung gelesen habe, dass das Bild vier Millionen Francs (rund 600.000 Euro) wert ist, hat mich das wirklich schockiert."

Breitwieser, nach Haftstrafen in der Schweiz und Frankreich seit kurzem wieder auf freiem Fuß, hat dem Schriftsteller Pierre Assouline ein Interview gegeben (veröffentlicht in der Tageszeitung "Nouvel Observateur"). Nur ihm - denn Assouline hatte ihn einmal mit berühmten Kunstsammlern verglichen, mit dem einzigen Unterschied, dass Breitwieser kein Geld habe. Breitwieser fühlte sich verstanden.

Für das Londoner "Art Loss Register", das sich um gestohlene Kunst kümmert, ist der heute 34-Jährige ein einzigartiger Fall in der Geschichte des Kunstdiebstahls: Er stahl allein aus purer Liebhaberei. So einzigartig wie tragisch war auch das Ende seiner "Sammlung". Jahrelang hortete er seine Schätze in zwei Zimmern des mütterlichen Hauses, nahe Straßburg. Nach seiner Verhaftung entledigte sich seine Mutter des "Krempels" - angeblich unwissend um den Wert, aber um ihren Sohn zu bestrafen; sie hasste ihn für seine Sammlerleidenschaft.

Rund 60 Leinwände landeten zerschnitten im Müll, 109 Gegenstände im Rhein-Rhône-Kanal, einige am Rand einer Autobahn und in einer Kapelle. Ein Bauer habe drei Gemälde im Wald gefunden "und in seinen Hühnerstall gestellt, damit die Hennen darauf schlafen können", erzählt Breitwieser. 112 Gegenstände wurden geborgen, im Wert von rund 46 Millionen Euro. Den Wert des gesamten Diebsguts schätzt ein Gutachter auf 1,5 Milliarden.

Sein "Kafarnaum", nennt Breitwieser die mütterliche Aktion. Es war offenbar nicht das erste Trauma des laut Gericht extrem narzisstischen und leicht größenwahnsinnigen Kunstbesessenen. Sein Vater habe eine Kunst- und Möbelsammlung gehabt, nach der Scheidung - Stéphane war 18 - habe er alles mitgenommen. "Von einem Tag auf den anderen sind wir von einem Mobiliar ,Louis-Philippe' und ,Empire' zu Ikea gewechselt. Etwas war zerbrochen." Stéphane beginnt, sich auf Flohmärkten herumzutreiben, dann in Antiquariaten, aber ihm fehlt das Geld (er ist Student, Verkäufer, Kellner).

Der Sündenfall findet 1994 in einem Dorfmuseum statt. Einer Pistole aus dem 16. Jahrhundert in einer offenen Vitrine kann er nicht widerstehen. Sein Vater hatte auch eine Waffensammlung. "Ihm gegenüber war es eine Art Rache." Allmählich konzentriert sich Breitwieser aber auf seine Lieblingsepoche, die flämische Kunst des 15. bis 17. Jahrhunderts. Er habe immer "spontan" gestohlen, nie im Vorhinein gewusst, was er entwenden wollte, beteuert er. In Anvers lässt er einen kleinen Brueghel mitgehen - "die Wärter brauchten zwei Tage, um es zu bemerken"; in Angers dauerte es gar drei Monate. Manchmal verändert Breitwieser einfach die Ausrichtung einer Überwachungskamera. Nur Bewegungsmelder seien wirksam, versichert er.

In sieben europäischen Ländern (Frankreich, Holland, Belgien, Dänemark, Schweiz, Deutschland, Österreich) hat Breitwieser Kunstwerke gestohlen. Überall seien die Sicherheitsvorkehrungen unzulänglich, in Frankreich geradezu katastrophal, meint er. Das sei auch der Grund, warum nur eines von fünf Museen ihn vor Gericht geklagt habe. "Es ist ihnen lieber, wenn keine Details bekannt werden."

Breitwieser hätte sich gewünscht, "als großer Kunstdieb in die Annalen einzugehen". Nun will er versuchen, wieder Arbeit zu finden - als Kunstexperte.

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