Körperskulptur oder Tulpenwand - Fotoausstellung im Leopold Museum

Bis zum Schrecklichschönen


Düstere Ironie in „Narre Tod mein Spießgesell 3” von Franz Fiedler (1885-1956) aus dem Jahr 1921.

Düstere Ironie in „Narre Tod mein Spießgesell 3” von Franz Fiedler (1885-1956) aus dem Jahr 1921. Düstere Ironie in „Narre Tod mein Spießgesell 3” von Franz Fiedler (1885-1956) aus dem Jahr 1921.

Die von Diethard Leopold angekündigte verstärkte Foto-Ausstellungsschiene speist sich aus zwei Privatsammlungen, die im Duo unter dem Namen "Sputnik" auftreten, und durch Sammlerkurator Fritz Simak eine neue Präsentationsform finden. Nicht die Vereinzelung berühmter Fotografien von bekannten Fotografen wird im 2. Untergeschoß des Leopold Museums angestrebt, sondern ungewöhnliche Blickpunkte auf Themenblocks wie Stillleben, Körper als Akt, Porträt oder nur Fragment, Landschaften oder Fleischhallen, sogar Relikte, Masken und Mumien aus drei Jahrhunderten.

Zeitlosigkeit und Ästhetiken, die sich aus formalen, technischen und inhaltlichen Kriterien ergeben, nicht aber linear fortschreitender Kunstgeschichte. Das Antihistorische lässt viele freie Assoziationen der Besucher zu, fordert sie zu einer eigenen Ordnung der Dinge heraus.

Die neuen Bildwissenschaften, orientiert am französischen Strukturalismus, gehen schon länger mit Bildern anders um - im Wiener Ausstellungswesen ist es aber eher selten der Fall. Die theoretisch hohen Ansprüche sind nicht vordergründig spürbar. Timm Starl erklärt im Katalog, dass kein Kamerabild als Ikone für sich steht wie zuweilen in unseren Köpfen. Das Experiment schließt immer serielles Vorgehen mit ein, der gelungene "Schnappschuss" ist Teil einer Reihe.

Magie des Objekts in einem anonymen Wassertropfen

Das Überthema bilden skulpturale Fragen der Fotografie - die "Magie des Objekts" kann sich in einem Wassertropfen eines anonymen Fotografen genauso zeigen wie in Edward Westons berühmten Paprikas, der Kaffeetasse vor dem Porträt Otto Grünmadls von Nikolaus Korab und auch in Elfriede Mejchars nahsichtigen Blüten. Da wandelt sich eine Knospe plötzlich zum Schlangenkopf, aber auch die Schönheit des Verfalls steigert Banales zum Besonderen. Todd Watts, Ansel Adams, Berenice Abbot oder Harry Callahan wandeln es in unheimliche Magie.

Der Wechsel von Schwarzweiß zu Farbe lässt Variationsspiel der Hängung zu - eine spannende Konfrontation entsteht auf zwei großen Installationswänden. Zu der einen Wand mit neuen Verwandtschaften und Entdeckungen wie Bauhausfotografin Elsa Thiemann neben Herbert Bayer, kommt die großformatige Schwarzweißserie "Kyrill" Hans Kupelwiesers von 2007. Hier werden aus den Baumopfern nach dem großen Sturm sensationelle Skulpturen - der Gegensatz von Schrecklichschönem birgt aber auch die Besonderheit der Ironie, die sich in anderen Beispielen wiederfindet, vor allem Franz Fiedlers Skeletten neben Frauenakten "Narre Tod mein Spießgesell" von 1921.

In den Fleischhallen der Madame d’Ora, Anton Trofymovs oder Henri Cartier-Bressons wird dem Fragment gehuldigt, anderswo der Inszenierung, Künstlichkeit, selbst der Totenmaske vieler Prominenter wie bei Rosemarie Clausen.

Tote Natur kann als Konzept sozialen Fragen weichen - wie in Valerie Loudons Utensilien einer Bettenstation. Zum künstlich gebauten Naturausschnitt Robert Zahornickys und Fotogrammen Wolfgang Reichmanns kommt der frühe Naturselbstdruck von Constantin Ettingshausen und selbst Eis von Olaf Otto Becher tritt den Vergleich mit Schweinefleisch an.

Die Inszenierungen um 1920 im Fotostudio Manassé treffen auf Erwin Wurms performative Indoor-Sculpture seines Selbst mit Einkaufstaschen von 1999.

Berühmte Namen und Doppelbegabungen

Viele Blickwinkel und provokante Fragen stehen im Raum, Blickwanderungen, Gesten und Analogien - von berühmten Namen und ungewohnten Doppelbegabungen wie dem Modeschöpfer Karl Lagerfeld zu Amateuren, ein ganzes Bündel an Brüchen mit Vertrautem. Bleibende Fragen können dem Kurator bei seinen Führungen am 28. Juli und 25. August, jeweils um 18 Uhr gestellt werden. Die Ausstellung ist nach den Personalen zu Erich Lessing und Christoph Lingg die nächste größere Fotoausstellung im Leopold Museum.

Ausstellung

Magie des Objekts.
Photographie aus drei Jahrhunderten
Fritz Simak (Kurator)
bis 3. Oktober
im Leopold Museum im Museumsquartier
Täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 21 Uhr
Juli und August täglich geöffnet




URL: http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/kunst/?em_cnt=385396&em_loc=77
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