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Belvedere: Die Leiden des jungen Hrdlickas

22.06.2010 | 18:51 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Ausgemergelte Körper, ringende Hände – das Leid prägte das Frühwerk des 2009 verstorbenen Bildhauers. In der Orangerie ist es jetzt erstmals als Block zu sehen.

Mit der umgelernten rechten Hand schrieb das Kind, mit der linken aber zeichnete es. Die Linke prägte Alfred Hrdlicka, den Kommunisten, also nicht nur politisch. Auch die Kunst kam aus dieser Richtung, voll Herz, Energie, Leidenschaft. Und das menschliche Leiden war es auch, das speziell sein steinernes Frühwerk in den 60er-Jahren prägte. Geschundene, gemarterte, verstümmelte Figuren überall. Auf sie konzentrierte sich Kurator Alfred Weidinger in der, wie er sagt, bisher schwierigsten Ausstellung seiner Karriere.

Es war die Biografie des jungen Hrdlickas, die ihn so schaffte – das Schicksal des Kindes eines verfolgten Kommunisten, seine Lehrzeit an der Akademie als Maler, erst später bei Wotruba als Bildhauer scheint zwar schon hunderte Male beschrieben, wurde aber nie endgültig verifiziert. Jetzt konnten zumindest einige Daten und Namen zusätzlich gesichert werden, etwa dass Sigmund Freuds ältester Sohn Martin den Vater Hrdlickas bei einem Prozess wegen „kommunistischer Betätigung“ rechtlich vertrat. Alles nachzulesen in einem Katalog mit integriertem Schleifpapier, das man nicht nur als Hinweis auf den rauen Charakter des 2009 Verstorbenen, sondern auch als Hinweis auf die Arbeit der Frauen in Hrdlickas Werk lesen kann – seine Muse Angelina habe schließlich immer fleißig geschliffen, wie man bei der Pressekonferenz erfuhr.

 

„Mit Affenohren und Elefantenstirn“

So viel zu den Details. Die Ausstellung selbst gelang schlicht und pur wie selten. Im Schlauch der Orangerie, vor blutroten Wänden, werden rund 20 Steinskulpturen effektvoll präsentiert: Ein schmaler, entschwebender männlicher Torso noch aus der Studienzeit macht zeitlich den Anfang. Der scheinbar in Auflösung begriffene „Marsyas III“ aus Hrdlickas Biennale-Venedig-Präsentation 1964 – er war damals 36 – führt weiter. Zur Kreuzigungsgruppe, zu Oskar Kokoschkas ungeliebtem Porträt – „So muss ich also mit Affenohren und Elefantenstirn überleben“ –, zu den ringenden, nicht mehr betenden Händen. Und zum einzigen vertretenen Gemälde, das schon bei Hrdlickas erster Ausstellung in der Zedlitzhalle hing: „Die Badenden“ (1955-1960) haben mit Cézanne allerdings nichts gemein. Sie greifen eine grausame, von einem Bekannten des Vaters erzählte Nazi-Hinrichtungsszene auf.

Ein wenig unter den Tisch fällt bei dieser Referenz auf die historische Zedlitzhalle-Schau der damalige Leidensgenosse Hrdlickas. Mit dem Maler Fritz Martinz bildete er mehrere Jahre lang ein unzertrennliches Duo der Unverstandenen in Wien – beide konsequent gegen den abstrakten Mainstream malend bzw. bildhauernd. Man versteht zwar die Überlegung, dem Bildhauer nach seinem Tod 2009 eine Einzelausstellung widmen zu wollen. Dennoch wäre es gerade die Aufgabe des Belvedere, auch die österreichischen Künstler bekannter zu machen, deren Karrieren weniger glücklich verliefen.

 

So bleibt die Macht von Hrdlickas frühen Steinen eine einsame, wenn auch ungebrochene. Die von jeglicher Beschriftung ungestörte Begegnung kann intim werden. Hier spürt man noch die Konzentration des introvertierten, übersensiblen jungen Wunderlings. Kräftiger im Ausdruck ist aber auch der spätere Berserker nie mehr geworden.


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