Einsame Inseln im Fließverkehr: Kreisverkehre werden immer öfter zu Kunstorten

Sattelschlepper, aufgepasst!


Manchmal ist die Kunst schon vorher da, wie hier in Paris der Arc de Triomphe.

Manchmal ist die Kunst schon vorher da, wie hier in Paris der Arc de Triomphe.© © David Pollack/K.J. Historical Manchmal ist die Kunst schon vorher da, wie hier in Paris der Arc de Triomphe.© © David Pollack/K.J. Historical

Was war zuerst, die Kunst oder der Kreisverkehr? In Paris war es die Kunst. 1907 wurde am Place de L’Étoile der erste Kreisverkehr Europas eingerichtet, die Sehenswürdigkeit war schon jahrzehntelang vor Ort: Die Autos kreisten nun um den mächtigen Arc de Triomphe. Auch hundert Jahre später ist der mehrspurige Kreisverkehr die erste große Bewährungsprobe für fremde Autofahrer in der französischen Hauptstadt: Lenken, blinken, Unfall vermeiden und den stattlichen Bogen bewundern. Der allererste Kreisverkehr wurde 1904 am New Yorker Columbus Circle - ohne Kunstwerk in der Mitte - eröffnet, in Europa ist Frankreich Pionier und blieb es. Auf seinen Straßen drehte man bereits ausfahrtssuchend Runden, als in Österreich die Vorstellung von kreisförmigen Straßenelementen noch exotisch war.

Seit den 1990er-Jahren gibt es Kreisverkehre nun auch hier verstärkt - und sie erfreuen sich bei Straßenbauern größter Beliebtheit, über 260 soll es allein schon in Niederösterreich geben. Die Vorteile sind nicht zu übersehen: Man spart sich die teure Ampelregelung, Autofahrer drosseln die Geschwindigkeit, der Verkehr bleibt trotzdem im Fluss - und: es entsteht eine Insel. Eine einsame Insel im wilden Verkehrstreiben.

In Großstädten wie Sao Paulo okkupieren urbane Insulaner die runden Flächen, um sich einfache Unterkünfte darauf zu schaffen. Aber auch in Mitteleuropa dauerte die Eroberung nicht lange, "Kreiselkunst" nennt man in der Schweiz das Genre, in dem sich die Kunst im öffentlichen Raum auf die öffentlich nicht begehbaren Flächen im Kreisverkehr pflanzt. Kunst im Kreisverkehr gibt es seit einigen Jahren auch verstärkt in Österreich, auf den Straßen des Landes passiert man Obelisken, Bögen, Weinreben und Mostbirnen, stählerne Radfahrer, Gänse und Saurier - von plumpen Regionalmarketingmaßnahmen bis zur feinsinnigen Kunst am Bau ist alles vorhanden.

Eine Wiese aus Buchstaben

Meist sind es die Gemeinden oder benachbarte Firmen, die die Kunst im Kreisverkehr finanzieren. Der in Wien lebende Künstler Markus Hofer, der für seine Interventionen im öffentlichen Raum bekannt ist, gestaltet derzeit seinen ersten Kreisverkehr. Durch die Nähe zu einer Druckerei, die das Projekt finanziert, entschied sich Hofer für sein Objekt für Schriftelemente: 100 bunte Buchstaben aus Stahl werden eine Blumenwiese, ein "Textfeld", bilden und auf Stängeln aus dem Kreisverkehr wachsen. Die Gegend um den Kreisverkehr im oberösterreichischen Pasching sei eher trostlos und flach, mit wenigen Wohnhäusern und vielen Firmen, meint Hofer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung": "Da kann es schön sein, wenn Autofahrer in der Früh eine bunte und fröhliche Sache sehen." Autofahrer sind ein spezielles Publikum: Sie sitzen am Steuer und haben nur wenig Zeit, Inhalte aufzunehmen. "Man kann keine Information transportieren, aber ein gutes Gefühl und Auflockerung bringen. Es sind also im Kreisverkehr nur einfach wahrnehmbare Objekte möglich, die von allen Seiten betrachtbar sind", sagt Hofer. "Der Autofahrer soll nicht stehen bleiben und darüber nachdenken müssen."

Schauen wir, wer als Erstes durchfährt, meinte ein Beamter scherzend zu Hofer bei einer Besprechung. Früher oder später fahre nämlich durch jeden Kreisverkehr ein Auto durch. Auf solche Dinge muss man sich als Künstler, der einen Kreisverkehr gestaltet, also gefasst machen. Bei der Realisierung des Projekts geht es auch um Fragen wie den Druck von Stoßluft von Lkw. "Das sind Dinge, mit denen man sich sonst nicht beschäftigt." Wenn Markus Hofer nun über Landstraßen fährt, sieht er Kreisverkehr-Kunst mit anderen Augen. "Ich drehe jetzt oft eine Extra-Runde, um mir anzuschauen, wie das woanders gelöst wurde. Ich kenne aber in Österreich nicht sehr viel Kreisverkehr-Kunst, die ich gut finde, es gibt nicht sehr viele positive Beispiele. Aber meist sind nicht die Künstler schuld, es reden einfach zu viele Leute mit. Das Ergebnis ist oft ein Kompromiss."

