Ausstellungen
Opfer der
Kommune
Ein Wiener Museum huldigt von dieser Woche an dem
Künstler Otto Mühl - trotz alter und neuer Missbrauchsanschuldigungen gegen den
Kommunarden.
Im biederen Wien der sechziger Jahre war er der Mann fürs Geschmacklose,
Rohe, Aufrührerische. Der grobschlächtige Künstler mit den rustikalen Manieren
ließ bei seinen ebenso heftig bejubelten wie heiß bekämpften Aktionen Kot auf
die Bühne werfen, dekorierte seine Modelle mit frischen Schweinedärmen und
reichlich dampfendem Tierblut. Otto Mühl war der personifizierte
Skandal.
Dank seiner animalischen Schauveranstaltungen wurde Otto Mühl,
78, einer von Österreichs erfolgreichsten Aktionskünstlern - und ein begehrter
Exportartikel dazu. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, dass das
renommierte Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien an diesem Dienstag eine
große Retrospektive der Arbeiten Mühls eröffnen will: "Otto Muehl. Leben / Kunst
/ Werk. Aktion Utopie Malerei 1960-2004".
Doch nebenbei ist der Künstler
auch ein verurteilter Sexualstraftäter. Als Prediger der freien Sexualität und
Gründer einer obskuren "Aktions-Analytischen Organisation" (AAO) stand er von
1972 bis 1990 in einem abgelegenen Winkel des österreichischen Burgenlands einer
Kommune auf dem Landgut Friedrichshof vor, in der bis zu 700 Jünger die Lehren
des Meisters unter dessen Anleitung in die Tat umsetzten - und dabei machte sich
Mühl der Kinderschändung strafbar. 1991 verurteilte ein österreichisches Gericht
den Künstler wegen "Beischlaf mit Unmündigen, Unzucht und Vergewaltigung" zu
sieben Jahren Haft, von denen er sechseinhalb Jahre absitzen
musste.
Anlässlich der Mühl-Schau im MAK, in der sie den Versuch einer
Rehabilitierung des Künstlers sehen, melden sich nun zwei junge Frauen zu Wort,
die neue Vorwürfe erheben: Mühl habe nicht nur, wie bislang bekannt war,
Teenager missbraucht, sondern auch Kinder in jüngerem Alter.
In
eidesstattlichen Erklärungen schildern die beiden Opfer, wie Mühl sie als kleine
Kinder zu sexuellen Handlungen gezwungen habe. Eine der Frauen, heute 29, sagt
etwa aus, sie habe als Fünfjährige, umringt von der Führungsmannschaft der
Kommune, Mühl sexuell befriedigen müssen.
Für eine Stellungnahme zu den
neuen Vorwürfen war Mühl Ende vergangener Woche nicht erreichbar. In Interviews,
so gerade erst in der "Zeit", hat er immer wieder beteuert, er habe nur mit
geschlechtsreifen Partnerinnen ("Das waren alles entwickelte Mädchen") verkehrt,
im Übrigen habe ihm beim Prozess 1991 sein Anwalt geraten, "alles zu gestehen.
Ich bin kein Kinderschänder. Das ist doch Blödsinn".
Die beiden nun gegen
Mühl auftretenden Frauen sagen, sie seien zur Zeit der Gerichtsverhandlung gegen
Mühl von Ex-Kommunarden gezwungen worden, nicht über die Geschehnisse zu reden.
Insbesondere über die aktuelle Ehrung ihres Peinigers empört sich eine der
beiden: "Es darf doch nicht wahr sein, dass Otto Mühl nach dem, was er den
Kindern vom Friedrichshof angetan hat, ins Museum kommt und viele von uns mit
den psychischen Schäden, die er uns zugefügt hat, in der Klapse
enden."
Trotz Mühls bereits bekannten pädophilen Verfehlungen will das
MAK, so dessen Direktor Peter Noever, an der Hommage unbeirrt festhalten. Für
Noever ist Mühl "einer der bedeutendsten österreichischen Maler der
Nachkriegsgeschichte".
Strafrechtlich sind die neuen Vorwürfe über Mühls
Umtriebe als Kommunarde irrelevant, weil die Taten verjährt sind. Noevers
Kommentar: "Wir müssen die Ausstellung jetzt einfach machen, danach kann man
über die Geschichte reden."
Nach den ursprünglichen Plänen des
MAK-Direktors und seiner Kuratorin Bettina Busse wäre in der Mühl-Jubelschau die
Kommunezeit ausführlich und reichlich unkritisch dokumentiert worden; unter dem
Titel "Otto Muehl - Das Leben ein Kunstwerk" sollten "zum Teil unveröffentlichte
Fotos" aus dem Kommuneleben gezeigt werden. Auf massive Intervention von Hans
Schröder-Rozelle, dem Sprecher Mühl-abtrünniger Ex-Kommunarden, reduzierten die
Ausstellungsmacher den AAO-Teil in den vergangenen Wochen auf ein Minimum.
Schröder-Rozelle hatte gefordert, dass auch "die Opfer des Menschenverächters
Otto Mühl" gehört werden und zumindest ihre Persönlichkeitsrechte geschützt
werden müssten.
Im Übrigen sind die Kommunezeiten keineswegs ganz
vorüber. Ein Rest von zwei Dutzend Kommunarden hat sich an der portugiesischen
Algarve niedergelassen. Auch dort soll weiter eine, so ein Kommunemitglied,
"Generationen übergreifende Zärtlichkeit" praktiziert werden.
Der
ehemalige Kommunarde Schröder-Rozelle, der nie dem Führungskreis der Kunstsekte
angehörte, ist verbittert: "Wir haben es leider nicht geschafft, unsere eigenen
Kinder vor Missbrauch zu schützen, da wir jahrzehntelang unser Gehirn
ausgeschaltet hatten." Deshalb will er nun wenigstens "die Kinder retten, die
heute noch von Mühl benutzt werden".
Darüber, ob das nötig ist, dürfen
auch die Gäste der Ausstellungseröffnung im MAK sinnieren. Zur Vernissage soll
Mühls Jugendgruppe Art & Life Sahara Baby Jazzband aufspielen.
JÜRGEN KREMB
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