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14.03.2003 19:40

Neuer Schrein für einen alten Schrei
Die "neu gegründete" Albertina präsentiert sich als Mehrzweckhaus mit einer Leih-"Ikone" und einer gelassenen Fotoausstellung



Die "neu gegründete" Albertina präsentiert sich als Mehrzweckhaus. Direktor Klaus Albrecht Schröder hat Edvard Munch gewählt, um seinen populär erweiterten Albertina-Begriff erstmals in die Praxis umzusetzen. Monika Faber präsentiert gelassen die junge Fotosammlung.




Wien - Soll der Hase doch warten. Und mit ihm alle, die bei Grafik bloß an den, in aller reproduktionsbedingten Unwürde, mittlerweile 500-jährigen Nürnberger Rammler denken. Klaus Albrecht Schröder, sein auch schon wieder siebzehntes Herrchen in Albert von Sachsen-Teschens Stadtpalais zu Wien, hält ihn noch unter Verschluss. Zuerst will der Direktor des Hasen neuen Bau bewundert, derart sein Werk nicht hinter eine Kreatur gestellt, von einem Mümmelmann beschattet wissen. Die Albertina selbst, durch Schröder "neu gegründet", um vom heutigen Tag an nicht bloß die feinsinnigsten der Kunstliebhaber, sondern gleich auch die Massen anzuziehen, soll strahlen.

Egal wenn Hans Hollein den passenden Titan-Flügel zu den unpassenden Bullaugen erst später verleiht, wenn hier noch Putz fehlt und dort noch ordentliches Pflaster, die Prunkräume sind so fertig wie die neuen Hallen. Alles ist vorhersehbar "vom Feinsten" - Café und Groß-Shop mit eingerechnet. Und endlich wird es der alte Hase nicht mehr zugig haben, kann in bekömmlichstem Klima gut und gerne noch weitere fünf Jahrhunderte universell rührend die weiche Nase beben lassen.

Etwas ganz Großes braucht es aber dennoch, um den substanziell wie programmatisch erweiterten Albertina-Begriff zu zelebrieren, um klar zu machen, dass eineinhalb Millionen gestalteter Papiere allein nicht reichen werden, die Kassen wunschgemäß zu füllen. Zumindest eine Sensation. Und eine Leih-"Ikone" für das neu gegründete "Weltmuseum". Einen Magneten, dessen temporäre Zurschaustellung aber unantastbar, weil - wie alles Kommende, verspricht Schröder - durch sein Haus, durch seine Sammlung "legitimiert" ist. Und was sollte näher liegen, die Kunde vom frischen ersten Haus am Platz in die Welt zu tragen als Der Schrei, Edvard Munchs hasengleich weltberühmtes Angebot zum unmittelbaren Mitleiden.

"Ein Bild der Angst, der Panik, des Schreckens", betont Klaus Albrecht Schröder im Katalog zu Edvard Munch - Thema und Variation. Und in der Tat eignet sich Munchs Werk, das - fünfzig Leihgebern sei Dank - für Wien umfassend wie nie zuvor zusammengestellt wurde, ganz vorzüglich, Schröders Absichten zu illustrieren: um Konvolute aus der Albertina-Sammlung große monografische Werkschauen von alten wie modernen Meistern und auch Zeitgenossen aufbauen - mit der Grafik als Futter für die gepinselten Zugpferde. 70 Gemälde und 135 Aquarelle, Gouachen, Lithografien und Zeichnungen (davon 20 aus dem weit umfassenderen Bestand der Albertina) zeigen einen Künstler, der - wegbereitend für die Moderne - aus wenigen Grundmotiven Varianten entwickelte, der sehr früh sämtliche Medien und Techniken - auch untereinander kombiniert - auf brauchbare Effekte hin untersuchte.

Und Munch ist dankbar: Er hat mit dem Schrei und mit diversen Varianten von Madonna (deren populäres Potenzial ja auch Andy Warhol erkannt und folglich vermarktet hat) "Ikonen" hinterlassen, weist aufgrund höchst forcierter Eigenwilligkeit einen kaum zu übertreffenden Wiedererkennungswert auf und zählt zu den mittlerweile auch allgemein sanktionierten (bleibt dem Gegenstand verhaftet) Gründervätern der Moderne.

Seine Arbeiten rühren generations-, völker- und bildungsniveauübergreifend unmittelbar. Man kann ihren Appell an den Zustand "Entfremdung" aber auch zum Nach- und Miterleben recht saftig aus Edvards Biografie herleiten: Die halbe Familie fiel der Tuberkulose zum Opfer. Er selbst entkommt nur knapp dem Tod. Beginnt zu malen. Wird lange missverstanden, gar verrissen. Trunksucht. Gelenkrheumatismus. Frauenproblem. (Im Verlauf einer Beziehungskrise mit der Weinhändlerstochter Tulla fällt ein Schuss. Edvard büßt ein Glied des linken Mittelfingers ein, erhält dafür ein weiteres lebenslängliches Trauma.) Schließlich wird er doch berühmt. Zieht sich zurück. Arbeitet aber bis zuletzt.

Künstliche Augen

In der zweiten, der von Erich Steinmayr und Friedrich Mascher wunderbar zurückhaltend konzipierten, fensterlosen Ausstellungshallen ist ein Ausschnitt dessen zu sehen, was als "Fotosammlung" erst 1999 gegründet wurde. Auge und Apparat nennt Monika Faber ihre Zusammenschau der Bestände, die sich aus Materialien der kaiserlichen Kunstsammlung und Bibliothek, aus dem Bildarchiv der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt und dem Archiv des ersten, auf Fotobände spezialisierten Verlags (Karl Robert Langewiesche) zusammensetzen.

Genug Material, die Geschichte der Fotografie von Henry Fox Talbots Pencil of Nature über Schwerpunkte in den Bereichen wissenschaftlicher, experimenteller und technischer Aufnahmen bis hin zur Momentfotografie mit Wegee, Lisette Modell, Brassaï oder William Eggelston anzureißen.

Der Hase erblickt erst zur Dürer-Schau im September 2003 das gedimmte Licht seines neuen "Weltmuseums". (DER STANDARD, Printausgabe, 14.3.2003)


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