Die Dynamik der Linie und das Ausloten von Raum in Arbeiten von Fred Sandback
Wien - Unzufrieden mit der Skulptur im Allgemeinen und mit der eigenen im Speziellen, wurde dem klagenden Sandback 1966 von einem Freund geraten: „Wenn du von all den Einzelteilen die Nase voll hast, warum nicht einfach mit einem Knäuel Faden eine Linie ziehen und fertig?" Gesagt, getan.
Mit Draht und Faden zog Sandback die Kontur eines rechteckigen Körpers. „Ein zufälliger Schritt, aber er schien mir eine Menge Möglichkeiten zu eröffnen. Ich konnte einen bestimmten Raum oder Körper in seiner ganzen Stofflichkeit fasslich machen, ohne ihn einzunehmen oder zu verdecken", bemerkte er 1989 zu den Anfängen seiner fortan bis zu seinem frühen Tod 2003 konsequent weitergeführten Skulpturen. Mit etwas zu spielen, was gleichzeitig vorhanden und nicht vorhanden war, faszinierte ihn.
Dem faszinierenden, formal radikal reduzierten Werk Sandbacks (1943-2003) hat Galerist Hubert Winter nun eine kleine, feine Retrospektive mit Skulpturen und Arbeiten auf Papier ausgerichtet. Seine Arbeitsweise, so Winter, war von „einschüchternder Schlichtheit". Er arbeitete still und mit wenig Aufwand und schuf doch „Räume von großer Magie". Minimal ist nicht die Auffassung, sondern nur die Mittel. Minimaler Aufwand bei maximaler Sinnlichkeit.
Ihn interessierte das Wesen von Raum, und er näherte sich ihm in Form von Interaktionen an. Und seine behutsamen Arbeiten fordern zu dieser Form der Kommunikation mit komplexen dreidimensionalen Raumsituationen auf.
Folgt das Auge den langen, leuchtend blauen Wollfäden mit ihrer fusselig weichen Silhouette, misst der Blick gleichzeitig die Längsausdehnung der Galerie. Wie Stolperdrähte, gleichsam fragil und weich, weisen sie auf ihre Verhältnisse zu den Grenzen des Raumes hin, lassen den Besucher kaum merklich bestimmte Achsen des Raumes abschreiten. Sandbacks Anleitungen folgen keiner Mathematik oder Logik, sondern arrangierte und komponierte die Verspannungen der Fäden im Raum nach subjektivem Empfinden.
Folgt der Blick den zwei sich zart berührenden Fäden im Zentrum des Raumes (Untitled, 1973) weiter, knicken sie ab, strecken sich hinauf zur Decke, wo sie verschwinden.
Die Linie schätzte Sandback wegen ihres wechselnden Charakters: Geradlinig oder auch krumm, einmal dynamisch ansteigend, ein anderes Mal steil abfallend, dramatisch zu Boden stürzend. Geknickt und um die Ecke geführt, entstehen aus den Linien aus Gummischnüren oder Wollfäden geometrische Gebilde. Auf dem Papier reichte eine sanfte Neigung der Konstruktionen aus, um das Raumgefühl des Betrachters zu aktivieren. Farbe diente ihm zur Variation, „um eine Arbeit mal verhaltener oder aggressiver zu machen, lauter oder leiser, wärmer oder spröder". Oder auch, um Balancen zwischen den Arbeiten herzustellen.
Sandback war ein bedachtsam und präzis arbeitender Künstler, sowohl bei der Wahl der Medien und Techniken für die Arbeiten auf Papier (wunderbare und rare Linolschnitte, Photostat-Arbeiten, Umkehrlithografien oder Radierungen ergänzen die dreidimensionalen Arbeiten der Ausstellung) als auch bei der Installation seiner skulpturalen Arbeiten. In Diagrammen hat er die räumlichen Konzepte seiner Arbeiten festgehalten, die durch ihr Verhältnis zu den Grenzen des Raumes, zu seinen Ecken und Kanten definiert sind. In diesen Aufzeichnungen sind auch die genauen Farben der von ihm verwendeten Acrylwolle genannt. Nicht alle sind mehr erhältlich. Sandback kaufte sie in einem kleinen New Yorker Wolllädchen. Man hielt ihn dort für einen begeisterten Stricker. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.10.2010)
Bis 16. 11. Galerie Hubert Winter, Breite Gasse 17, 1070 Wien
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