Weit hinten in den Giardini, wenn man die
meisten
Pavillons schon passiert und die Fußgängerbrücke über den Rio dei
Giardini gequert hat, stehen auf einem idyllischen Extraflecken Land
noch ein paar Pavillons, darunter jene von Griechenland, Brasilien,
Serbien, Polen, Rumänien und letztendlich Österreich. Sie schließen das
Gelände gegen S. Elena ab, das östlichste Wohnviertel Venedigs. Durch
ihre bollwerkähnliche Anlage fordern diese Pavillons die Künstler immer
wieder dazu heraus, die Ausstellungsarchitektur zu unterwandern und
damit Durchlässigkeiten zu schaffen. So öffnete etwa 2005 Daniel Knorr
die Giardini symbolisch, indem er im desolaten rumänischen Pavillon
einen Hinterausgang freilegte.
Und auch rot-weiß-rote
Vertreter haben schon mehrfach in diese Richtung gearbeitet: am
radikalsten Christian Philipp Müller 1993 – bei Österreichs wohl
„internationalster“ Biennale, zu der Kommissär Peter Weibel neben dem
in New York lebenden Schweizer und dem Wiener Gerwald Rockenschaub auch
die US-Künstlerin Andrea Fraser eingeladen hatte. Müller durchbrach
damals für sein Projekt über den Eisernen Vorhang die unscheinbare
Gartenmauer an der Grundstücksgrenze.
Auch in diesem Jahr
drängt Österreich nach draußen – nicht nur im Sinn einer Erweiterung
der Ausstellungsfläche, wenngleich der österreichische Pavillon mit
drei künstlerischen Positionen zweifelsohne dicht bespielt ist. Doch
diesmal ist der Grund so poetisch wie triftig. Denn wenn eine der drei
von Franziska & Lois Weinberger stammt, dann ist das Hinausgehen
geradezu zwingend.
Wider das modische Getue.
Weinberger – dieser Name steht sowohl in der Konstellation als
Künstlerpaar (seit 2003) als auch einzeln seit den 1970er-Jahren für
einen prozesshaften Kunstbegriff, der eng mit der Natur und ihrer
Überformung durch die Gesellschaft verknüpft ist. Die besondere
Aufmerksamkeit gilt dabei immer dem Randständischen, Unbeachteten. Gut
in Erinnerung ist noch Lois Weinbergers documenta-10-Beitrag, bei der
er am Rande des Kasseler Kulturbahnhofs auf einer aufgelassenenen
Gleisanlage einen wilden „Garten“ aus Ruderalien (Unkräutern) aufgehen
ließ.
Diesmal haben sich Franziska & Lois Weinberger, die
ihre Arbeit buchstäblich als „Feldforschung“ verstehen, abermals auf
einem ausgeschiedenen Stück Land niedergelassen: Auf einer Wiese, die
den Pavillon gegen das Wasser abgrenzt, wurde aus Bauholz ein mit einer
Plane abgedecktes „Salettl“ errichtet. Darin befindet sich eine
Skulptur, die den Besucher auf eindringliche Weise mit dem Werden und
Vergehen in der Natur konfrontiert. Ein Schild mit der Aufschrift
„Ruderal Society“ stellt die Installation in den Kontext des
Weinberger’schen Œuvres. „ Die Idee ist“, sagt Franziska Weinberger,
„einen Augenblick beim Verwandlungsprozess dabei zu sein.“ „Und einen
Einblick in die Natur zu geben, der mit dem modischen Getue um Ästhetik
und Wohlbefinden nichts zu tun hat“, ergänzt Lois.
Wie vielschichtig
und in der Zeit gewachsen dieses Werk ist, zeigt im Innenraum eine
Ausstellung mit Arbeiten seit den 1970ern. Bestehend aus Zeichnungen,
Text-, Foto- und Videoarbeiten und gegossenen wie auch gefundenen
Skulpturen dokumentieren sie die Ernsthaftigkeit und die Tiefe, aber
auch den Humor, die einem dieses Werk so unvermittelt unter die Haut
gehen lassen.
