16.01.2003 14:42
Gesellschaftsplanung à la Mickey Mouse
"Disneyfizierung der Städte": Wie Konzerne über TV-Bilder Wohn- und
Lebensformen bewerben
Der Berliner Stadttheoretiker Frank Roost spricht von
der "Disneyfizierung der Städte" und thematisiert die demokratiepolitisch
problematische Verquickung von Kitsch und kulturellem Kapital.
Es ist natürlich alles viel komplexer. Und wer nach der Maus und der
Ente sucht, hat ein paar Jahrzehnte Crossmarketing und Kreuz-und-quer-Branding
verschlafen. Meint Frank Roost - und kann es beweisen: "Problematisch sind nicht
der Kitsch und die Inszenierung, sondern der Versuch großer Konzerne, mit ihrem
kulturellen Kapital einen Ersatz für demokratische Strukturen zu schaffen",
erklärt der Berliner Stadttheoretiker.
Wie ein (Unterhaltungs-) Konzern
nicht nur seine Produkte an den Mann und die Frau bringt, sondern - neben der
Prägung des kulturellen Bewusstseins der halben Welt - auch noch sehr aktiv in
Planungs-, Architektur- und gesellschaftpolitischen Belangen mitmischt,
beschrieb Roost am Beispiel des Disney-Konzerns bereits im Jahr 2000 in seinem
Buch "Die Disneyfizierung der Städte" (Leske+Budrich Verlag, Opladen 2000).
Darüber referierte er - im Rahmen der derzeit im Wiener Künstlerhaus unter
gleichem Namen laufenden Ausstellung - in Wien.
Fassaden-Sitcom
Während Querverweise und Verlinkung von einem Konzernprodukt zum
anderen in den bekannten Disney-Domänen oft erkannt würden, sei dies vor allem
im Immobilien-und Planungsbereich kaum transparent, meint Roost.
So
tauchten etwa in der Signation der aus den Disney-Studios stammenden Sitcom "Hör
mal wer da hämmert" mit Tim Allen just jene Musterhaus-Fassadenelemente im
Stakkato auf, die in der vom Disney-Konzern in den USA als prototypische "gute
alte Stadt" geschaffenen Siedlung "Celebration" (Florida) als einzige Stilmittel
zugelassen sind: Der Wiedererkennungseffekt der sechs möglichen Stile in der
idealisiert-historisierten Echtwelt führe dazu, dass genau jene
Musterhausformen, die Disney auch in anderen - geplanten - Urbanisationen
anbieten wolle, widerspruchslos als allein selig machend akzeptiert
würden.
Dass derartiges Lebensformen-Marketing im Mix aus Immobilien- und
Medieneinsatz funktioniere, habe der Konzern schon zuvor an einem anderen
Beispiel bewiesen, belegt Roost: Das US-Immobilienunternehmen Arvida sei nicht
nur Teil des Disney-Konzerns, sondern auch Betreiber der
Weston-Seniorenresidenzen in den sonnigen, südlichen
US-Bundesstaaten.
Just als Weston erste große Anlagen bewarb, erzählt
Roost, tauchten die "Golden Girls" in praktisch allen US-Netzwerken auf: Die
Sitcom mit den vier alten Damen, die sich in südlichen Gefilden zur Ruhe gesetzt
haben, stammt aus den Disney-Studios. Und wurde, so Roost, vom Konzern ganz
altruistisch und kostenlos an die Sender weitergegeben.
"Disneyfizierung
ist längst mehr als ein Themenpark", schloss Roost: "Entertainment ist schon
lange mehr als das Aufstellen von Ringelspielen. Es geht um Kulturbegriffe."
(Thomas Rottenberg/DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2003)