Unter dem Titel "Otto Muehl. Leben / Kunst / Werk.
Aktion Utopie Malerei 1960-2004" zeigt das renommierte Wiener
Museum für Angewandte Kunst (MAK) eine große Retrospektive und
zugleich die allererste Gesamtschau des österreichischen Künstlers.
Muehl hatte in den 60er Jahren durch provokante Inszenierungen die
Öffentlichkeit schockiert und eine neue Kunstrichtung in Wien
entscheidend mitgeprägt. Angesiedelt zwischen bildender Kunst,
Theater, politischer Demonstration und religiösem Ritual avancierte
der sogenannte Wiener Aktionismus zum wichtigsten österreichischen
Beitrag zur internationalen Kunst in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts.
Skandalumwitterte
Künstlerfigur
Zu Ehren dieser eigenständigen
österreichischen Happening-Bewegung und ganz besonders zu Ehren
Muehls nun also die Ausstellung im Wiener MAK. Doch die Kunstschau
des Anfang der 90er Jahre verurteilten Sexualstraftäters Muehl ist
schon vorab sehr umstritten. Ehemalige Weggefährten protestierten,
dass man Verbrechen nicht als Kunst ausstellen dürfe.
Und
auch sonst sorgt schon allein die Figur des skandalumwitterten
Künstlers für Furore. Seine Biographie vereint dabei Bereiche, die
im Grunde alle Facetten eines einzelnen Lebens sprengen: Aktionist
und Maler, studierter Lehrer und Ehemann, Kommunenguru und Provokant
und schließlich gegenwärtig umjubelte Wiederentdeckung der
zeitgenössischen Kunst.
Vom Gerümpel bis zur
Elektronik
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehe jedoch
der Künstler und Aktionist Muehl, so MAK-Direktor Peter Noever - vor
allem die Kunst sei das Thema. Und weiter: Man präsentiere
schlichtweg das Werk eines wichtigen Künstlers der Gegenwart. Rund
480 Muehl-Arbeiten von den ersten Gerümpel- und Materialbildern über
die Dokumentationen seiner Aktionen, über Gemälde, Collagen und
Skulpturen bis hin zu seinen neuesten "Electric Paintings" sind zu
sehen.
Mit Mehl, Öl und Haifisch
Die
herkömmliche Malerei hatte Muehl damals bald ad acta gelegt, an
deren Stelle traten kiloweise Farbe, Holz, Mullbinden, Körper und
deren Ausscheidungen. Muehl bewarf Menschen wechselweise mit Farbe
und Zigarettenstummeln, Müll und Essensresten, bestäubte sie mit
Mehl, übergoß sie mit Öl und rückte so den Körper als künstlerisches
Ausdrucksfeld in den Mittelpunkt.
Auch heute ist Muehl noch
aktiv, malt meist naturalistische und verstörend obszöne,
blasphemische Bilder, das Motiv des Haifischs fehlt zur Zeit auf
keinem Bild.
Kommune in der Expansion
Freie
Sexualität und entgrenztes Künstlertum, dies waren die Vorzeichen
zum Anstoß einer Kommune, die 1971 in Muehls Wiener Wohnung von
jungen Leuten, meist Künstlern und Studenten, nicht gerade gegründet
wurde, sondern sich eher langsam aber sicher entspann. Herummalen,
langes Diskutieren und das Praktizieren "freier Liebe" zogen immer
mehr Leute an - die Kommune expandierte, kaufte sich ein altes
Gutswesen im Burgenland. Auf dem Friedrichshof entstanden nach und
nach Wohnheime, Handwerksbetriebe, Läden und ein
landwirtschaftlicher Betrieb, Muehls Therapiestunden waren teuer und
beliebt.
Bald ausgeträumt
Als Prediger und
Guru, als Gründer der "Aktions-Analytischen Organisation" (AAO)
stand Muehl unangefochten an der Spitze der Hierarchie der Kommune,
die durch ihre Zweigstellen in Deutschland, Frankreich, Norwegen und
der Schweiz in den Achtzigern bis zu 700 Anhänger umfasste. Die
Euphorie der Anfangszeit, der Traum von freier Sexualität,
antiautoritärer Kindererziehung, Aufhebung des Privateigentums und
Überwindung der Kleinfamilien-Strukturen war jedoch bald vorbei.
Streitereien und gegenseitige Vorwürfe, vor allem gegenüber Muehl
und seiner angeblichen Machtversessenheit waren und sind die
Überbleibsel der damaligen Bewegung.
Museum keine
Gerichtsbarkeit
Traurige Berühmtheit erlangte Muehl dann
1991 durch seine Verhaftung und seine Verurteilung wegen
Drogenmissbrauchs, Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs
Minderjähriger zu sieben Jahren Haft. Scheinbar unbeeindruckt malte
Muehl in seiner Zelle weiter, übersiedelte nach seiner Entlassung
1997 mit alten Wegbegleitern in eine Kommune nach Portugal und
streitet auch heute noch jedes Vergehen ab.
Ehemalige
Kommunarden jedoch können die sträfliche Vergangenheit ihres
ehemaligen Gurus nicht vergessen. Bei einer Vorbesichtigung der
Ausstellung in Wien protestierten sie vehement. Eine Trennung
zwischen Muehl, dem Künstler, und Muehl, dem Pädophilen, sei nicht
hinnehmbar. MAK-Direktor Noever aber hält dagegen: Bei allem Respekt
und Verständnis für Emotionen - sein Museum sei keine
Gerichtsbarkeit und Muehls Arbeiten im kunstgeschichtlichen
Zusammenhang zu sehen.