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Kunstberichte
Die Französin Niki de Saint Phalle gilt bis heute als eine der wenigen weiblichen Stars der Zeit des Aktionismus

Madonnenmord und Zaubergarten

Ein 
Highlight der Ausstellung im Essl Museum: "La marieé à cheval"
 (Die Braut auf dem Pferd), 1963-97, aus der Serie von Niki de Saint 
Phalles "Bräuten". Foto: Herling/Gwose

Ein Highlight der Ausstellung im Essl Museum: "La marieé à cheval" (Die Braut auf dem Pferd), 1963-97, aus der Serie von Niki de Saint Phalles "Bräuten". Foto: Herling/Gwose

Allegorie: "La tempérance" (Die Mäßigkeit), 1985. Foto: 
Herling/Gwose

Allegorie: "La tempérance" (Die Mäßigkeit), 1985. Foto: Herling/Gwose

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Niki de Saint Phalle: Von der zornigen Selbsttherapie zum künstlerischen Weltruhm.
Aufzählung Das Essl Museum widmet der Künstlerin eine gelungene Schau.

Wien. Vor acht Jahren starb die bekannte französische Künstlerin Niki de Saint Phalle in San Diego in Kalifornien. 1994 hatte sie sich aus gesundheitlichen Gründen dorthin zurückgezogen, arbeitete an ihrem letzten großen Park mit Skulpturen für dortige Kinder.

Die Polyesterdämpfe beim Gießen ihrer frühen Arbeiten in den 70er Jahren hatten ihre Lunge verätzt. Ihre Enkelin, die Künstlerin Bloum Cardenas, vollendete das Park-Projekt "Queen Califias Magic Circle". Die Amazonen-Königinnen, auf die der Titel abzielt, waren mythische Identifikationsgestalten für die frühe Feministin Niki de Saint Phalle, die sich der Womens’ Liberation Fraktion aber nie anschloss.

Dem Einfügen bunter, begehbarer "Archiskulpturen" – meist in Form von Drachen, Monstern, Mischwesen aller Art, aber auch bunten Göttinnen – in große Landschaftsgärten und Brunnen gehörte die zweite Hälfte ihres künstlerischen Lebens. Angeregt von den architektonischen Collagen aus Keramikfliesen und Spiegeln des katalanischen Jugendstil architekten Antonio Gaudi im Park Güell von Barcelona, schuf die Französin auch in der Toskana bei Grossetto und sogar in Israel große Beiträge für die Kunst im öffentlichen Raum. Die gesellschaftspolitische Positionierung außerhalb des Museums war ihr so wesentlich, dass sie diese Parks selbst finanzierte und mit ihrem Mann Jean Tinguely und dessen Team konstruierte.

Zu Beginn befehdet

Das Essl Museum in Klosterneuburg widmet Niki de Saint Phalle mit wichtigen Leihgaben aus dem Sprengel Museum in Hannover, dem "Gralshüter des Nachlasses", nun die Schau "Im Garten der Fantasie". Damit werden auch die politischen Jahre am Beginn der Karriere einer der erfolgreichsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts beleuchtet. Heute ist Niki de Saint Phalles Werk fast ein Mythos. Ihre erste große bunte Figur in Hannover vor dem Sprengel Museum sorgte jedoch noch für einen Aufruhr, der selbst in deutschen Zeitungen Widerhall fand. Ihre dortigen frühen Befürworter hat die Französin allerdings nie vergessen: Im Jahr 2001 übergab sie dem Direktor 400 Werke als Vorlass.

