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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
04. April 2007
18:26 MESZ
Bis 15. April 
Foto: Kunsthaus Graz
Werner Reiterer: "Auge lutscht Welt"

Lachend an die Decke
Das Kunsthaus Graz entführt unter dem Titel "Auge lutscht Welt" in die irritierende Welt von Werner Reiterer

Interaktive Elemente, Selbstporträts und Grafiken werden gezeigt - und in der Galerie Lendl Projektskizzen.


Graz – Mit Werner Reiterer, der seine erste Ausstellung 1987 im Forum Stadtpark hatte und bekennendes Vereinsmitglied ist, erhält erstmals ein österreichischer Künstler im Kunsthaus Graz in einer Personale Raum und Gelegenheit, sein Œuvre zu präsentieren. Auge lutscht Welt: Bereits der Ausstellungstitel, der normalerweise ja etwas Erklärendes hat, verursacht die erste Verunsicherung. Was soll das bedeuten? In welche Richtung geht es hier? Dass man beim Gang durch die Ausstellung das Gefühl nicht los wird, dass einem das Lachen im Hals stecken bleiben wird, verhilft nicht zur Entspannung.

Dabei ist den Arbeiten Reiterers nicht das große, tiefsinnige Grübeln über den Sinn des Lebens oder das Sein der Welt immanent. Ihnen haftet ein starkes humoristisches Element an, dass jedoch von teilweise zutiefst schwarzem Humor geprägt ist. Reiterer geht es eindeutig um die Verstörung und das Brechen "normaler" Wahrnehmungspraktiken. So fordert er die Besucher und Besucherinnen per an die Wand gehefteten Zetteln auf, aus vollstem Halse zu schreien – etwas, das man im öffentlichen Raum nicht unbedingt tut bzw. als starkes Aus-sich-Heraustreten, quasi Sich-Outen empfindet.

Der Schrei bewirkt, dass durch den Ausstellungsraum ein tiefes Atmen zu hören ist und im gleichen Rhythmus die Beleuchtung aus- und wieder angeht. So zieht man gleich in zweifacher Hinsicht die Aufmerksamkeit auf sich, welche die meisten Menschen in der Öffentlichkeit lieber vermeiden, als sie bewusst zu provozieren. In ähnlicher Weise spielt der Künstler mit den Besuchern, indem sie über Lautsprecher zum Nähertreten aufgefordert, richtiggehend angelockt werden. Sobald man eine bestimmte Linie überschreitet, brüllt dieselbe Stimme Unflätiges und vertreibt einen sogleich wieder.

Neben Arbeiten dieser Art, die den Skulpturenbegriff aufs Äußerste weiten und spannen, gibt es zwei weitere Werkblöcke, von denen der eine Arbeiten mit dem Konterfei des Künstlers präsentiert: Selbstporträts im weitesten Sinne, da es nicht um die Selbstdarstellung an sich geht, sondern um das Umsetzen von humorvollen Gedankengängen und Vorstellungen, die in skulpturalen Installationen münden. Da schwebt Reiterer durch einen Schlauch mit einer Gasflasche verbunden an der Decke der Halle, oder er liegt mit hochrot erhitztem Kopf in einer Badewanne, während aus einem Ohr Rauch aufsteigt. "I thought it's an Idea, but it's my Brain" (2005) lautet der Titel dieser Arbeit. So soll man sich also einen Künstler vorstellen – kurz bevor ihm das Hirn vor lauter Ideen "explodiert".

"Die gezeichneten Ausstellungen" heißt der 1996 begonnene Zyklus von Grafiken, der die dritte Werkgruppe bildet. Es sind dies Bleistiftzeichnungen, bei denen der Künstler das gesamte Spektrum an Härtegraden von Bleistiften ausnutzt, um unterschiedliche Schattierungen zu erreichen, während zugleich durch die Wahl des immergleichen Formats ein stereotyper Zusammenhang hergestellt wird.

Die Grafiken zeigen Arbeiten, die sich als Skulpturen ausgeführt finden, aber auch solche, die nicht verwirklicht wurden bzw. gar nicht erst dafür gedacht waren. Sei es aus Prinzip oder aus der Unmöglichkeit heraus, dies zu tun. Hier gibt es die Verbindung zur Ausstellung The Site Specific Mobiles in der Galerie Lendl: Reiterer präsentiert bis 5. Mai die Skizzen zu komplexen Projekten im öffentlichen Raum, die zum Teil nicht realisiert werden konnten.

Trotz aller Verunsicherung überträgt sich Reiterers humoristischer Zugang zur Kunst mittels seiner Arbeiten auf die Besucher, und man kann die Frage, ob uns Kunst zum Lachen bringen darf, getrost mit Ja beantworten. (Nora Theiss / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.4.2007)


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