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Kunstberichte

Sie erlegen einen Wurm

Quer durch die Galerien
Von Rita Magalhaes: der Augenblick vor dem großen Moment (als würde David Steine für seine Schleuder sammeln). Man bereitet das Mahl in Emmaus. Bevor der Auferstandene kommt. Galerie Mauroner

Von Rita Magalhaes: der Augenblick vor dem großen Moment (als würde David Steine für seine Schleuder sammeln). Man bereitet das Mahl in Emmaus. Bevor der Auferstandene kommt. Galerie Mauroner

Von Claudia Aigner

Und ewig strickt das Weib. Oder es häkelt. Handytascherln für die ganze Familie zum Beispiel. Dem Goldfisch strickt das Weib Flossenwärmer oder einen Rollkragenpullover, dem Hund fesche Legwarmer (sprich: Lägwoama). Und wenn Not am Mann ist (weil das Mousepad schon ein Loch hat wie eine durchgelaufene Sohle), klöppelt die Herrin des Fadens g’schwind ein Deckerl, auf dem sich die Maus dann fühlt wie ein nobles Porzellanpferd in der Nippesvitrine. Denn das ist die Natur des Weibes.

Frauen haben das Handarbeitsgen. Die häkeln und stricken alles ein wie eine Spinne ihre Beute. Vom Frühstücksei bis zu den Füßen, die gerade zu Bett gehen wollen und die sie auf halber Strecke anhalten, um mit Grobstricksocken über sie herzufallen. (Und wenn sie dann noch ein bisserl Zeit haben, sticken sie in jedes Blatt Toilettenpapier ihr Monogramm und wickeln die Rolle hernach feinsäuberlich wieder auf.) Frauen haben ja so viel Energieüberschuss in ihren Fingern.

Galerie Mauroner: Alles in Grund und Boden stricken

So viele Strickmaschen auf einmal wie derzeit beim Mario Mauroner hab’ ich ja seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen, als ich jeden Winter von selbstgemachten Pudelhauben, Norwegerpullovern und Fäustlingen bedrängt worden bin und die Stricknadeln meiner Großmutter mich alle Jahre wieder in einen kratzigen Kokon einstrickten. Als Weihnachten noch das Fest der Wolle war.

In der jungen Kunst aus Portugal, die beim Mauroner versammelt ist, findet sich ebenfalls eine auffallende Neigung zur „typisch weiblichen“ Handarbeit. Die Damen, die für Joana Vasconcelos selbstbewusst an der Stricknadel hingen und ein schönes Beispiel für Frauensolidarität abgaben, strickten das Patriarchat förmlich nieder, als sie immer mehr Wollknäuel in diesen gigantischen Wurm hineinpumpten.

Der heißt seltsamerweise wie ein Wurmmittel (Pantelmina). Entwurmen durch Stricken? Also apotropäisches Stricken, als Abwehrzauber? Oder ist das eine Voodoo-Puppe, deren Folterung dem tatsächlichen Parasiten im Organismus des Misshandlers seelische Pein und körperlichen Schmerz zufügen soll? Oder ist es wie mit den steinzeitlichen Höhlenmalern und ihren Büffeln, nur dass eben der Wurm, den die Monumentalstrickerinnen erlegen wollen, nicht gemalt ist?

Wie auch immer: Vasconcelos hat mich bitter enttäuscht mit ihrem plumpen Wurm. Ihre Walküre ebenso, ein von der Decke baumelndes Wollmonster, das während der Vernissage heruntergefallen ist und zum Glück niemanden unter seinen gut 200 Kilos begraben hat (also für Walhall erwählt hat oder fürs Spitalsbett). Vasconcelos ist immerhin die, die heuer auf der Biennale in Venedig jenem unscheinbaren Hygieneartikel, der mehr für die Bewegungsfreiheit der Frau getan hat als der erste Hosenrock, ein kolossales Denkmal gesetzt hat und einen eindringlich femininen Kronleuchter aus 14.000 unbefleckten o.b.-Tampons gebastelt hat.

