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Die größte „Wien 1900“-Schau in der Schweiz

14.10.2010 | 18:42 | BARBARA PETSCH (Die Presse)

Die Baseler Fondation Beyeler zeigt über 320 Werke aus Wien. Kuratorin Barbara Steffen über die Macht der Kuratoren, Wiener Kantönli-Geist - und was uns Schiele mit seinen offenherzigen Aktdarstellungen sagen wollte.

Die Presse: „Wien 1900“ ist ein berühmter Slogan, der einen Boom auslöste, allerdings vor rund 20 Jahren. Was ist das Besondere an der Ausstellung in der Baseler Fondation Beyeler?

Barbara Steffen: In der Schweiz hat es bisher zu „Wien 1900“ keine große Überblicksausstellung gegeben. Es kommen 1500 Besucher am Tag. Das ist sehr gut. Wir haben 320 Ausstellungsobjekte. Es ist eine der größten Ausstellungen über Wien. Ein wichtiger Aspekt ist das Gesamtkunstwerk – die Vereinigung von niedriger und hoher Kunst ist ein sehr moderner Gedanke. Ich habe fast zwei Jahre recherchiert. Es sind alle wichtigen Bereiche in der Ausstellung versammelt: Kunsthandwerk, Möbel, Architekturmodelle, Malerei, Zeichnungen, Schmuck, Mode.

Was sind die Highlights?

Schiele, Klimt, die Entstehung der Secession. Drei Porträts von Klimt werden das erste Mal in der Geschichte gemeinsam gezeigt: Es sind die Darstellungen von Ria Munk, die sich mit 24 Jahren wegen einer unglücklichen Liebe umgebracht hat. Eine weitere Besonderheit der Ausstellung in Basel ist, dass zwei der wichtigsten Wiener Sammlungen höchst spendabel waren, das Leopold Museum und die Albertina, die sonst nicht so gern gemeinsam leihen...

Warum nicht? Eine Art wienerischer Kantönli-Geist?

So hart würde ich das nicht formulieren.

Glauben Sie, dass irgendwann die Wien-1900-Sammlungen von Belvedere, Albertina und Leopold Museum vereint werden – in einem 1900-Museum, um die Touristen zu erfreuen?

Das fände ich keine gute Idee. 95 Prozent der Gemälde von Schiele in der Schweizer Ausstellung stammen aus der Leopold-Sammlung. Das Leopold Museum ist das einzige wirklich große und weltweit berühmte Sammler-Museum, das wir in Österreich haben.

Sie waren viel im Ausland tätig, etwa im New Yorker Guggenheim Museum. Was unterscheidet die europäische Kunstszene von jener in den USA?

Die Unterschiede sind riesig. Die amerikanischen Museen sind fast alle privat. Es ist alles viel mehr in Bewegung als in Europa. Die Sammler haben eine große Macht. Sie geben ihre Werke ins Museun und wollen dann vor allem, dass ihre eigenen Sammlungen ausgestellt werden. Ich habe zuletzt in der Sammlung von Eli Broad gearbeitet. Er ist der größte Sammler zeitgenössischer Kunst der USA. Er lässt sich ein großes eigenes Museum von Zaha Hadid in Michigan bauen, das in zwei Jahren fertig sein soll. Er hat das Moca Museum (Museum of Contemporary Art in Los Angeles) mit 30 Mio. Dollar vor dem drohenden Bankrott gerettet und die Walt Disney Concert Hall in L. A. finanziert. Teile seiner Sammlung sind im L. A. County Museum als Dauerleihgabe.

Sie sind Kuratorin. Wie mächtig sind diese Leute? Sie bestimmen den Kanon, wer vorkommt, wer nicht. Das scheint manchen verdächtig.

Ich weiß nicht, wie das in Wien gesehen wird. In Amerika ist der Kurator sicher in einer sehr einflussreichen Position. Das ist auch richtig so, denn es sind die Kuratoren und Kuratorinnen, die sich am meisten mit einer Ausstellung beschäftigen. Die Unabhängigkeit der Kuratoren ist in Amerika größer als in Österreich. Hier mischen sich die Museumsdirektoren in alles ein. In den USA sind sie hauptsächlich mit dem Fundraising und dem Board-Management beschäftigt, sprich mit dem Auftreiben von Geldern und den Kontakten zu den Geldgebern. Das ist ein Grund, warum ich vom Guggenheim weggegangen bin: Es geht vor allem ums Geld in Amerika. In Österreich wird der Kurator oft nicht einmal genannt. Das ist ärgerlich, denn er hat die Hauptarbeit bei einer Ausstellung. Wenn Sie die „New York Times“ lesen, dann sind von den zehn einflussreichsten Leuten der Kunstszene drei Künstler, vier Kuratoren – und eben die Museumsdirektoren. Ich finde das österreichische System mit der starken Hierarchie in den Museen und der Macht der Direktoren altmodisch. Die Leute sollten mehr zusammenarbeiten.

Die „Sammlung Kamm“ in Zug, die ebenfalls Leihgeber der Ausstellung im Beyeler-Museum ist, wurde von Fritz Wotruba während seines Schweizer Exils mitaufgebaut. Wieso haben heute Künstler bei der Entstehung von Sammlungen so wenig zu reden?

Künstler sind nicht die besten Ratgeber. Ihnen fehlt der distanzierte Blick. Sie sind hauptsächlich mit ihrem eigenen Werk beschäftigt und oft zu sehr auf ihren eigenen Stil beschränkt. Es gibt natürlich Ausnahmen, zum Beispiel John Baldessari. Er ist Künstler und Lehrer. Er ist fast 80 und hat eine unglaubliche Offenheit. In den Achtzigerjahren haben alle wichtigen Künstler bei ihm studiert, etwa Cindy Sherman oder Julian Schnabel. Noch heute geht Baldessari in die kleinsten Galerien. Künstler können manchmal gute Ratgeber sein, aber ich bin da immer eher vorsichtig.

Schieles Nacktdarstellungen wirken selbst für heutige, sexuell aufgeschlossene, nicht prüde Zeiten mitunter extrem. Was für ein Frauenbild wird hier transportiert?

Die Zeit von Klimt und Schiele war schwierig für die Frauen: Sie waren völlig abhängig von Beziehungen und Ehen. Wenn ein Mann eine Frau verlassen hat, war das für diese eine gewaltige Blamage. Nur wenige Frauen konnten berufstätig sein oder sich sonst wie befreien, viele waren schwach und neurotisch aufgrund ihrer Situation. Einige schafften es, sich selbst zu verwirklichen: als Musen, Mäzene, Kulturkritiker. Bis zu Schiele war die Nacktheit nur als idealistische Dekoration präsent. Er war ein Kämpfer und Provokateur. Er hat die Menschen realistisch abgebildet – mit einer gewissen Härte. Ihm ging es nicht um den Begriff des Schönen, sondern um das Psychische, das sich im Körper des Menschen ausdrückt. Er wollte das Harte, Karge, Schwierige, auch das Ekstatische, Egomanische und Existenzielle deutlich machen. Er zeigte die Menschen, wie das heute vielleicht eine Jenny Saville oder ein Lucian Freud tut.


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