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03.03.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Secession: Physik ist cool, gell?
VON THOMAS KRAMAR
SECESSION. "Mach vs. Boltzmann": Diskurs-Mimikry.

Die Erfahrung des nicht-euklidi schen Raumes, welcher bewusst seinserweiternd mit der Philoso phie des Expressionismus in Relation steht": Einmal abgesehen davon, dass der Expressionismus eher wenig mit nicht-euklidischen Räumen zu tun hat, wer würde diese Erfahrung nicht gerne machen?

Im Hauptraum der Wiener Secession, den das Künstlerduo Clegg & Guttmann unter dem Titel "Mach vs. Boltzmann" eingerichtet hat, wird u. a. diese Erfahrung via Anleitungszettel versprochen. Was soll das Versprechen einlösen? Ein güldenes achteckiges Prisma mit Mustern. Es wird als "gekrümmter Raum" angesprochen, was sozusagen doppelte Hochstapelei ist: Es ist nicht einmal eine gekrümmte Fläche. Aber es klingt halt gut, nicht-euklidisch und so.

Klingt es wirklich (noch) so gut? Man kann die Ausstellung - inkl. Katalog! - bestens als Parodie auf die heute schon etwas veralteten devoten Annäherungen verstehen, mit denen Konzeptkunst versucht, ein bisschen von der Aura der Wissenschaft an sich zu saugen. Es ist das alte Spiel: Wenn man nur möglichst viele physikalische Begriffe und große, schwere Wörter aus dem Kunstdiskurs durcheinandermischt, wird einem zumindest schön schwindlig.

Dabei finden sich in der Secession in den neun - auf nicht einsichtige Weise entweder Ludwig Boltzmann oder Ernst Mach zugeordneten - Stationen einige hübsche Ideen. Warum nicht mit Gleichgesinnten einen Phasenübergang von ungeordnet auf geordnet nachspielen? Warum sich nicht einmal als Atom in einem thermodynamischen Kollektiv fühlen? Dann sollte die Spielanleitung aber nicht eine bestenfalls gut gemeinte Metapher für Temperatur verwenden. Da hat sich ja Ludwig Boltzmann einst durchaus etwas überlegt . . .

Auch die kleine, ebenfalls goldene Installation zum Gefangenendilemma ist an sich hübsch, wenn auch nicht sonderlich originell; was im Katalog aber über instabiles Gleichgewicht, gebrochene Symmetrie, Buridans Esel etc. improvisiert wird, folgt offensichtlich nur den Regeln des prahlerischen Szenecafé-Diskurses. Den Boltzmann und Mach noch nicht so gut beherrschten.

Soll man also in die Secession spielen gehen? Aber ja, es ist z. B. immer lustig, in einem hübsch hallenden Raum nach Herzenslust gegen ein Metronom Schlagzeug zu spielen, und es macht wohl auch Spaß, um die Wette auf Rampen zu hüpfen, man muss dabei ja nicht versuchen, die Betrachtungen des Katalogs zu verstehen. Nur sollte man ernsthaft bitten, den Ton zu den Videoprojektionen an den Seitenwänden abzudrehen. Er stört, man versteht sowieso nichts, und die Begründung - die Aufnahmen stammen aus dem Fin de Siècle wie die Secession und die Ideen von Boltzmann und Mach - ist wirklich nur mehr läppisch.

Bis 23. April, Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr.

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