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Kunstberichte
Museum Essl: "Daniel Richter – Malerei aus zwei Jahrzehnten"

Entkörperlichte Blicke

Daniel Richter: "Halli Galli Polly" (2004). Foto: VBK Wien

Daniel Richter: "Halli Galli Polly" (2004). Foto: VBK Wien

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Daniel Richter kam 2006 als neue Malereiprofessor an die Akademie der bildenden Künste. Wie ehedem Rudolf Hausner bedient er daneben noch eine Gastprofessur in Hamburg und eine in Berlin. Dazwischen malt er. Auf eine abstrakte Periode in den neunziger Jahren, die experimentellen Fragen der Malerei nachging, folgten seit etwa 2000 figürliche Gemälde im großen Museumsformat.

Mit ihren rätselhaften Inhalten ist Richter – parallel zu Peter Doig und Neo Rauch – sofort aufgefallen. 2009 widmet er sich einer neuen, kleinformatigen, malerisch sehr überzeugenden Serie zum Thema Mauerfall 1989. Plötzlich spachtelt er Farbe, wird dichter, die bleierne Zeit an der Zonengrenze, die er als Kind erlebte, wird Bild. Das vermittelt echte Verbindung zur deutschen Geschichte.

Groß muss nicht gleichbedeutend sein mit großartig – das ist die jüngste Erkenntnis eines Mannes, der wie viele seiner Generation in Punk und Streetart begann, Plattencovers gestaltete und erst als Dreißigjähriger in Hamburg studierte und zu malen begann. Er war Schüler des Ostflüchtlings Werner Büttner und später Assistent von Albert Oehlen.

Visionen und Notturni

Fünf von neunzehn in der oberen Halle gezeigten Gemälden gehören der Sammlung Essl. Die Ausstellung könnte größer sein, die abstrakten Kompositionen verlangen mehr Raum; jedes Bild Richters ist ein eigener Kosmos, nur die letzte Serie zum Thema Grenze verträgt die Nähe zueinander.

Parallel zu den aufblitzenden Leuchtfarben in einer eher dunklen Palette gibt es die an hysterischen, aber auch visionären Vorbildern wie Edvard Munch und James Ensor orientierten nächtlichen Inhalte einer zumindest teilweise phantastischen geistigen Welt. Die Nacht ist wie mit einer Nachtsichtkamera gesehen – so wirken die durchsichtigen Menschen, die nur ihre Wärmeaura als Hülle angeben, semirealistisch. Reales ist an den Populärmedien orientiert – es mixen sich Kunstgeschichte und Pop-Vision mit mancher Comicfigur, aktuelle Ereignisse werden eingeschrieben.

Das Ende der Sowjetunion trifft auf zwei Wortspiele und eine reale Schlacht aus der Vergangenheit: Gallipoli im Ersten Weltkrieg. Das Bild von 2004 heißt "Halli Galli Polly" und kann von den Betrachtern auch anders gelesen werden: Ein steigendes Geister-Pferd wird von Beißhunden, Katzen und Vögeln angegriffen.

Im Hintergrund ein modernes Bühnenbild - davor haben die kriegerischen Menschen tierische Stellvertreter. Ist deren Amoklauf einfach nur Allegorie auf George Orwells "Animal Farm"? Ein blauer Batman trägt hinter dem aufgebäumten Pferd unter dem Sowjetstern Eulen nach Athen. Viele Nachtvögel sind blutrot, der Tod schaut ganz klein aus einem Fenster der Glasarchitektur. Da ist die Postmoderne schon vorbei – gekippt in neue Phantasmagorien.

Doch es sind nicht nur die Inhalte, die zum Teil schwer herauszulesen sind, die Präsenz der Bilder ist eine unmittelbare: Sie sind lebendig, stark, in abstrakten Details besonders gut gemalt. Manchmal reicht wieder das allein. Beruhigend für die Malerei.

Aufzählung Ausstellung

Daniel Richter
Daniel Richter und Andreas Hoffer (Kuratoren)
Sammlung Essl
Klosterneuburg
Zu sehen bis 10. Jan. 2010

Printausgabe vom Mittwoch, 28. Oktober 2009

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