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Cy Twombly im Mumok: Weiße Schleier der Erkenntnis

02.06.2009 | 19:47 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Mit einer verwegen eleganten Retrospektive wird in Wien ein Künstler vorgestellt, der hier nahezu unbekannt ist, international aber ein Superstar.

Sechs Reihen zarter schwarzer Kringel, mit Wachskreide locker über beige Wandfarbe geschwungen – das war das Einzige, was von dem Künstler mit dem scheinbar so unaussprechlichen Namen, Cy Twombly, jahrzehntelang in Wien sichtbar war. 1968 entstanden, kam das Bild als Dauerleihgabe der Stiftung Ludwig ins Museum moderner Kunst. Ungeheuer stille Kunst, für die sich vor allem Künstler begeisterten, Franz West zum Beispiel schätzte Twomblys „Sinnschleifen“ oder Herbert Brandl. Einen „Artist's Artist“ nennt man solche Insiderstars gern etwas ratlos.

Und dann katapultiert einen das Mumok mit einer verwegen eleganten Retrospektive des 81-jährigen US-Malers plötzlich doch noch selbst hinein, mit Haut und Haar, in das verwunschen ruhige Auge eines ungeahnt poetischen Wirbelsturms. Schwelgerisch lässt man in der zentralen Koje im Erdgeschoßsaal den Blick schweifen: „Arcadia“ heißt eines der duftigen, hellen Gemälde aus den 50er-Jahren, die einen hier umspielen, geheimnisvolle Palimpseste, mehrfach überschriebene, überkritzelte, überzeichnete Wände, die unprätentiös undefinierbare Spuren konservieren, vom alltäglichen Werden und Vergehen an sich erzählen.

Ein Bild für über 20 Millionen Euro

Durch Ausblicke, Durchbrüche in den Wänden, die gleichzeitig als breite, gepolsterte Raststellen mitten in der Ausstellung fungieren, schimmert in diesen lichten Nukleus aber schon ein Hauch von Farbe herein: Vier große Gemälde aus den 60er-Jahren zeigen, wofür Twombly so berühmt und teuer wurde – schon ein einzelnes dieser Bilder würde heute wohl am Kunstmarkt über 20 Millionen Euro erreichen. Wovon man sich nicht beeindrucken lassen sollte.

Sehr wohl aber von der nervösen Feinnervigkeit dieser monumentalen Kompositionen, deren Titel manchmal sachte Anhaltspunkte im Gewirr aus graffitiartigen Skizzen, hingekritzelten Wörtern und pastos aufgesetzten Farbklecksen geben. In „School of Athens“ (1961) etwa kann man das Gewölbe erahnen, das man von Raffaels gleichnamigem Fresko im Vatikan kennt. Oder man entdeckt Blüten und Knospen im „Empire of Flora“, einem Lieblingsbild des zurückgezogen in Rom lebenden Künstlers, erzählt Kurator Achim Hochdörfer, der nach seinem Kunstgeschichtestudium das Glück hatte, im Atelier des Künstlers arbeiten zu dürfen.

Jahrelang hat er die Retrospektive vorbereitet und ist zu einem bemerkenswert schönen, auch für Kenner von Twomblys Werk anregenden Ergebnis gekommen. Optisches Prunkstück ist dabei der Saal im Erdgeschoß, der eine Art Einführung in das Unbestimmte, Fragile, Brüchige bei Twombly bietet und exemplarisch vorzeigt, was diese Ausstellung auch im Vergleich mit den großen Retrospektiven, die in den vergangenen Jahren in München oder London zu sehen waren, auszeichnet – die Verschränkung aller Medien, derer Twombly sich bedient.

Zwar ist er vor allem als Maler erfolgreich, seit den 50ern entwickelte er parallel dazu aber auch in Zeichnung, Fotografie und Plastik seinen eigenen, einflussreichen Stil. Die sperrigen, mit weißer Farbe überzogenen Objekte etwa zeigte schon Harald Szeemann 1986 in Wien als „Vorläufer der Bricolage der 80er-Jahre“ (Markus Brüderlin), der postmodernen „Bastlerkunst“. Zeichnung und die Malerei verschmelzen allein schon durch Twomblys Stil, der auf die Leinwand genauso zeichnet, wie er auf Paper malt.

 

Bekanntschaft mit Rauschenberg, Cage

Twomblys Fotografie wurde vergleichsweise spät entdeckt, sie erzählt von einer ähnlichen Unaufgeregtheit und schwebenden Unbestimmtheit wie Malerei und Plastik: Die eigene Kunst oder alltägliche Motive wie Strände oder Rosenblüten sind meist unscharf, immer wieder erscheinen Lichtflecken, die von Möglichkeiten des Übergangs stammen, von Türen, von Fenstern, es ist dieses verwaschene Weiß der Leinwände, das so auch hier präsent wird. Etwa in einem frühen Foto, das Twombly vom Atelier machte, das er sich mit Robert Rauschenberg teilte, mit dem er seine ersten Reisen in mediterrane Gefilde unternahm, wo er schließlich, bis heute, in Italien hängen blieb.

Die programmatische Verwendung von Weiß in Twomblys Werk erklärt Kurator Hochdörfer mit einer Begegnung des Künstlers mit John Cage auf dem legendären Black Mountain College 1952: Twomblys Weiß sei das Pendant zur Stille in Cages Kompositionen, die überhaupt erst ermöglichte, alltägliche Geräusche, bei Twombly eben Formen, Zeichen als eigenständige Ausdrucksmittel wahrnehmbar zu machen.


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