Salzburger Nachrichten am 13. August 2005 - Bereich: kultur
Avantgarde unter Frauen "Die Neuen kommen!", eine
umfangreiche Ausstellung in Wien, zeigt die vielfältigen Einflüsse von
Frauen auf die moderne Architektur der 1920er Jahre.
ANNE ISOPPWIEN (SN). Aus der Geschichte der modernen Architektur sind
nur wenige weibliche Namen - etwa Eileen Gray, Lilly Reich oder Margarete
Schütte-Lihotzky - allgemein bekannt. Die Ausstellung "Die Neuen kommen!"
im Wiener Ringturm widmet sich erstmals den vielfältigen Einflüssen von
Frauen auf die Architektur der zwanziger Jahre. Es werden der Werdegang
und die tägliche Arbeit deutscher und österreichischer Künstlerinnen,
Architektinnen, Designerinnen und Filmemacherinnen beleuchtet, aber auch
die Schwierigkeiten und Hindernisse, die ihr Berufsleben kennzeichnete. Zu
sehen sind in der Schau Architekturfotografien, Zeichnungen und Dokumente,
wie Möbel, Skulpturen und Gemälde. In Österreich sind Frauen seit 1919 zum Architekturstudium an der
Technischen Hochschule zugelassen. In Deutschland war dies einige Jahre
früher möglich. Die Erste, die sich in Wien für Architektur einschrieb,
war Margarethe Schütte-Lihotzky: "Sowohl mein Professor Strand wie mein
Vater waren furchtbar dagegen", erinnerte sich die gebürtige Wienerin in
einem Interview aus Anlass ihres 97. Geburtstag, "aber nicht, weil sie so
konservativ waren, sondern weil sie überzeugt waren, dass man niemals
einer Frau den Auftrag erteilen würde, ein Haus zu bauen". Die Architektin
- sie starb im Jänner 2000 - konnte alle eines besseren belehren: In
keiner Publikation zur Architektur und Wohnkultur der zwanziger Jahre
bleibt ihr Name unerwähnt. Die von ihr entworfene "Frankfurter Küche", der
bis heute gültige Prototyp einer arbeitssparenden Einbauküche, ist mit
einem begehbaren Original das Highlight der Schau. Die österreichische Möbeldesignerin Anna-Lülja Praun, die voriges Jahr
im Alter von 98 Jahren in Wien verstarb, zählt zu den weniger bekannten,
aber nicht minder innovativen Frauen. Eines ihrer meist beachteten
Objekte, eine Bank zum Ausruhen, entwarf sie für den Dirigenten Herbert
von Karajan. Wenige Architektinnen konnten sich etablieren Von den meisten anderen
Berufskolleginnen aber weiß man ziemlich wenig. Sie alle mussten sich als
Einzelkämpferinnen auf einem neuen Terrain behaupten. Die Zeitspanne, in
der sich der Beruf der Architektin entwickeln konnte, war kurz. Bis die
ersten Frauen in die Berufspraxis einstiegen, war die wirtschaftliche
Krise Ende der zwanziger Jahre bereits spürbar, 1933 folgte der
gesellschaftliche und politische Zusammenbruch. Nach dem Zweiten Weltkrieg
konnten sich nur wenige als Architektin etablieren. Als Frau Architektur zu studieren ist heute kein Problem mehr - über
fünfzig Prozent der für dieses Fach inskribierten Studenten sind
inzwischen weiblich. Doch noch immer ist die Zahl der selbstständigen
Architektinnen äußerst gering. Es scheint sich darin seit dem Anfang des
vorigen Jahrhunderts wenig geändert zu haben. "Die Neuen kommen! Weibliche
Avantgarde in der Architektur der zwanziger Jahre" ist noch bis zum 2.
September im Wiener Ringturm zu sehen. |