Erlebniskunst,sauber und nett
V om fotogenen Spinnennetzraum zur Nische, wo Stoßstangen von der Decke baumeln. Vom poetischen Goldfadenambiente zum zerbrochenen Spiegelzimmer. Vom elementaren Dunkel, das nur durch Standby-Lichter diverser Elektronikgeräte belebt wird zum Wildwuchsdschungel bedrohlicher Pflanzen. Wenn die von Daniel Birnbaum kuratierte Biennale von Venedig einen Trend verkündet, dann jenen zur Erlebnisraumkunst.
Das große Ziel heißt Verblüffung. Installationen, so weit das Auge reicht. Möglichst spektakulär und überraschend. Der überwunden geglaubte Materialschlachtgedanke feiert seine Wiederkehr und paart sich mit dem Event: 255 Glühbirnen für ein Lichtobjekt sind eine Selbstverständlichkeit, edle Luster, gefertigt aus Vogelfutter, zaubern Staunen in die Besucheraugen. Schattenspielereien sind überhaupt ein Renner, von verspielt-nostalgisch bis frivol.
Hier quetscht sich ein Luftschiff in einen viel zu engen Gang, dort ist ein Einhorn mit Hunderten von Spiegelstückchen beklebt. Powered by Swarovski? Wie hieß doch noch schnell der Biennale-Direktor? Doch nicht André Heller?
D ie Kunstbiennale von Venedig wird heuer zu einer von Alltagsproblemen weitgehend bereinigten Wunderkammer, die mit optischen Attraktionen wie Farbtunnels und Spiegelkabinetten, Gummireifen als Meterware, Bücherregen und Spazierstock-Stillleben sowie Gartenhäuser, vollgestopft mit Turnringen, protzt. In diesem Triumph der optischen Sensationen bleiben Themen wie Krise und Arbeitslosigkeit, Krieg und soziales Unrecht im Hintergrund.
Nett, schön, sauber, übersichtlich, gebürstet, keimfrei, letztlich harmlos, weil eine Spur zu weltfremd: das ist die Kunst der Birnbaum’schen „Weltenmacher“-Riege.
M oment! Höchste Zeit für einen Einwand: Ist die Kunst verstärkt in gesellschaftspolitischen Fragen engagiert, wird die „Betroffenheitszwang“-Keule ausgepackt. Darf das Publikum in subjektive Fantasiewelten eintauchen, kommt rasch der Vorwurf der harmlosen Beliebigkeit. Gut, aber etwas weniger Lichtspielzauber und Quantitätsfestpiele – die Anhäufung von Hunderten Erste-Hilfe-Kästen macht eine altbackene Installation auch nicht besser – wird man sich wohl wünschen dürfen.
Die Biennale verblüfft weiter: Zum besten Künstler wurde Tobias Rehberger juriert. Sein Werk: ein schrilles Designercafé. Einen Aperolspritzer, bitte! Schnell!