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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
23. April 2009
17:44 MESZ

"Hast Du meine Alpen gesehen?"
Eröffnung: Sonntag, 11 Uhr durch Robert Schindel. Ein Interview mit den Kuratoren Hanno Loewy und Gerhard Milchram lesen Sie am Samstag im ALBUM. - Ebenso: Das Lager "Givat Avoda" in Saalfelden, in dem Holocaust-Überlebende am Weg nach Israel Station machten, thematisiert das Tiroler Kunsthaus Nexus, Samstag, 19 Uhr.

 

Das Hetzblatt "Völkischer Beobachter" forderte ein "Trachtenverbot für Juden".


Moses in der Sommerfrischen­hölle
Ein kaum bekanntes Kapitel der Kulturgeschichte: die Beziehungsgeschichte von Juden und Alpen - Ein Panorama aus Fotografien, Plakaten, Büchern und Erinnerungsstücken

Hohenems - "Ich hatte einmal einen Schweizer Bergführer", erzählte der Maler Arik Brauer in einem Interview, "der hat gesagt: ‚Nur keine jüdische Hast‘; ich hab geantwortet: ‚Na, wenn schon Hast, dann eine jüdische, weil ich bin ein Jud.‘ ‚Aber was‘, hat er gesagt, ‚du kannst kein Jud sein, ein Jud kann doch nicht so klettern!‘"

70 Jahre zuvor hatte der jüdische Deutsche Arnold Zweig notiert: "Die Geschichte der Alpen gibt im Groben und Abgekürzten die Geschichte Europas, das heißt, unserer Gesittung" . An seinem Buch Die Dialektik der Alpen. Fortschritt und Hemmnis schrieb Zweig von 1939 und 1941 - in Haifa im damaligen Palästina. In der Auftragsarbeit für einen US-amerikanischen Verlag sollte die geopolitische Rolle des Alpenmassivs als Schutz der Demokratie behandelt werden.

Juden und die Berge, das ist eine Geschichte, die bis zum ersten Alpinisten überhaupt zurückreicht, zu Moses und seinem Aufstieg auf den Berg Sinai. Jüdischer Tradition zufolge ist die Vernunft an der Grenze von Irdischem und Göttlichem zu lokalisieren, dort, wo die Natur über sich hinauswächst - eben auf den Gipfeln der Berge.

"Wenn ich vor Gott stehen werde, wird der Ewige mich fragen: ‚Hast du meine Alpen gesehen?‘" Diese Frage wird dem 1808 geborenen Rabbiner und Begründer der jüdischen Neo-Orthodoxie, Samson Raphael Hirsch, zugeschrieben.

Im Jüdischen Museum Hohenems ist die Kulturgeschichte von Juden in den Alpen und der gegenseitigen Be- und Anziehungsgeschichte in der Ausstellung Hast Du meine Alpen gesehen? Eine jüdische Beziehungsgeschichte ... facettenreich ausgebreitet; mit Fotos, Büchern, Trachten, mit pittoresken und anekdotischen Exponaten wie der Trinkflasche Sigmund Freuds. Ein Panorama aus Schicksalen: Der Dichter Jura Soyfer etwa versuchte 1938, einen Tag nach dem "Anschluss", auf Skiern von Vorarlberg in die Schweiz zu fliehen, wurde verhaftet und starb im Februar 1939 im KZ Buchenwald.

Von Hohenems bis Wien, von Graubünden bis nach Savoyen, vom Salzkammergut nach Südtirol und ins Wallis, sogar bis in die Catskills, die "Jewish Alps" der USA: Der regionale Bogen ist weit gespannt, der thematische reicht von der Entdeckung der Sommerfrische, modernem Tourismus und Skisport über den Bergfilm, einst so etwas wie das Pendant zum US-Western, bis zu Assimilation, Diskriminierung und Antisemitismus. Schon lange vor 1933 wurden die Alpen von Judenhassern instrumentalisiert, trotz namhafter jüdischer Bergpioniere wie Paul Preuß, der 1911 den "Mauerhakenstreit" auslöste, weil er auf jegliche technische Hilfsmittel verzichtete. Oder der Münchner Gottfried Merzbacher, der 1888 sein Pelzwarengeschäft verkauft und bis zu seinem Tod 1926 spektakuläre Touren durch die Alpen und den Kaukasus unternommen hatte.

Der Zusammenhang von Natur und Juden galt vielen Gojim als suspekt. "Gute Gäste - aber Juden" , notierte etwa die Leitung des Pa-lace Hotel in St. Moritz in ihr heimlich geführtes Gästebuch. Und von der Wiener Alpenvereinssektion "Austria" wurde 1921 ein "Arierparagraph" beschlossen: Rund 2000 Juden - ein Drittel der Mitglieder - wurden über Nacht ausgeschlossen. Drei Jahre verwehrten bereits 96 von hundert Vereinssektionen Juden die Mitgliedschaft. Dies ist die Nachtseite dieser Liebesbeziehung.

Umgekehrt wurde 1886 in Davos das erste koschere Hotel eröffnet. Später kamen dort jüdische Heilstätten hinzu und 1931 ein noch heute existierender jüdischer Friedhof, der höchstgelegene der Welt. Nach 1945 beherbergten diese Sanatorien andere Gäste, Displaced Persons, Überlebende der Vernichtungslager. 

Schon 1922 hatte Sigmund Freud unüberlesbar ambivalent über Bad Gastein geschwärmt: "die herrliche Luft, das Wasser, die holländischen Zigarren und das gute Essen, alles einem Idyll so ähnlich, als man es nur in der mitteleuropäischen Hölle haben kann." (Alexander Kluy, DER STANDARD/Printausgabe, 24.04.2009)

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