Albertina: "Werkumkreisung" von Günter Brus
Wie aus dem Pinselstrich der Rasierklingenschnitt wurde
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Günter Brus und die Albertina - für viele immer noch ein
Widerspruch - das ist für den Staatspreisträger von 1997 eine Würdigung
seiner dominant dem Grafischen zugeneigten Sprachkunst inmitten von Bild
und dekonstruiertem Bild. Der Hauptteil der bis 8. Februar im großen neuen
Ausstellungssaal unter der Rampe präsentierten "Werkumkreisung" (Titel von
Brus) widmet sich dem grafischen Aspekt, wobei natürlich im Fall eines der
Hauptmeister des "Wiener Aktionismus" seine frühen theatralisch-direkten
Kunstausübungen nie ad acta gelegt werden können. Die Sprache und das
Bild zu vereinen, in den Werkprozess auch destruktive Elemente einzubauen,
die den politisch aufgeheizten Bedingungen einer Jugend nach 1945 gerade
in den sechziger Jahren weltweit entsprachen, das sind - verbunden mit
Witz bis zum Sarkasmus und deutlichmachender Auseinandersetzung mit der
Sexualität - die Kernpunkte seines Schaffens. Gerne vergessen werden die
mit Alfons Schilling verbundenen frühen Jahre im Informellen, das nach
1950 aus Paris nach Österreich importiert, eine Brücke zum internationalen
Kunstgeschehen darstellte. Diese Arbeiten - oft auf Papier, das mit
dem Bleistift während gestischer Schraffur durchbohrt wurde - sind
erstmals chronologisch zu sehen. Der universelle Ansatz von Brus zeigt
sich in der frühen Verwendung vieler Medien; die Körperkunst zog eine
Beziehung zu Fotografie und Film als einzige Dokumentation der Aktionen
mit sich: so können wir heute noch (u. a. dank Hoffenreich, Schilling oder
Karin Mack) nachvollziehen, wie aus dem Pinselstrich, der den Körper weiß
und schwarz teilte, der Rasierklingenschnitt wurde. Den später als
Bilddichter vom Destruktiven abgewandten Universalisten auszustellen ist
ein schwieriges Unterfangen: Monika Faber tat es mit gewohntem Feuereifer,
der solchen Persönlichkeiten entspricht. Es scheint, dass sie sich die
Finger an Brus' Werk nicht verbrannt hat - die Präsentation und
Kombinatorik seiner wiederkehrenden Themen in verschiedenen Medien
funktioniert gut in dem kühlen Raum. Am Ende ein Blatt in Mischtechnik
mit neoexpressiver Gestalt samt ratlosem Blick: die Beischrift "warum
Munch ?? 2002" bezieht sich auf die Frage des Künstlers nach der ersten
Schau der Ära Schröder. Daneben die riesige Radierung "Stillstand der
Dynamik", die an den Kosmos als Bühnenbild von Gerhard Roths "Erinnerung
an die Menschheit" in Graz 1985 gemahnt. Der Bezug zur frühen
(Kilometer-)Bild-Zeichnung "Irrwisch" von 1971, als er sich vom
Aktionismus nach der "Zerreißprobe" abwandte, ist bis zuletzt zu finden,
doch scheinen in den letzten Jahren die Reflexion der Kunstgeschichte,
dabei auch Fotografie, stärker geworden. Die Rebellion hat gemäß unserer
Zeit und seines Alters abgenommen - zu Recht sieht Brus dies parallel zu
Nitschs und Mühls Wiedereinstieg in die Malerei oder der Entscheidung
eines Paik oder Beuys für die Objektkunst nach den Aktionen.
Der Zeichner hat aber auch
seine Aktionskollegen und
sich selbst immer wieder in Porträts festgehalten, wie auch seine Aktionen
immer von Skizzen und auf Schreibmaschine geschriebenen Konzepten
begleitet wurden. Somit ist er auch wichtiger Zeitzeuge, wenngleich auch
seine Werkum-kreisung klar macht, dass z. B. von den zwei Auf-
tritten der Aktionisten in der Galerie nächst St. Stephan 1966/67
wenig Dokumentation geblieben ist. Brus wurde nach seinem heute
harmlos anmutenden "Wiener Spaziergang" als lebende Leinwand festgenommen,
auch seine "Selbstbemalung" und "Selbstverstümmelung" erregten die
Gemüter. Nach der vor Gericht abgehandelten Aktion "Kunst und Revolution"
an der Universität 1968 haben sich einige Protagonisten dem Zugriff der
Justiz durch Exil in Deutschland entzogen und gründeten dort eine
"Exilregierung" und die "Schastrommel", eine Kunstzeitschrift, die es bis
1977 zu 17 Nummern brachte. Das Leiden an der Kunst ist
wahrscheinlich der einzige Schwachpunkt der Gruppe in ihren künstlerischen
Rückblicken und mit Ausnahme von Brus haben die Wiener Aktionisten ihre
weibliche Kollegin VALIE EXPORT erst sehr spät als gleichwertig
akzeptiert. Umso spannender ist es aber, mit diesem Werk, die
spätromantische Umwandlung von Kunst in eine ästhetische Religion (bis zum
Priesterkünstler, der sich allerdings stärker bei Nitsch zu Wort meldet) -
voll von Verletzungs- und Foltervisionen - noch einmal nachzuvollziehen.
Erschienen am: 26.01.2004 |
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