Am Freitag ging's los, mit eigens gemachtem Lkw-Führerschein und lang erwartetem Mongolei-Visum in der Tasche. Wenn Lukas Pusch auf Reisen geht, artet das schnell einmal in ziemlich abenteuerliche Exkursionen aus. 2007 initiierte der Wiener mit zwei Künstlerkollegen und ein paar tausend Euro in einem Elendsviertel in Nairobi einen eigenen Fernsehsender, „Slum-TV“ – „Fernsehen von Leuten im Slum für Leute im Slum, das funktioniert bis heute.“ Diesen Sommer geht es aber in die andere Richtung, in die Kälte, nach Novosibirsk und weiter.
Dort wartet auch schon das erste und einzige Zentrum für zeitgenössische Kunst Sibiriens auf Pusch, die „White Cube Gallery Novosibirsk“, die er gemeinsam mit Konstantin Skotnikov von der berüchtigt-anarchischen sibirischen Künstlergruppe „Blue Noses“ 2008 gegründet hat. Jetzt soll sie mobil gemacht werden, jetzt wollen sie die Kunst bis ins abgelegene Altai-Gebirge in der Mongolei bringen.
Wie das gehen soll? Ganz leicht, mit Lkw und ein paar Schraubenschlüsseln. Was nämlich dem Namen nach nach edlem Kunstverein klingt, ist eine minimalistische Stahlarchitektur der eher weniger schicken Art – eine verrostete Blechgarage, wie sie in Novosibirsk zu Hunderten das Straßenbild prägen. „An jeder Ecke, in jedem Hinterhof stehen diese Dinger, sie sind die Pendants zu den Wiener Hundstrümmerln“, erklärt Pusch.
Er selbst sieht die Kisten dagegen eher als „Hort der
Individualität“, schließlich sind sie alle eigenhändig
zusammengeschweißt, schauen alle anders aus. Immer mehr verschwinden
sie in letzter Zeit aber wieder aus der Innenstadt von Novosibirsk,
werden entsorgt – „Es gibt schon richtige Blechgaragenfriedhöfe
außerhalb.“
Als kämen wir vom Mond. Der Start der Kunsthalle
gestaltete sich demgemäß skurril: Als Pusch und Skotnikov einen Platz
für die White Cube Gallery (ein ironischer Kommentar auf die neutralen
Ausstellungsräume der Moderne) suchten, nahmen sie auch Kontakt zu
Lokalpolitikern auf – „Die haben uns angeschaut, als kämen wir vom
Mond, als wir darum baten, in Novosibirsk eine Blechgarage aufstellen
zu dürfen.“ Also taten sie es einfach, in einer Art Vorgarten eines
Häuserblocks „in the very center of town“, den sie vorher eigenhändig
säuberten, so Pusch.
Es zahlte sich aus: „Die Reaktionen waren sensationell.“ Die
Eröffnung kam in den Hauptnachrichten, Zeitungen berichteten
doppelseitig. Denn einen nichtkommerziellen Ort für Gegenwartskunst –
geschweige denn Subventionen für einen solchen – das gibt es schlicht
nicht in Sibirien. Dafür gab es tausende Casinos, von denen Pusch sich
für das bunt blinkende Namensschild der Kunsthalle inspirieren ließ –
„ein sibirisches Las-Vegas-Zitat“.
Ausstellungen für zwei
Hirten. Rund 20 Ausstellungen haben sie bisher in der
Blechgaragenplattform gezeigt, von Video, Performance, Fotografie,
Collage bis Zeichnung. Auf einen „SIL 130“ geladen, beginnt jetzt die
erste „Wanderausstellung“. Ziel ist das Altai-Gebirge im Grenzgebiet
von Sibirien und der Mongolei. Sein Vorhaben wird Pusch dort wohl
gelingen: „Wir wollen Ausstellungen für Füchse, Hasen und zwei Hirten
machen.“ Der Rückweg führt über die Kunstbiennale in Krasnojarsk, eine
der größten Kunstausstellungen Sibiriens, wo ein stattliches Honorar
auf sie wartet – „540 Liter Benzin und drei Packerl Zigaretten“. Mitte
September plant Pusch, wieder zurück zu sein.
Ursprünglich wollte er mit seiner fahrbaren Skulptur nur von Novosibirsk nach Wien fahren. „Aber der Osten interessiert mich viel mehr, die Dimensionen in Sibirien sind einfach jenseitig!“, schwärmt er. Als Vorbereitung besorgte er sich unter anderem Emil Noldes „Südseereise“ – „Er reiste damals mit der transsibirischen Eisenbahn Richtung Südsee.“ Der Exotismus, die Romantik, das reizt auch Pusch an seinen Exkursionen in die Peripherien.
Sein White-Cube-Ausflug ist aber auch in der russischen Kunstgeschichte verankert, in der Tradition der „Peredwischniki“, der „Wanderer“. „Jedes Kind in Russland weiß, wer sie waren“, erklärt er. Die Gruppe realistischer Maler steht am Beginn der russischen Moderne Ende des 19. Jahrhunderts und organisierte aus Protest gegen die St.Petersburger Kunstakademie Wanderausstellungen. Später wurden sie als Ahnherren des Sozialistischen Realismus vereinnahmt, so Pusch. Es ist diese Suche nach einem Weg, einer neuen Zukunft, die ihn im Zusammenhang mit Russland überhaupt interessiert: „Die Russen haben immer für die Zukunft gearbeitet, jetzt sind sie in der Wirklichkeit angekommen – aber wo gehen, wo wandern wir jetzt hin?“
Anfang der 1990er-Jahre begann Pusch selbst zu „wandern“. Mit einem
österreichisch-sowjetischen Austauschstipendium ging er für drei Jahre
nach Moskau, um Malerei zu studieren. Er kam ans elitäre
Surikov-Institut – „Da wollte damals keine Sau hin, ich war der einzige
Westler“, wundert er sich heute noch. Ihn selbst hat der Akademismus
interessiert, die perfekte Technik, „die es bei uns gar nicht mehr
gibt“.
Künstler in U-Haft. Seine Erfahrungen machen ihn heute
optimistisch: „Ich hätte mir nie gedacht, dass Russland sich so
entwickelt. Als ich dort lebte, hat blankes Elend geherrscht. Mein
einziger Luxus war einmal im Monat ein Fruchtjoghurt.“ In Novosibirsk
muss er jetzt trotzdem erst einmal „die Wogen glätten“. Denn einer der
Künstler der White Cube Gallery sitzt in Untersuchungshaft. Er gehörte
zu den Leuten, die früher „Monstrationen“ organisierten, eine
subversive sibirische Besonderheit zu den 1.-Mai-Feierlichkeiten, eine
Art Flashmob, bei dem mit Nonsense-Parolen aufmarschiert wird.
Diesen 1.Mai aber waren alle Aufmärsche verboten. Trotzdem kamen tausende „Monstranten“. Einige Tage später wurde der Künstler festgenommen, weil in seinem Rucksack angeblich Haschisch gefunden worden war.