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Kunstberichte
Beruf Künstlerin – der lange Weg vom einstigen Ausschluss aus dem Kunstmarkt bis zur heutigen Emanzipation

Die Heldinnen des Kunstbetriebs

Birgit 
Jürgenssen "Gretchen von Faust", 1988. Eine Retrospektive zum 
Werk der 2003 verstorbenen Künstlerin ist ab Dezember im Bank Austria 
Kunstforum zu sehen. Foto: Nachlass B. Jürgenssen/VBK, Wien 2010

Birgit Jürgenssen "Gretchen von Faust", 1988. Eine Retrospektive zum Werk der 2003 verstorbenen Künstlerin ist ab Dezember im Bank Austria Kunstforum zu sehen. Foto: Nachlass B. Jürgenssen/VBK, Wien 2010

Von Manisha Jothady

Aufzählung Kunst als ein steter Protest gegen stereotype Bilder der Weiblichkeit.
Aufzählung Viele Künstlerinnen wehren sich gegen ein Dasein im Ghetto der "weiblichen Kunst".

Wien. Das Haar zu einer wilden Mähne auftoupiert, Scham und Vagina im Hosenschritt entblößt, blickt die mit einem Maschinengewehr bewaffnete junge Frau den Betrachter an. Es ist Valie Export, die hier unter dem Titel "Aktionshose: Genitalpanik" breitbeinig posiert. Die Arbeit aus dem Jahr 1969 zählt längst zu den Ikonen feministischer Kunst.

Zu Beginn einer frauenbewegten Ära protestierte die Künstlerin damit gegen Weiblichkeitsstereotype, gegen den traditionell tief verwurzelten Männerzentrismus, gegen die patriarchalen Strukturen im Kunstbetrieb.

Derzeit wirbt das Belvedere mit einem ähnlichen Sujet für die Ausstellung "Zeit und Gegenzeit". Neben Wien, wo die Schau am Freitag eröffnet wird, ist das Lentos Kunstmuseum Linz ab Sonntag der zweite Schauplatz, an dem das Werk Österreichs bedeutendster Pionierin in Sachen feministischer Kunst gewürdigt wird. Beide Präsentationen fokussieren unter Rückgriff auf einzelne frühe Arbeiten auf ihr Schaffen der letzten 20 Jahre. Abseits feministischer Themen soll so die anhaltende gesellschaftskritische Brisanz im Oeuvre der heute 70-Jährigen illustriert werden.

Raum für Kunst von Frauen

Das, wofür Export und zahlreiche andere Künstlerinnen ihrer Generationen eintraten, nämlich mehr Raum für die Kunst von Frauen zu schaffen, sollte aber noch lange dauern. Bis in die späten 80er Jahre überwog bei vielen Künstlerinnen die Enttäuschung darüber, dass selbst im Kunstbereich die Emanzipation noch immer nicht vollzogen war. Legendär in diesem Zusammenhang sind die Aktionen der Guerilla Girls: "Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?", fragten sie 1989 in einer ihrer Posterarbeiten. Denn, so das Fazit der Gruppe, weniger als 5 Prozent der Künstler in der Abteilung Moderne Kunst seinen Frauen, 85 Prozent aller Akte dagegen weiblich. Ein Blick in die Sammlungen international renommierter Häuser würde wohl heute noch ähnliche Feststellungen provozieren.

Das Centre Pompidou in Paris jedenfalls kehrt seit Mai 2009 die Verhältnisse um. Für die Präsentation seiner ständigen Sammlung setzt das Museum unter dem Titel "elles@centrepompidou" noch bis Februar 2011 ausschließlich auf Künstlerinnen. Doch auch eine durchaus lobenswerte Initiative wie diese vermag ein Grundproblem nicht zu umschiffen: Jahrelang hat die Frage nach einer geschlechtsspezifischen künstlerischen Identität und dem Besonderen weiblicher Kunst die Debatte um den Status von Frauen in der Kunst dominiert.

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Längst eine Ikone feministischer Kunst: Valie Exports "Aktionshose: Genitalpanik" aus dem Jahr 1969. Foto: Hassmann/VBK Wien 2010

Gerade das aber lehnten und lehnen heute noch viele Künstlerinnen ab. Meret Oppenheim negierte zeitlebens die Existenz einer "weiblichen Kunst" und pflegte ihre Teilnahme an Ausstellungen abzusagen, die nur Kunst von Frauen zeigten. Auch Maria Lassnig verwehrt sich einer feministischen Leseart, obwohl ihre Werke eine solche mitunter nahelegen. Louise Bourgois antwortete einmal auf die Frage, ob sie Feministin sei: "Wozu? Ich bin eine Frau." Ungeachtet der Tatsache, dass sie sich zu Beginn der 70er Jahre in der US-amerikanischen Frauenbewegung Womens’ Lib. engagierte und sich an Störaktionen in Museen beteiligte, um auf die einseitige Ankaufspolitik hinzuweisen.