Kühles Experiment. Eine
nachgerade kühle, in ihrer analytischen Klarheit nicht weniger
faszinierende Position nimmt dagegen die Medienkünstlerin Dorit
Margreiter (*1967) ein. In ihrem jungen Werk umkreist sie das Thema
Film und hinterfragt – vom Making-of bis zur Filmindustrie – immer
wieder auch die kulturellen Voraussetzungen des Mediums. „Ich hatte
bisher noch nie die Möglichkeit, meine Vorstellung von Raum so präzise
umzusetzen“, sagt sie. „Die Biennale bietet den Raum, Experimente bis
zum letzten Punkt auszuprobieren.“
Dafür hat sie nun einen
Seitenflügel des Pavillons zum Kino umgebaut, nicht ohne ihn zuvor als
Set für einen Stummfilm zu verwenden. „Ich wollte diesen Raum, der wie
ein historisches Gartenhaus erscheint, aber als zeitgenössischer
Ausstellungsraum völlig ungeeignet ist, als filmischen und skulpturalen
Raum untersuchen. Dabei hat mich vor allem die Architektur des
Pavillons mit ihren spektakulären Lichtspielen interessiert.“
In
den kommenden fünf Monaten ist nun die Vorführung das Ereignis. Dafür
hat Margreiter einen fürs Publikum nur über die Vorführkabine
zugänglichen Einbau errichtet, der die normalerweise verborgene
Apparatur in ihrer Materialität ebenso sichtbar macht wie die
Immaterialität des Mediums –
etwa indem die Laibung des Fensters zwischen Vorführkabine und Zuschauerraum in ihrem Schrägverlauf dem Lichtkegel des Projek-
tionsstrahls folgt.
Der umgekehrte Blick.
In eine dritte Richtung treibt Elke Krystufek den Raum mit ihrer
wuchernden Malerei-Installation aus Bildern, Zeichnungen, Graffitis
und Overall-Paintings an Wänden und Glas. Leitmotivisch kehren Bilder
von Männern wieder, von berühmten wie Nolde, Murnau, Hoffmann ebenso
wie von jungen, etwa dem Designer Michael Ellinger, der ihr Modell
gesessen hat. „Ich habe dezidiert heterosexuelle Models ausgesucht.
Mich hat der umgekehrte Blick interessiert. Denn anders als der Blick
des Künstlers auf die Frau ist der Blick der Künstlerin auf den Mann
als Modell in der Kunstgeschichte ein tabuisiertes Thema, für das es
fast keine Beispiele gibt, was wiederum die herrschenden
Machtverhältnisse spiegelt.“ „Tabu“ lautet denn in Anlehnung an Murnaus
spätes Melodram auch Krystufeks Generalthema, das sie in blauen Lettern
an der Pavillonaußenwand angeschlagen hat – just dort, wo sonst der
Schriftzug „Austria“ prangt.
In einem chiffrierten, aus
Vernissagengesprächen montierten Video führt Krystufek weitere Tabus
ins Treffen: Geld, Inzest, Schwangerschaft. „Das Thema ist in der
Kunstszene total tabuisiert. Überhaupt bin ich immer wieder erstaunt,
wie viele Tabus es noch gibt. Als feminis-tische Künstlerin
interessiert mich das. Die ganze Gesellschaft ist voller Tabus.“
Die Künstler
Elke Krystufek - Tabumalerin
Vom
Shootingstar der 90er hat sich die 39-Jährige längst zum Fixstern der
internationalen Malerei-szene gemausert. Für ihre Biennale-Arbeit
beschäftigt sie sich in einer wuchernden Installation aus Bildern,
Zeichnungen, Graffitis und Video mit unterschiedlichsten Tabus – von
der Sexualität und Schwangerschaft bei Künstlern bis hin zum verbotenen
Blickverhalten.
Franziska & Lois Weinberger - Prozesskünstlerpaar
Im
Leben gehen sie seit den 80er-Jahren gemeinsame Wege. Seit 2003
arbeiten sie auch künstlerisch zusammen. „Mit der Arbeit von Franziska
& Lois Weinberger kommt erstmals in der Geschichte des Pavillons
die Dialektik zwischen Innen- und Außenraum ins Spiel“, sagt
Kommissärin Silvia Eiblmayer über die Arbeit des Künstlerpaars. Mit
Valie Export, die Österreich 1980 selbst mit Maria Lassnig auf der der
Kunst-Biennale vertrat, zeichnet sie für die Künstlerauswahl im
österreichischen Pavillon verantwortlich.
Dorit Margreiter - Medienkünstlerin
Was
kann der Pavillon? Für ihre Filminstallation hat Dorit Margreiter die
Architektur des Pavillons auf den Prüfstand gestellt – inhaltlich, aber
auch praktisch. „Obwohl ich mich schon so lange mit Raum und
Architektur beschäftige, gibt es viele
Herausforderungen. Zum Beispiel die, dass die Arbeit de facto fünf Monate im Freien steht.“