27.08.2001 23:41:00 MEZ
Übernahme nach dem Hangover
Takeover: Wendige Protagonisten zwischen Business, Wissenschaft, Kunst und Lifestyle

"Kunst" im Mittelpunkt der Ars Electronica: "Takeover - wer macht die Kunst von morgen?" fokussiert auf Präsentationen von netzinspirierter Kultur, deren wendige Protagonisten gekonnt zwischen Business, Wissenschaft, Kunst und Lifestyle fluktuieren.

von Doris Krumpl

Nur keine Angst, vorab: Bilder werden auch weiterhin an den Wänden hängen. Doch das, was wirklich weiterhin als "die schöne Kunst" gilt, wird allerdings noch zu besprechen sein. Vor allem auch bei der diesjährigen Ars Electronica, die anlässlich des 15. Bestandsjahres des Prix Ars Electronica nach biotechnologisch-wissenschaftlichen Themen wieder auf die Kunst fokussiert. Oder auf das, was für Kunst gehalten wurde.

Freilich, die Frage ist so alt wie die Kunst selbst. Doch niemand wird bestreiten, dass das "herkömmliche" künstlerische Schaffen zwar recht nett ist, jedoch am Nerv der Zeit vorbeigeht oder ihn zu spät berührt, auch wenn manches als bewusst anachronistisch und dadurch wieder "total modern" daherkommen will. Fieberhaft werden Elemente der Subkultur, der Biotechnologie integriert. Was macht das noch für einen Sinn, wenn sogar Politiker - wie den gitarrespielenden Tony Blair oder den jüngst als Bogenschütze posierenden Gerhard Schröder - längst schon der Nimbus des Popstars umgibt?

Die wirklich aktuellen und spannenden Künstlerinnen und Künstler sind, so das Postulat (nicht nur) der Ars, nicht mehr (oder zu spät) in traditionellen Institutionen zu finden. Spürnasen gesellschaftlicher Entwicklungen und Stimmungen, die auch mit technologischen Erfindungen einhergehen können, Cultrepreneurs, die zwischen Lifestyle, Business und Wissenschaft fluktuieren, "Künstler, Ingenieur, Sozialarbeiter und Experience-Designer", so Festival-Leiter Gerfried Stocker, in Personalunion sind. Und die ein entspannterer Umgang mit dem Business auszeichnet, die das übliche "Freund Kunst, Feind Wirtschaft"-Schema ad acta legen.

Kunst = Software-Interpretation

Eine schleichend-sanfte Revolution, ist da im Gange, obwohl sie triumphierend posiert wie die Asiatin mit Notebook und Riesen-Schraubenzieher am diesjährigen Ars-Plakatmotiv. Das Kunstwerk von morgen wird vielleicht nicht mehr ein Dokument sein, sondern ein Ereignis, eine Partitur, eine Art Neuinterpretation der Software.

Stocker stellt weiter fest: "Die Trägheit traditioneller Kunstinstitutionen und die zunehmende Privatisierung von der Kunstförderung verstärken den Trend der jüngeren Künstlergeneration, sich eigene Plattformen, Kooperationen und Businessmodelle aufzubauen, und der anhaltende Brain-Drain in die Medien- und Werbewirtschaft könnte den Kunstbetrieb bald wie eine Geisterstadt zurücklassen."

Kollektive Schöpfungen

Programmatisch auch das Statement der Wiener Studierenden der Visuellen Mediengestaltung, die Teile ihres Forschungslabors nach Linz verlegen: "in der neoliberalen spektakelkultur erweist sich die etablierte medienkunst als untergebene helferin ... uns interessieren kollektive schöpfungen". Und das meint hier im Idealfall eine Mischung aus Webagentur, Soundstudio, Game-Entwicklungsort, Partyraum und Programmierstube schlechthin. Sicher, auf dem geschützten Terrain der Alma Mater spucken sich diese Töne schon leichter - aber trotzdem.

Auch junge Profis, die Aufträge von potenten Unternehmen an Land zogen, versuchen Spiel und Arbeit zu verbinden. Übers Spielen kam etwa Marius Watz (Oslo) im Alter von elf Jahren zum Programmieren. Seine Agentur heißt nicht zufällig Play und auf seiner Visitkarte steht: "Sie geben uns Geld. Wir geben Ihnen Schönheit."

Eine Generation übernimmt das Ruder, die Games und Partys eher bevorzugt als "ernste Arbeit". Ihre Aktivitäten verteilen sie auf verschiedenste Communities, sie sampeln sich selbst. Wegen ihres Hedonismus ausgelacht, lachen sie nun gierige Parvenus aus, die mit Dotcom-Firmen abcashen wollten. "Die Krise nach dem Hype kommt uns gerade recht", sagte etwa Alexej Tylevich im Rahmen der Künstlerhaus-Schau stealing eyeballs, jetzt wäre die beste Zeit zu arbeiten.

Bei den Conferences, die das bisherige Symposion ersetzten, erfährt man, wie es etwa um die Olympischen Spiele im Gaming bestellt ist, die in drei Monaten starten sollen. Für diese Bewerbe gibt es Trainingscamps und Akademien, wo zwei Unterrichtseinheiten täglich für Fingerübungen draufgehen. Ob es solche Dinge am T.O.C. Campus gibt, der Station der Linzer Kunstuniversität am Hauptplatz? Eher nein, dafür ein offenes "work in progress", das auch den "Female Takeover" verhandelt. Sind Oliviero Toscanis Werbekampagnen für Benetton mehr "Kunst" als die Scheinskandälchen im Kunstbetrieb? Der Starfotograf, der den Altersschnitt der rund 30-jährigen Teilnehmer stark nach oben hievt, wird bei einem Vortrag u.a. erklären, warum er die Nase von Managern voll hat.

Kunst oder nicht Kunst

Der junge Designer Richard Fenwick (London) stellt dazu fest: "Ich glaube, das Kunst-Establishment wird diese Leute verfolgen, die sich offensichtlich keinen Deut um Kunst scheren oder vorgeben, Künstler zu sein - und zwar wegen ihrer Kunst." Vielleicht finden sich unter den zuweilen leicht autistisch wirkenden Protagonisten der Electrolobby im Brucknerhaus einige Stars von morgen? Ars-Chef Stocker wundert das Fehlen theoretischer Auseinandersetzung. Fenwick stößt den Finger in dieselbe Wunde: "Es gibt noch zu wenig Distanz, um kritisch zu sein." Dafür kommt die Ars Electronica heuer gerade recht.
(DER STANDARD SPEZIAL "ARS ELECTRONICA 2001", Print-Ausgabe, 28. 8. 2001)




Quelle: © derStandard.at