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09.03.2004 | 10:38 Uhr




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Muehl-Ausstellung: Kunst oder Verbrechen?





Unter dem Titel "Otto Muehl. Leben / Kunst / Werk. Aktion Utopie Malerei 1960-2004" zeigt das renommierte Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) eine große Retrospektive und zugleich die allererste Gesamtschau des österreichischen Künstlers. Muehl hatte in den 60er Jahren durch provokante Inszenierungen die Öffentlichkeit schockiert und eine neue Kunstrichtung in Wien entscheidend mitgeprägt. Angesiedelt zwischen bildender Kunst, Theater, politischer Demonstration und religiösem Ritual avancierte der sogenannte Wiener Aktionismus zum wichtigsten österreichischen Beitrag zur internationalen Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Skandalumwitterte Künstlerfigur

Zu Ehren dieser eigenständigen österreichischen Happening-Bewegung und ganz besonders zu Ehren Muehls nun also die Ausstellung im Wiener MAK. Doch die Kunstschau des Anfang der 90er Jahre verurteilten Sexualstraftäters Muehl ist schon vorab sehr umstritten. Ehemalige Weggefährten protestierten, dass man Verbrechen nicht als Kunst ausstellen dürfe.

Und auch sonst sorgt schon allein die Figur des skandalumwitterten Künstlers für Furore. Seine Biographie vereint dabei Bereiche, die im Grunde alle Facetten eines einzelnen Lebens sprengen: Aktionist und Maler, studierter Lehrer und Ehemann, Kommunenguru und Provokant und schließlich gegenwärtig umjubelte Wiederentdeckung der zeitgenössischen Kunst.

Vom Gerümpel bis zur Elektronik

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehe jedoch der Künstler und Aktionist Muehl, so MAK-Direktor Peter Noever - vor allem die Kunst sei das Thema. Und weiter: Man präsentiere schlichtweg das Werk eines wichtigen Künstlers der Gegenwart. Rund 480 Muehl-Arbeiten von den ersten Gerümpel- und Materialbildern über die Dokumentationen seiner Aktionen, über Gemälde, Collagen und Skulpturen bis hin zu seinen neuesten "Electric Paintings" sind zu sehen.

Mit Mehl, Öl und Haifisch

Die herkömmliche Malerei hatte Muehl damals bald ad acta gelegt, an deren Stelle traten kiloweise Farbe, Holz, Mullbinden, Körper und deren Ausscheidungen. Muehl bewarf Menschen wechselweise mit Farbe und Zigarettenstummeln, Müll und Essensresten, bestäubte sie mit Mehl, übergoß sie mit Öl und rückte so den Körper als künstlerisches Ausdrucksfeld in den Mittelpunkt.

Auch heute ist Muehl noch aktiv, malt meist naturalistische und verstörend obszöne, blasphemische Bilder, das Motiv des Haifischs fehlt zur Zeit auf keinem Bild.

Kommune in der Expansion

Freie Sexualität und entgrenztes Künstlertum, dies waren die Vorzeichen zum Anstoß einer Kommune, die 1971 in Muehls Wiener Wohnung von jungen Leuten, meist Künstlern und Studenten, nicht gerade gegründet wurde, sondern sich eher langsam aber sicher entspann. Herummalen, langes Diskutieren und das Praktizieren "freier Liebe" zogen immer mehr Leute an - die Kommune expandierte, kaufte sich ein altes Gutswesen im Burgenland. Auf dem Friedrichshof entstanden nach und nach Wohnheime, Handwerksbetriebe, Läden und ein landwirtschaftlicher Betrieb, Muehls Therapiestunden waren teuer und beliebt.

Bald ausgeträumt

Als Prediger und Guru, als Gründer der "Aktions-Analytischen Organisation" (AAO) stand Muehl unangefochten an der Spitze der Hierarchie der Kommune, die durch ihre Zweigstellen in Deutschland, Frankreich, Norwegen und der Schweiz in den Achtzigern bis zu 700 Anhänger umfasste. Die Euphorie der Anfangszeit, der Traum von freier Sexualität, antiautoritärer Kindererziehung, Aufhebung des Privateigentums und Überwindung der Kleinfamilien-Strukturen war jedoch bald vorbei. Streitereien und gegenseitige Vorwürfe, vor allem gegenüber Muehl und seiner angeblichen Machtversessenheit waren und sind die Überbleibsel der damaligen Bewegung.

Museum keine Gerichtsbarkeit

Traurige Berühmtheit erlangte Muehl dann 1991 durch seine Verhaftung und seine Verurteilung wegen Drogenmissbrauchs, Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu sieben Jahren Haft. Scheinbar unbeeindruckt malte Muehl in seiner Zelle weiter, übersiedelte nach seiner Entlassung 1997 mit alten Wegbegleitern in eine Kommune nach Portugal und streitet auch heute noch jedes Vergehen ab.



Ehemalige Kommunarden jedoch können die sträfliche Vergangenheit ihres ehemaligen Gurus nicht vergessen. Bei einer Vorbesichtigung der Ausstellung in Wien protestierten sie vehement. Eine Trennung zwischen Muehl, dem Künstler, und Muehl, dem Pädophilen, sei nicht hinnehmbar. MAK-Direktor Noever aber hält dagegen: Bei allem Respekt und Verständnis für Emotionen - sein Museum sei keine Gerichtsbarkeit und Muehls Arbeiten im kunstgeschichtlichen Zusammenhang zu sehen.



Stand: 02.03.2004

Standort: ARD.de Kultur

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