Gigantische Mostbirnen

Viele Kreisverkehre funktionieren auch als Landmark, sie sind bekannte Wegweiser in einer Region, wie die vier großen Mostbirnen nahe der A1 bei Amstetten. "Wenn jemand bei einer Wegerklärung sagt, dann kommst du bei den Birnen vorbei - dann ist schon einiges geschafft", sagt Markus Hofer. Die gigantischen Mostbirnen gehören zu den ersten Kreisverkehr-Kunstwerken in Österreich, die Styroporplastik des Künstlers Ernst Adelsberger wurde 2005 aufgestellt. Die größte Birne ist ganze 6,5 Meter hoch, finanziert wurde das Projekt von einem Amstettener Unternehmen. Die Früchte mussten in den vergangenen Jahren einiges aushalten und sind jedem Wetter ausgesetzt. "Die Hitze ist ein Problem", erklärt der Bildhauer Adelsberger. "Oft haben sie 70 Grad und mehr, dann kommt ein Donnerwetter und sie kühlen wieder auf 20 Grad ab." Der Künstler ist stolz auf seinen Kreisverkehr, der mittlerweile auch überregional bekannt ist. "Die Leute fahren sogar von Salzburg herauf und schauen sich das an. Busse fahren extra von der Autobahn ab, und Familien machen Ausflüge und schauen sich die Birnen an."

Stolz ist Adelsberger auch, weil seine Kreisverkehr-Kunst in den sechs Jahren noch von keinem Autofahrer über den Haufen gefahren wurde. "Hier ist noch keiner reingefahren, man fährt ja automatisch langsam und schaut sich die Birnen an. Über diesen Kreisverkehr hört man nur Positives, bei manchen stellt’s dir ja die Haare auf!" "Es gibt kein besonderes Qualitätsmanagement", sagt auch Walter Werschnig von der Abteilung Raumordnung des Landes Oberösterreich. "Manches ist ein wenig disneylandig oder hollywoodesk - was haben etwa Saurier in Schärding verloren?" Die sprichwörtlichen "Grausbirnen" steigen auch der Architekturpublizistin Franziska Leeb auf, wenn sie an manchen Kreisverkehr denkt. "Entweder weil ein vom Horror vacui beseelter Kreisverkehrsgestalter so eifrig war, dass das Auge nützliche Hinweisschilder nur mühsam aus der Fülle aller möglichen anderen Informationen über Partnerstädte, Kürbiskirtage oder den drei Monate zurückliegenden Feuerwehrheurigen herausfiltern kann, oder weil die Gestaltung so grauenhaft ist, dass man dem zuständigen Bürgermeister am liebsten einen freundlichen, aber bestimmten Brief schreiben möchte", schreibt sie in der Publikation "Öffentliche Kunst" über Kunst im öffentlichen Raum in Niederösterreich, der achte Band der im Springer Verlag erschienenen Reihe beschäftigt sich besonders mit der Kunst in Kreisverkehren.

Keine Behübschungsaktion

Das Land Niederösterreich hat in den vergangenen Jahren zwei Kreisverkehr-Kunstprojekte finanziert, bald werden auf einer Straße nahe der Donauuferautobahn 16 neue Kreisverkehre eröffnet, für deren Gestaltung man Künstler einlädt. "Es ist eine schwierige Aufgabe. Reine Behübschungsaktionen sind nicht in unserem Programm vorgesehen", sagt Katharina Blaas, in der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich für Kunst im öffentlichen Raum zuständig. "Die Jury interessiert sich für Originalität." Der Künstler Leo Schatzl etwa gestaltete im Auftrag des Landes Niederösterreich einen Kreisverkehr am Eingang der Gemeinde Unterstinkenbrunn. Sein "großes Zwiebelchen", eine orange Skulptur mit langem Stiel und in der Nacht leuchtender Blüte, "funktioniert als Landmark, als Superzeichen", sagt Katharina Blaas.

Wiedererkennungswert haben auch bereits die Blumen der oberösterreichischen Bildhauer Maria und Markus Treml in St. Georgen im Attergau, eine Seerose, eine Lilie und eine Lupinie aus Stahl und verwobenen Kunststoffgurten zieren seit 2005 drei Kreisverkehre. Für Markus Treml war bei der Gestaltung interessant, wie man beim Autofahren wahrnimmt, wie große Dimensionen im Verkehr wirken. Stabil und wetterfest sollten die Objekte sein, luftig und "trotzdem mit Lastzügen und Verkehr konkurrieren können". Das Ergebnis sind riesige Blumen mit einem Durchmesser von 14 Metern, bei denen man sich als kleiner Autofahrer "wie ein Schmetterling vorkommt".

Buchtipp: "Öffentliche Kunst. Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich". Band 8. Springer Wien New York.




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