24.09.2002 19:12
Sehnsucht im Nebel
Fotos und
Videos der jungen Finnin Salla Tykkä in der Bawag-Foundation
Wien - Während im Fernsehen ein Porno läuft, hat sie
Akkupunkturnadeln im Hintern. Während sie umjubelt aus der Limousine auf den
roten Teppich steigt, läuft in ihrem Kopf der Privatfilm: "I hate myself. I hate
my body. I hate my life. I hate you. I hate my hair and my dress. I have been
ill for so long that I do not know myself anymore. The obsession of being a
perfect looking woman has cost me my soul. That is why I do not give a shit
about other people though it may look like I do."
Während in ihrem Haus
ein junger Mann die Kunst des anmachenden Lassohüpfens praktiziert, steht sie in
der Kälte draußen vor dem Fenster und beobachtet die Szene gebrochen durch ihr
Spiegelbild. Im Hintergrund läuft Ennio Morricones Once upon a Time in the
West.
Während sie aufwächst, lebt ihre Familie nebenan vorbei. Man
ist wechselseitig blind füreinander. Bis schließlich ein Schaf dafür büßen muss,
dass weder Mutter noch Vater hilfreich dabei hilfreich sind, erwachsen zu
werden. Das Schuldgefühl am Morgen der Erotik wird dadurch bloß größer. Und dann
gibt es noch allerhand Fotos unter dem Titel Pain, Pleasure, Guilt. Sie
beginnt mit den Einrichtungsgegenständen und Räumen zu kommunizieren: versteckt
sich in ihnen, dekoriert sich mit ihnen, mengt sich unter sie. Alles immer ganz
wortlos.
Salla Tykkä wurde 1973 geboren. Bis vor kurzem war sie
magersüchtig. Kunst war und ist ihr Therapie. In frühen Fotoserien wie My
Body is my Art, my Body is my Enemy, Sick, More Sick and the Sickest
und dem Video My Hate is Useless erzählt sie unmittelbar aus
der privaten Hölle. Joggen und Kickboxen haben ihr geholfen, ein Auskommen mit
den Kalorien des täglichen Brotes zu finden. Und also wird auch in Ihrer Kunst
gejoggt und geboxt.
Das klingt jetzt alles ganz schrecklich. Ist es aber
nicht. Salla Tykkä wahrt die Distanz, balanciert ziemlich sicher auf dem
schmalen Grat über dem tiefen Jammertal. Betroffen-Sein oder Anteilnahme sind
nicht gefragt. Es ist, wie es ist. Selbst die verschwiegenen Dialoge werden
aneinander vorbeigeführt. Nicht das etwas öd und leer geworden wäre, es war
immer schon öd und leer. Was einzig bleibt, ist Sehnsucht im
Nebel.
Unerfüllte Sehnsucht. Die Brüste im Kampf für ein Geschlecht,
welches das eigene ist und nichtsdestoweniger fremd, wund geschlagen, das
T-Shirt bekleckert, und dann ist auch noch die Waldeinsamkeit ohrenbetäubend
laut - es ist zum Zunge-Abhacken. Jeder Einzelne ist von einer anderen Welt.
Gemeinsam fristen sie ein einsames Dasein. Salla Tykkä kristallisiert aus der
uferlosen Zumutung ringsum wunderbare Kleinöde. Bisweilen glaubt man, Caspar
David Friedrich hätte Geschlecht und Zeit gewechselt. (DER STANDARD,
Printausgabe, 25.9.2002)