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20.01.2006 - Kultur&Medien / Kommentare
Kunstlicht: Das Theater als Museum
ALMUTH SPIEGLER

W
enn man Hermann Nitsch gegenüber Christoph Schlin gensief erwähnt, kann es trotz Bio-Wein verdammt eisig werden am Tisch. Bayreuth-Neid unter Kollegen? Wen interessiert's. Vor allem aber prallen hier, personifiziert durch diese beiden Männer, auf einer Themenebene zwei diametral entgegengesetzte künstlerische Positionen wie auch Generationen aneinander. Hält der eine den Mythen-Steinbruch für sein Gesamtkunstwerk in heiligsten Ehren, steht der andere davor und lacht. Sieht Nitsch das Ziel seiner Kunst in der von seinem Orgien-und-Mysterien-Theater herbeigeführten Katharsis und Erlösung liegen, will Schlingensief am liebsten gleich die Erlöser erlösen und ficht darum mit ihnen und uns in einem spektakulären Spiegelkabinett der Begierden. "Es gibt keinen Erste-Hilfe-Koffer der Erlösung", sagt er.

Das muss den Wiener Aktionisten schmerzen. Und dann legt der Schlingel den Meister aus Prinzendorf noch dazu als an grauslichem blutigen Zeug nuckelndes Baby-Face in einen Kinderwagen. Am selben Ort, wo vor genau zwei Monaten noch Nitsch der Master of Ceremonies sein durfte.

Die beiden Ereignisse zu vergleichen ist interessant: Denn obwohl Nitschs Burg-Aktion in ihrem großen gesamtheitlichen Anspruch letztendlich als gescheitert angesehen werden muss, hatte er das Haus eindeutig besser im Griff als sein mit der Situation doch eigentlich tiefer vertrauter Kollege aus Deutschland. Nahezu konventionell aber beschränkt sich Schlingensief, ganz der klassische Theatermann, mit seiner Materialschlacht auf den Hauptraum, während Nitsch das gesamte Gebäude infiltrierte, vom Essensangebot des Buffets bis hin zum penetranten Geruch von Blut und Gedärmen, der einen bis auf die Toiletten verfolgte.

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n dem einen wie in dem anderen Fall muss man sich im Nachhi nein allerdings fragen, was das Ganze im Burgtheater überhaupt sollte. Nicht, dass derartige Aktionen hier an sich nicht stattfinden dürften - die Genre-Grenzen sind schon lange verschwommen. (Das zu akzeptieren fällt anscheinend vor allem dem Burg-Ensemble selbst schwer, das bei beiden Veranstaltungen auffällig fern blieb.) Rückblickend gesehen tun die Künstler sich selbst und ihrem Werk nichts Gutes, indem sie ihre Eitelkeit mit diesem international so renommierten Rahmen einfassen wollen. Im "natürlichen" Umfeld von Prinzendorf erreicht Nitschs Welttheater eine gesamtheitliche Dimension, während es im Burgtheater zur bloßen Zeremonie verkam.

Und im gruftigen Keller in Reykjavik, wo Schlingensief seinen alles verschlingenden "Animatographen" vergangenes Jahr erstmals anwarf, konnte man die Wurzeln dieser Mythenmaschine, wenn schon nicht verstehen, dann wenigstens noch begreifen und hautnah spüren. Umso enttäuschender entpuppt sich im Burgtheater dann die Ankündigung "Alles ist möglich" als Farce - die isländisch inspirierte rotierende Scheibe darf nicht einmal betreten werden! Und trotz der Ankündigung, dass sich alle, die bis zum Schluss ausharren, im Gelände frei bewegen dürfen, geht ohne "Führung" auch nach 21 Uhr nichts. So wird das Theater dann schließlich zum Museum. Nur - Sinn macht das alles dann keinen mehr.

almuth.spiegler@diepresse.com

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