Schlingensief Nachruf: Das Megafon

22. August 2010 | 18:56 | | BERNHARD FLIEHER (SN). | http://www.salzburg.com/online/7mal24/aktuell/Schlingensief-Nachruf-Das-Megafon.html?article=eGMmOI8VecMBZH5NXRCpIZ3GatggoV774iDMCLY&img=&text=&mode=" href="http://www.facebook.com/sharer.php">Teilenipt>Teilen  
Zum Tod des großen Künstlers: Zwei Nachmittage im heißen Juli. Bernhard Flieher über Christoph Schlingensief, einen Unverzichtbaren.

BERNHARD FLIEHER
SALZBURG (SN). Das Megafon war sein Instrument. Damit dirigiert Christoph Schlingensief, Apothekersohn, geboren 1960 in Oberhausen, seine Idee. Montierte er seine Kunst. Er tat das im Burgtheater oder Bayreuth, aber er holt die Kunst auch unter die Leute, auf die Straße. Oder an den Wolfgangsee. Juli 1998. Er wollte den See steigen und den dort urlaubenden deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl untergehen lassen. „Es muss doch auch Spaß machen“, schallte es am See einmal aus dem Megafon. Und dann sprang Schlingensief rein, so wie er mutig in viele Dinge rein sprang. Blödsinn. Grüblerei. Überforderung. Show. Theater. Installation. Film. Egal! In der Vielschichtigkeit lag – neben dem genauen Blick auf sozialpolitische Strömungen und Wunden (und deren teils genial treffende theatralische Umsetzung) – die größte Provokation in seinem Werk. Man musste nachdenken. Über das Leben, die engste Umgebung. Man verließ Theater, See oder Straßen als anderer. Und wer will das schon? Schlingensiefs Kunst war das Leben. Daraus schöpfte er. Das überhöhte er, zerfledderte er und baut es nach. Ohne jede Langweile gelang ihm das. Er stellte nichts nach, sondern hinterfragte und erfand. Im Grund erfand er Formen der Kunst, die fortan Schlingensief-Kunst heißen müssen. Und so erinnert das Megafon auch nicht an lautstarkes Herumposaunen, sondern eher an einen Weckruf, an ein Gerät, mit dem Ideen und Information hörbar gemacht werden. Sowie das in vielen ländlichen Gegenden Afrikas, jenseits von multimedialer Überbeschallung, noch passiert und – in Burkina Faso – ein Opernhaus baute.

Schlingensief wurde durch Mut, Widerstandskraft und Kunstsinn in Filmen, Aktionskunst, Theaterinszenierungen, Bildender Kunst und Oper ein Unverzichtbarer. Anstrengend konnte das sein, verstörend, plakativ. Ob ihm nicht die Kraft ausgehe, bei so vielen Ideen? „Nein. Eins treibt mich zu anderen. Ein Fluss ist das, in dem sich leicht schwimme“, sagte er. Das war acht Jahre nach dem Wolfgangsee. Wieder ein sonniger Nachmittag. Salzburg. Er bereitete eine Ausstellung vor im Museum Moderner Kunst auf dem Mönchsberg, Unten tobte schon der Festspiel-Wahnsinn. Oben auf der Terrasse über der Barockpracht sagte er: „Mit dem allem will ich doch nichts zu tun haben, mit der Scheingesellschaft, der Scheinkunst und deren Wiederholungen. Es dient mir manchmal, ja. Aber da drin schwimm ich nicht mit.“ Er hat seinen eigenen Fluss, in dem er als Außenseiter durch die Welt trieb, auch wenn er längst Star und „etabliert“ war. Dass er nie unterging, liegt daran, dass das Gefühl für intelligente Show aus tiefer Seele stammte, aus der Überzeugung, dass Kunst ein sozialer Akt sein muss, selbst wenn es ums Medienspiel ging. Der Schall, den sein Megafon dann geschickt erzeugte, war eben nicht einem Lehrbuch über die Aufregung durch Leere entnommen. Wo er anstieß, was er bewegte, beerdigte die Leere, füllt Räume mit Sinnlichkeit und Nachdenklichkeit. Beides stammt aus der selben Quelle.
„Angst. Darum geht es. Und ich kann gar nicht sagen, was mich da alles umtreibt, wenn ich von Ängsten spreche“, sagte er beim Gespräch in Salzburg. Dazu lächelte er, denn: „Der Treibstoff ist egal, solange er dich am Leben hält. Ich will fröhlich sein, auch in der Angst.“ Vom Krebs war noch keine Rede.

Am Samstag hatte der Krebs gesiegt. Nach dem Tod sagte Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek: „Ich dachte immer, so jemand kann nicht sterben. Das ist, als ob das Leben selbst gestorben wäre.“

Wir haben verloren. Alle. Die einen, weil Schlingensief ihre Hirnspeicher und Sinne füllte. Die anderen, weil keiner so sehr aufregte, sich über kaum jemanden so trefflich aufregen ließ. Schlingensief war jahrelang Enfant Terrible der Kunst. Und gleichzeitig war er ihre liebster Bub, einer der sich – intelligent und subtil – den Spaß daran erhielt, immer und überall Kunst zu schaffen. Es bleiben zwei Nachmittage im Juli, Inszenierungen, Aktionen voller Ideen, Intelligenz, auch Schelmerei im Dienst einer heiligen Sache, der Schaffung eines eigenen Universums.

© SN/SW