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19.08.2003 - Kultur News
Interview mit Edith Kramer: Ein symbolisches Leben
Die Malerin und Therapeutin Edith Kramer im Gespräch über Kunst, ihre Vorbilder und ein bewegtes Leben.
VON NORBERT MAYER


Sie lebt in zwei Welten. Edith Kramer verbringt den Sommer am Grundl see, um zu malen. Das übrige Jahr lebt sie in den USA, wo die 1916 in Wien geborene Künstlerin noch immer unterrichtet - in New York und Washington. Kramer hat richtungweisende Bücher über Kunsttherapie für Kinder geschrieben. Ende August ist sie in Pernegg bei der GLOBArt-Akademie zu Gast, das Thema: "Von der Ohnmacht der Macht".

Das Ausgeliefertsein hat Kramer erfahren, als sie wegen ihrer jüdischen Herkunft vor den Nazis flüchten musste. "Über das, was auf der Welt geschieht, hat man leider nicht viel Macht. Sie ist meist beschränkt auf die Möglichkeit, sein eigenes Leben sinnvoll einzurichten. Ich habe es so führen können, wie ich es wollte. Die Kunst war dabei immer die Hauptsache, das Zentrale", sagt Kramer und klopft bekräftigend auf den Tisch. "Ich habe 1938 Glück gehabt, dass ich emigrieren konnte. Ich habe weiter gemalt. Aber ernährt habe ich mich durch die Kunsttherapie, habe mit verwahrlosten Kindern gearbeitet."

Mit Monets Spruch, das Malen sei eine Qual, kann die rastlose Handwerkerin nichts anfangen. "Ich finde es eine große Freude. So lange ich lebe, werde ich Bilder malen, Skulpturen machen, schnitzen. Man muss sich anstrengen und verpatzt auch viel - vor allem als Junger." Ihrer neuen Heimat ist sie zutiefst dankbar: "In Amerika war es zu meiner Zeit möglich, in Würde arm zu sein. In Europa hätte ich das nicht können - drei Tage Broterwerb, vier Tage malen."

Zu zwei der therapierten Kindern hat Kramer immer noch Kontakt: "Angel ist heute bei der Navy, aber er malt immer noch, und ein Blinder, Carvis, der heute Prediger ist, macht Skulpturen. Es hat mich erstaunt, was für ein guter Plastiker er geworden ist." Meist ändere sich ja das Verhalten in der Pubertät sehr. "Kinder sind alle begabt, aber es werden sehr viele durchschnittliche Erwachsene daraus, wie Anna Freud einmal gesagt hat. Kinder leben ein symbolisches Leben. Da hat die Kunst viel Platz. Künstler bewahren sich das." Man müsse schon besessen von der Kunst sein, bereit sein, auf Wohlstand zu verzichten. "Gott sei Dank muss ich von der Kunst nicht leben. Zudem bin ich allein geblieben. Das hält ein Mann nicht aus, dass er nicht das Wichtigste im Leben einer Frau ist." Ein Verlust? "Als Therapeutin habe ich genügend mütterliche Freuden und Leiden gehabt."

Ein besonderes Vorbild für Kramer ist Anselm Kiefer: "Der ist ein ganz großer Künstler, den bewundere ich ungeheuer. Er übersetzt in toller Weise. Sein Thema ist der Untergang der Welt. Von den früheren verehre ich am meisten Breughel - den besuche ich immer im Kunsthistorischen -, von den modernen Cézanne." Es gebe immer viel mehr schlechte Kunst als gute. Und heute? "Die aggressive Kunst finde ich fürchterlich. Heute ist sehr viel auf Sensation aufgebaut. Da macht man halt Striche oder wirft mit Farben. Unsere kommerzielle Welt kann die Kunst nicht mehr brauchen, nur mehr verzerrt als Werbung. Solange die Kultur mit Magie und Religion zu tun hatte, hatte sie eine Funktion. Wie sie die verloren hat, ist es für die Künstler schwerer geworden." Kunst werde nun verschlungen, selber trage man kaum noch zu ihr bei.

Ihr Stil? "Ich male immer direkt vor der Natur. Die Realität ist so interessant, dass ich mir nichts anderes ausdenken muss. Klee konnte das. Der konnte Vierecke in verschiedenen Farben machen und es einen Obstbaum nennen - und es war ein Obstbaum. Er war ein Magier. Ich bin es nicht."



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