Die Albertina präsentiert Aby Warburgs "Bilderatlas Mnemosyne"
Wenn die Hausfee auf den Harakiri-Tod trifft
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Eigen: Aby Warburgs Bilderwelten. Foto: Warburg Institute London
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Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Die 1180 Abbildungen zeigen Variationen von
Kunstwerken durch die Jahrtausende bis zur Reklame: Abraham Moritz
(Aby) Warburgs "Mnemosyne-Atlas" zählt zu den unvollendeten Projekten
moderner Wissenschaftsgeschichte.
Mit seiner Methode der Ikonologie, die neben seinem Wiener
Assistenten Fritz Saxl auch Berühmtheiten wie Erwin Panofsky oder Jan
Bialostocki vertraten, schuf Warburg (1866 bis 1929) eine immer noch
aktuelle Systematik. Bis heute regt seine Mischung von Hochkunst,
Reportage und Reklame auch Künstler und Philosophen an.
Wichtige Heimholung
Der älteste Sohn eines Hamburger Bankiers trat sein Erstgeburtsrecht
an seinen Bruder Max ab – mit der Auflage, alle Unterstützung für seine
Forschungen und Reisen zu bekommen. Daraus resultierte die
Kunstwissenschaftliche Bibliothek Warburg, die bis 1933 in Hamburg
existierte, wo Warburg auch Universitätsprofessor war.
Saxl vertrat ihn während einer Nervenkrise von 1918 bis 1924 und
übersiedelte nach Warburgs Tod mit 60.000 Büchern, 25.000 Fotos und
Mitarbeiterin Gertraud Bing nach England. Das danach entstandene
Warburg & Courtauld Institute – nach Mäzen Samuel Courtauld
mitbenannt – ist heute der Universität London angegliedert.
Die 63 Tafeln, auf denen Warburg meist Schwarzweiß-Fotos befestigte,
sind freilich selbst nur mehr auf Fotografien erhalten – sie wurden
1993 rekonstruiert.
Nach Ausstellungen an der Akademie am Schillerplatz und im
Museumsquartier wurden sie in Hamburg, Tel Aviv und Italien gezeigt und
gingen dann in den Besitz der Albertina über. Im zukünftigen
Studiensaal sind sie nun in Schlangenlinienform verteilt und durch
Modelle, Publikationen, eine Installation und einen Büchertisch
ergänzt.
Das ist nicht nur ein Plädoyer, aus dem deutschen Sprachraum
vertriebene Geisteswelten zurückzuholen, sondern auch eine wesentliche
Ergänzung zur bekannten Wiener Schule der Kunstgeschichte: Warburgs
"kosmische" Relationen, seine Antikenrezeption, seine Beobachtung von
Details, die Gesten und Gebärden als Pathosformeln erscheinen lässt,
sind nicht erst seit Diskussionen der Documenta 12 hochaktuell.
Im Material, von Saxl aufbereitet, stoßen die sich wandelnden Götter
auf Fotos von Mussolini oder Harakiri, Heilige und Nymphen auf
Seefischrezepte eines Kochbuchs, auf Golfer oder die Reklame-"Hausfee"
für Toilettenpapier. Ein weiter Blickwinkel.
Aby Warburg. Der
Bild-Atlas Mnemosyne
Studiensaal der Albertina
Bis 13. Jänner
Bildlabor.
Sonntag, 30. Dezember 2007
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