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15.11.2002 21:42

Pas de deux
Über Zusammenhänge von Kunst(-Markt) und (Sammlungs-)Politik



Alles Leben ist Chemie, haben wir einmal in der Schule gelernt. Alles Leben ist aber auch Politik, man muss sie nur weit genug fassen, das ist auch mit der Kultur so. Man spricht ja locker von Sammlungspolitik sowie Ess- und Trinkkultur. Das Reizthema Kunst und Politik durchzieht ebenfalls die Kunstgeschichte, wobei der Kunstmarkt die auf den ersten Blick harmloseren, dekorativkunstproduzierenden Künstler bevorzugt. Aber selbst der Impressionismus, nun eine harmlos-nette, hoch- bis überbezahlte Tapetenmalerei, war einst ein Schimpfwort.

Die Niederländer des 17. Jahr-hunderts agierten politisch, indem sie statt höfischen Auftragsbildern Lebensschilderungen der bäuerlichen Bevölkerung thematisierten. Ein Goya war im besten Sinne politisch, ob er nun ein politisches Thema illustrierte oder auch die königliche Familie. Allein deren Antlitze sprechen Bände.

Irgendwie ist immer alles politisch auslegbar, und das verlangen anständige Sammler von einem guten Künstler. Bei den dezidiert politischen, deren wohlmeinende Art trotzdem oft Zustände zwischen No-na und Peinlichkeit hervorrufen, dauert es eine Weile, bis der Markt auch sie schluckt. Die Künstler-Diskrepanz ist meist: Wie kann ich kritisieren - und gleichzeitig von den Verkäufen leben? Oder auch: Die Sprache der Emigration oder Die Sprache der Behinderung?

"Ist es nicht ,radikaler Chic', wenn man versucht, den Kapitalismus kritisierende Bilder an reiche Leute und Institutionen in den USA zu verkaufen?" fragte zu Beginn der Siebziger der Künstler Oyvind Fahlström. Über Künstler & Politik urteilte er folgendermaßen: "Natürlich ist die meiste Kunst kein Werkzeug für politische Veränderungen. Aber Künstler können (könnten) das sein. Organisieren. Veröffentlichen. Sprechen. Demonstrieren. Streiken. In Gemeinschaft arbeiten."

Politische Kunst im Sinne der Propaganda ist da ein weiteres, offenkundiges Kapitel. Im Falle der SozArt (und deren Paraphrasen), heute von manchen Sammlern als Camp klassifiziert und geschätzt, klingeln auch die Kassen ganz ordentlich - obwohl die heutigen Neureichen lieber Historistisches-Zaristisches erwerben. Repressalien gegen Andersdenkende entgingen etwa Ilya Kabakov oder der Fotograf Boris Mikhailov im geschickt-findigem Auslegen und Umschiffen der staatlichen Ästhetik-Doktrin. Erik Bulatov malte seinen harmlos wirkenden "Strandspaziergang": Die Streifen am Horizont sind "zufällig" die Farben des Lenin-Ordens.

Von der Documenta11 hat man gesagt, dass sie "politisch" ist. Dezidiert politisch: Schluss mit lustig, mit Spaßkultur und dem Gender-und Sexgewäsch. In der konsequent ironiefreien Zone wurde der Völkermord in Ruanda thematisiert und dokumentiert, die Antiglobalisierungs-Demos oder der ferne Osten Europas. Obwohl Pressefotos oft viel besser sind als die offerierten Künstlerfotos, bekamen Sammler von Dokumentarfotografie hier durchaus Inspirationen, z.B. bei Allan Sekula.

Öffentliche Sammlungspolitik heißt auch Tanz auf dem glatten Parkett der Strategie und des Taktierens. Interessensverbände, etwa die der Galeristen, kämpfen bei den Politikern um steuerliche Absetzbarkeit der verkauften Werke. Die einzelnen Parteien fragen sich auch: Mit wem gehe ich einen Pakt ein, wem von den eigenen Parteimitgliedern verrate ich meine Käufer/Sammler nicht? Beiße ich die Hand, die mich füttert? Welchen Kulturredakteur rufe ich an, dass ich ein Fax senden werde, dass ich es gesendet habe, und frage später, ob er es denn wohl auch erhalten habe (ca. drei Anrufe). Wann gehe ich mit dem Museumsdirektor essen und warte dafür auch gerne lange auf der Besucherbank? Wen lade ich an meinem Tisch zum Charity- oder Fundraising-Dinner - nehme ich überhaupt einen Tisch?

Der früh verstorbene, oben erwähnte Multi-Künstler Oyvind Fahlström träumte von Unabhängigkeit, in Verbindung mit billiger Distribution seiner Arbeiten: "Idealerweise würde ich genug Geld verdienen, um Massen-Multiples meiner Werke herzustellen, zum Preis von LPs und Büchern. Schließlich würde ich ein selbständiges, alternatives Verteilungssystem aufbauen." Fahlströms Werke gibt es heute in ausgesuchten Galerien und auf Kunstmessen für teures Geld zu kaufen. (Doris Krumpl/DER STANDARD, Printausgabe, 16.11.2002)


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