Frauensachen sind ja nie besonders praktisch

Von Catarina Saraiva: Ausdrucksvoll frankensteinische Schneiderpuppen. Mit unheimlichen Fortsätzen und Belastungen. Wie die Visualisierung von Gefühlen nach dem Essen oder während der Monatsblutung. Der grammatikalisch eigenwillige Titel: „Never fits a dress to the body but train the body.“ Ein verunglückter Imperativ? Passe nie das Kleid dem Körper an, sondern dressiere den Körper! Das tun die Schönheitschirurgen sowieso. Sie legen ihren Kundinnen Schnittmuster auf und schneidern das Fleisch in die Konfektionskleidung hinein.

Der Star der Schau ist aber der hingebungsvoll in edle weiße Stoffe eingenähte Sattel von Ana Rito mit langer bräutlicher Schleppe aus Rüschenunterröcken, umweht von der Aura der Unberührtheit. Den schnallt man in Gedanken unweigerlich einem Hengst auf, der mit der Unschuld davongaloppiert, bis sämtliche Unterröcke zerrissen sind (besonders weil der Titel „Macula“ ist, Fleck, im Gegensatz zur Immaculata, der Unbefleckten, die ohne Erbsünde empfangen wurde und als Einzige ohne schlechtes Gewissen Äpfel essen konnte). Frauensachen sind ja nie praktisch. Nicht zufällig lernen Menschenfrauen zweimal in ihrem Leben gehen. Mit 13 Monaten und wenn sie ihre ersten Stöckelschuhe bekommen.

Einen Mann sollte ich aber doch noch erwähnen: Baltazar Torres. Der baut surreale Szenen, meist voller zivilisationskritischer Mutationen. „Prozac“ (nach der Glückspille): wie eine allegorische Sozialstudie. Ein Affe, allein zuhaus mit einem Fernseher und einem Wandspiegel. Der Mensch glotzt auf Schimpansenniveau ins Weltfluchtgerät und bloß jener Gefährte leistet ihm Gesellschaft, der immer ein Artgenosse ist: das eigene Spiegelbild. Das können Schimpansen übrigens erkennen. Und seit der arme Jüngling Narziss auf sich selber reingefallen und elendiglich verschmachtet ist, können das die Menschen inzwischen schon mit 18 Monaten. Damit solche Unfälle bei der Partnerwahl nicht mehr passieren.

Eine durchaus interessante Auswahl, stimmig gehängt, die obendrein zeigt, dass die Militärdiktatur für diese portugiesischen Künstler schon verdammt lange zurückliegt und ihnen die Geschlechtsidentität und das Leibliche oder einfach künstlerische Fragen schlichtweg näher sind.

Artothek-Galerie: Ein Fisch rülpst im stillen Bergsee

Aurelia Gratzer ist sicher auch gut im Kartenhäuserbauen. Wieso sollte sie denn nicht genauso kaltblütig Spielkarten aneinander stellen können wie in ihren souverän kalkulierten Bildern die architektonischen Flächen? Und dann würde sie sich daneben die Haare föhnen, ohne dass alles zusammenkracht (also selbstbeherrscht). Ihre „Boogie Woogie Winde“ (Bildtitel) aus tänzerisch wirbelnder Farbe bringen die ansonsten akkurate Umgebung ja auch nicht aus der Contenance.

An ausgewählten Stellen ist sie gezielt schlampig. Der wüste Pinsel ist aber keine wirkliche Ausschweifung, sondern eher so, als würde ein Fisch in einem stillen Bergsee rülpsen. Das Wilde erstarrt zur dekorativen Geste. Aber die Farben sind so sorgfältig aufeinander abgestimmt, daran kann man sich schon delektieren.

Quer durch die Galerien

Galerie Mario Mauroner
(Weihburggasse 26)
Portugal Today. Neun Positionen.
Bis 21. Jänner 2006
Di. bis Fr. 11 bis 19 Uhr
Sa. 11 bis 16 Uhr

Artothek-Galerie „Alte Schmiede“
(Schönlaterngasse 7a)
Aurelia Gratzer. „Basis Raum.“
Bis 15. Dezember
Di. und Mi. 12 bis 18 Uhr
Do. 10 bis 20 Uhr
Fr. 10 bis 18 Uhr

Freitag, 02. Dezember 2005


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