Saint Phalles Markenzeichen, die bunten "Nanas", sind zwar der magischen Naturkraft gewidmet wie die frühgeschichtlichen dicken "Venus"-Gestalten – angeregt dazu wurde sie aber sehr unmittelbar im Jahr 1964 durch die Schwangerschaft von Clarice Rivers, der Frau des mit den "nouveaux réalistes" befreundeten Künstlers Larry Rivers. Die Körperfülle inspirierte zu Allegorien der Fruchtbarkeit, Lebensfreude – konkret auch zur "Black Rosy", die heute immer noch als Powerfrau selbst Schweizer Bahnhöfe ziert. Die größte dieser Frauenfiguren war als begehbare Kathedrale "Hon" für den Innenraum des Modernen Museums von Stockholm 1966 konstruiert worden: Das Publikum betrat die Figur zwischen den Beinen, sie enthielt eine Milchbar im Busen, ein Kino mit Greta-Garbo-Filmen, ein Planetarium und ein Bett für Liebende, der Nabel war ein Ausblicksturm. Das alles erinnert an Träume und Kinderspiel, lässt an das Prinzip des "homo ludens" nach dem großen Kunstsoziologen Johan Huizinga denken. Der Künstler als spielender Mensch statt als göttliches Genie, das ist die Devise der Experimentierfreude – und damit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Am Beginn der Revolution der 1930 geborenen Marie-Agnès Fal de Saint Phalle stand der Aufstand gegen das Elternhaus und die Klosterschulen, in die man sie gesteckt hatte. Sie brach aus durch die frühe Heirat mit Harry Matthews, dem Vater ihrer beiden Kinder, der Musik studierte und heute als Dichter bekannt ist. Die Autodidaktin begann zu malen, arbeitete als Model auch für "Vogue", stürzte allerdings psychisch ab und trennte sich nach einem Klinikaufenthalt von ihrer Familie. Erst im Alter publizierte sie den Grund ihrer Krise – sie war im Alter von elf Jahren Missbrauchsopfer durch den eigenen Vater geworden, litt aber auch daran, dass die Mutter es vertuschte. Die Kunst war, so gesehen, auch Therapie, und die erste Phase der Dekonstruktion unter den Aktionisten gab ihr die Gelegenheit für ein zorniges Schaffen.

Ohrfeige für einen Kollegen

1956 war sie Jean Tinguely, Eva Aeppli, kurz danach den weiteren "nouveaux réalistes" Yves Klein und Daniel Spoerri begegnet. Letzterer fing sich auf eine freche Aussage hin sofort eine Ohrfeige der Künstlerin ein, Tinguely wurde ab 1960 der Gefährte fürs Leben. Ihre "Bereitschaft zu töten" übertrug Niki de Saint Phalle auf eigene Collagebilder und Reliefs, die sie "Tirs" (Schießbilder) nannte: Mit der Waffe nahm sie Arbeiten unter Beschuss, die kleine Farbbeutel enthielten, später farbige Sprays – Flüssigkeit ergoss sich, Nebel sprühten auf.

Das Opferritual der blutenden Bilder – zuerst männliche Wesen wie "Daddy", Patriarchen oder Tir-Monster, dann sogar Madonnen oder die beiden Politiker, die den kalten Krieg symbolisierten ("Kennedy-Kroutchev", 1962), verhinderten nach ihrer Aussage, dass Niki de Saint Phalle Terroristin wurde. Das Amazonenimage war perfekt, die Emotionen kochten hoch, wenn die Schöne wie eine vestalische Jungfrau im weißen Hosenanzug mit Freunden wie Robert Rauschenberg in performativen Auftritten ihre Kunstwerke massakrierte.

Mutter, Hexe und Hure

Doch schon nach wenigen Jahren beendet sie ihre Rache, um sich ab 1963 mit der Rolle der Frau als Braut, Mutter, Hexe und Hure auseinanderzusetzen. Die "Nanas", benannt nach den Lalllauten von Kleinkindern, wandelten sich von textilen Assemblagen zu bunt bemalten Polyestergüssen voll Ironie, diesem Elixier der späteren Postmoderne, und wurden durch eine Ausstellung 1965 in Paris weltberühmt.

Von der Künstlerin als "Vorboten eines neuen matriarchalischen Zeitalters" und als Symbolfiguren der fröhlich befreiten Frau bezeichnet, sind die "Nanas" immer noch aktuelle Boten der Toleranz. In den alten Fruchtbarkeitsgöttinnen vom Beginn der Kunst erkannte Niki de Saint Phalle zudem erfreut die Geschwister ihrer Figuren: "Die unbewussten Träume der Menschen, die vor mehr als 20 Jahrhunderten lebten, waren mit meinen identisch." Was mit einer Selbstanalyse begann, mündete so im Allgemeinen – und in der allgemeinen Anerkennung für ein großes künstlerisches Werk.

Aufzählung Die Ausstellung "Niki de Saint Phalle – Im Garten der Fantasie" läuft bis 26. September im Großen Saal des Essl Museums in Klosterneuburg; zudem erscheint ein rund 80-seitiger Katalog. Öffnungszeiten des Hauses: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr; Mittwoch 10 bis 21 Uhr. Bequem – und kostenlos – erreichbar ist das niederösterreichische Privatmuseum mit einem Shuttlebus, der in der Wiener Innenstadt (Albertinaplatz 2) startet.

Printausgabe vom Samstag, 22. Mai 2010
Online seit: Freitag, 21. Mai 2010 20:04:01

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