Sie lebt in zwei Welten. Edith Kramer verbringt den Sommer am Grundl
see, um zu malen. Das übrige Jahr lebt sie in den USA, wo die 1916 in Wien
geborene Künstlerin noch immer unterrichtet - in New York und Washington.
Kramer hat richtungweisende Bücher über Kunsttherapie für Kinder
geschrieben. Ende August ist sie in Pernegg bei der GLOBArt-Akademie zu
Gast, das Thema: "Von der Ohnmacht der Macht".
Das Ausgeliefertsein hat Kramer erfahren, als sie wegen
ihrer jüdischen Herkunft vor den Nazis flüchten musste. "Über das, was auf
der Welt geschieht, hat man leider nicht viel Macht. Sie ist meist
beschränkt auf die Möglichkeit, sein eigenes Leben sinnvoll einzurichten.
Ich habe es so führen können, wie ich es wollte. Die Kunst war dabei immer
die Hauptsache, das Zentrale", sagt Kramer und klopft bekräftigend auf den
Tisch. "Ich habe 1938 Glück gehabt, dass ich emigrieren konnte. Ich habe
weiter gemalt. Aber ernährt habe ich mich durch die Kunsttherapie, habe
mit verwahrlosten Kindern gearbeitet."
Mit Monets Spruch, das Malen sei eine Qual, kann die
rastlose Handwerkerin nichts anfangen. "Ich finde es eine große Freude. So
lange ich lebe, werde ich Bilder malen, Skulpturen machen, schnitzen. Man
muss sich anstrengen und verpatzt auch viel - vor allem als Junger." Ihrer
neuen Heimat ist sie zutiefst dankbar: "In Amerika war es zu meiner Zeit
möglich, in Würde arm zu sein. In Europa hätte ich das nicht können - drei
Tage Broterwerb, vier Tage malen."
Zu zwei der therapierten Kindern hat Kramer immer noch
Kontakt: "Angel ist heute bei der Navy, aber er malt immer noch, und ein
Blinder, Carvis, der heute Prediger ist, macht Skulpturen. Es hat mich
erstaunt, was für ein guter Plastiker er geworden ist." Meist ändere sich
ja das Verhalten in der Pubertät sehr. "Kinder sind alle begabt, aber es
werden sehr viele durchschnittliche Erwachsene daraus, wie Anna Freud
einmal gesagt hat. Kinder leben ein symbolisches Leben. Da hat die Kunst
viel Platz. Künstler bewahren sich das." Man müsse schon besessen von der
Kunst sein, bereit sein, auf Wohlstand zu verzichten. "Gott sei Dank muss
ich von der Kunst nicht leben. Zudem bin ich allein geblieben. Das hält
ein Mann nicht aus, dass er nicht das Wichtigste im Leben einer Frau ist."
Ein Verlust? "Als Therapeutin habe ich genügend mütterliche Freuden und
Leiden gehabt."
Ein besonderes Vorbild für Kramer ist Anselm Kiefer: "Der
ist ein ganz großer Künstler, den bewundere ich ungeheuer. Er übersetzt in
toller Weise. Sein Thema ist der Untergang der Welt. Von den früheren
verehre ich am meisten Breughel - den besuche ich immer im
Kunsthistorischen -, von den modernen Cézanne." Es gebe immer viel mehr
schlechte Kunst als gute. Und heute? "Die aggressive Kunst finde ich
fürchterlich. Heute ist sehr viel auf Sensation aufgebaut. Da macht man
halt Striche oder wirft mit Farben. Unsere kommerzielle Welt kann die
Kunst nicht mehr brauchen, nur mehr verzerrt als Werbung. Solange die
Kultur mit Magie und Religion zu tun hatte, hatte sie eine Funktion. Wie
sie die verloren hat, ist es für die Künstler schwerer geworden." Kunst
werde nun verschlungen, selber trage man kaum noch zu ihr bei.
Ihr Stil? "Ich male immer direkt vor der Natur. Die
Realität ist so interessant, dass ich mir nichts anderes ausdenken muss.
Klee konnte das. Der konnte Vierecke in verschiedenen Farben machen und es
einen Obstbaum nennen - und es war ein Obstbaum. Er war ein Magier. Ich
bin es nicht."
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