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04.03.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Sind wir nicht alle Wiedergänger?
VON ALMUTH SPIEGLER
Kunsthaus Graz. Der deutsche Maler Albert Oehlen zeigt seine "Götter im Exil".

D
ie Repräsentationskosten eines Gottes sind ungeheuer, meinte Heinrich Heine in seinen 1854 er schienenen "Geständnissen", in denen der Dichter seinen einstigen Hang zur heidnischen Götterwelt und zu Hegels vergöttertem Wesen des Menschen ironisierte und erklärte, warum er selbst in den "menschlichen Ruhestand" zurücktreten musste. Denn, um eine solche Götterrolle anständig zu spielen, bräuchte man schließlich viel Geld und viel Gesundheit, sonst gerate die Göttlichkeit ins Stocken.

Heute brauchen Künstler dazu zum Beispiel noch einen Fixplatz in Peter Pakeschs Olymp, wie ihn der malende deutsche Ausnahme-Bildbearbeiter Albert Oehlen bereits seit Jahrzehnten hält. Dafür durfte er jetzt im Grazer Kunsthaus unter dem - von Heines pantheistisch-parodistischer Spurensuche von 1853 entlehnten - Titel "Götter im Exil" seinen ganz persönlichen assoziativen Underground ausleuchten. Was da im Team mit Kuratorin Katrin Bucher und Pakesch zum Vorschein kam, muss wohl als exzentrisch-subjektive, genealogische Rückverfolgung künstlerischer Selbstmystifizierungen bezeichnet werden - eine riesige, zwischen Gegenwart und Vergangenheit oszillierende Collage, die auf präzis verschlungenen Pfaden zu verblüffenden Eindrücken führt.

In verwegener Abfolge werden der Schweizer Symbolist Arnold Boecklin, Salvador Dalí, der tschechische Surrealist Karel Teige und der frühe Christian Ludwig Attersee miteinander kurzgeschlossen. Wie postmoderner Kitt binden Oehlens Malerei und Collagen diesen ganzen vergangenen Pop und die heute so anachronistisch wirkende Mythologie zu einem in sich selbst geschlossenen System. Die von Oehlen ausgewählten Referenzbilder können dabei wie eine Leseanleitung zu seinem sonst schwer zu enträtselnden, stilistisch nicht festzulegenden Werk gelesen werden. Geboten wird dadurch ein Einblick, wie Künstler "aus Scheiße Gold machen", so Oehlen, also in diesem Sinne selbst einem mythologischen, alchimistischen Prozess unterliegen.

Den Beginn bestreitet Dalís "Riesige fliegende Mokkatasse mit unerklärlicher Fortsetzung von fünf Meter Länge", in der Boecklins Toteninsel zitiert wird. Gegenüber eine strenge Reihe weitgehend unbekannter surrealer Collagen Teiges, die Oehlen mit einem monumentalen eigenen Traum-Sujet, einem Frauenkopf in Baumgeäst, brutal unterbricht. Und so galoppiert man weiter, von einer teils inhaltlichen, teils formalen Assoziation zur nächsten.

Exemplarisch die Sequenz zur Selbstinszenierung: Philippe Halsmans Dalí-Fotoporträts folgt Oehlens riesiges "Selbst als Frühling", in dem er sich auf einer neoklassizistischen bukolischen Landschaftstapete als faunartiges Wesen aus Brunnen und Flasche zaubert. Dazu passt genial der junge Attersee, der sich mit Zebra-Kopf vor der Scham in Zwitterwesen-Pose wirft. Boecklins Antikenverehrung wird im so genannten "Wohnzimmer" auf die Spitze getrieben: An der Wand seine "Lautenspielerin", am Boden ein Mosaik Oehlens mit Zeichnungen seines Vaters samt nackter Grazie.

Oehlens grau vernebelter spanischer Edelmann leitet dann das Finale ein, führt zu Dalís spätem Selbstporträt als spanischem Adeligen von 1981, acht Jahre vor seinem Tod. Was eigentlich nur mehr eine schräge Himmelfahrt zur Folge haben kann: Auf einem Friedhof lässt Oehlen einen Mann zu Grabinschriften des Techno-Trios "Scooter" in Ekstase verfallen: "The Time from now till then/And we're back again". Ja, die Götter scheinen ihr Exil verlassen zu haben.

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