Zähes Ringen um Akzeptanz

Oppenheim, Bourgeois und Lassnig – Einzelkämpferinnen, die sich weder von Kunstströmungen noch von der feministischen Kunsttheorie vereinnahmen ließen. Sie personifizieren das, wofür ihre Kolleginnen selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch härter kämpfen mussten als sie selbst – nämlich als Künstlerin akzeptiert zu werden. Denn obgleich es seit der Renaissance immer wieder weibliche Kunstschaffende gab, die ihren Beruf schon zu Lebzeiten erfolgreich ausübten, blieb ihnen eine den männlichen Kollegen adäquate künstlerische Ausbildung lange verwehrt.

In Deutschland standen Frauen alle Universitäten ab 1909 offen, die renommierten Kunstakademien blieben ihnen zu diesem Zeitpunkt dennoch verschlossen. An der Akademie der bildenden Künste in Wien wurden Frauen erst ab 1920 aufgenommen. Von 1872 an wurden Anträge auf Zulassung von Studentinnen gestellt und immer wieder abgelehnt, da man ein "Überhandnehmen des Dilettantismus und ein Zurückdrängen des männlichen Elementes" befürchtete. Als Alternative standen angehenden Künstlerinnen nur der kostenaufwendige Unterricht in Privatateliers und privaten Kunstschulen zur Verfügung, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch auf Initiative einzelner Künstlerinnen-Vereine gegründet wurden. Die so wichtigen Auslandsaufenthalte in den Kunstmetropolen aber kamen aus finanziellen oder moralischen Gründen für kaum eine Künstlerin in Frage.

Auch blieben weibliche Kunstschaffende vom öffentlich anerkannten Kunstbetrieb weitgehend ausgegrenzt. Fanden ihre Werke dennoch Beachtung, wurden sie oft mit Argwohn betrachtet. So schockierte die Bildhauerin Theresa Feodorowna Ries bei der Ausstellung "Wiener Frauenkunst" im Jahr 1928 nicht nur das Publikum. "Wie kann man sich unterstehen, aus edlem Marmor eine so scheußliche Fratze zu machen", soll ein Kritiker angesichts ihrer Skulptur "Hexe, Toilette machend zur Walpurgisnacht" gesagt haben. Nur allzu gerne hätte man damals das Schaffen bildender Künstlerinnen in den Bahnen harmloser Blumen- und Stilllebenmalerei gesehen. Auch die expressive Malweise von Helene Funke und Helene Taussig, deren Werk erst posthum entsprechend gewürdigt wurde, empfand man als zutiefst irritierend: "Von Frauen mit der Spachtel maurermäßig derb hingestrichene Bilder sind mir und den meisten Männern ein Gräuel", lautete das Urteil des Kunstkritikers Arthur Roessler.

Revival feministischer Kunst

Von Männer- oder Frauenhand? Diese Frage stellt sich im zeitgenössischen Ausstellungsbetrieb wohl kaum mehr. Oder doch? Seit wenigen Jahren ist ein reges Interesse am Werk von Künstlerinnen festzustellen. Wiederentdeckungen, vertraute und fast vergessene Namen werden in großen Überblicksschauen gezeigt, wobei vor allem die feministische Kunst der 70er Jahre eine Art Revival erfährt: "WACK! Art and the Feminist Revolution" hieß beispielsweise 2007 eine Ausstellung im Moca Los Angeles, die anschließend nach New York und Vancouver tourte. "Global Feminism" titelte die nahezu zeitgleich stattfindende Ausstellung im New Yorker Brooklyn Museum. Mit "Gender Battle" reihte sich im selben Jahr das Zentrum für zeitgenössische Kunst in Santiago de Compostela in die Thematik ein. Und unter dem Motto "Feministische Avantgarde der 70er Jahre" zeigte der österreichische Energiekonzern Verbund im Frühjahr dieses Jahres Teile seiner Sammlung in der römischen Nationalgalerie für moderne Kunst.

Die Liste ließe sich noch fortführen. Allein der Blick auf das aktuelle Programm der Wiener Kunstinstitutionen stimmt zuversichtlich. Selten gab es hier so viele Ausstellungen von Künstlerinnen und das weitgehend abseits geschlechtsspezifischer Kategorien. Willkommen im 21. Jahrhundert.

Aufzählung Ausstellungen

Valie Export ab 16. Oktober im Belvedere, ab 17. im Lentos in Linz; Frida Kahlo Retrospektive bis 5. Dezember im Kunstforum; Tina Modotti bis 7. November im Kunsthaus Wien; Phyllida Barlow bis 21. November im Bawag Contemporary; Lara Almarcegui bis 7. November in der Secession; Ana Torfs bis 12. Dezember in der Generali Foundation; Power up - Female Pop Art ab 5. November in der Kunsthalle Wien.



Printausgabe vom Donnerstag, 14. Oktober 2010
Online seit: Mittwoch, 13. Oktober 2010 18:32:00

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