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30.11.2004 - Kultur&Medien / Kultur News
Porträt: Schwarzweiß ist eine Farbe
VON ALMUTH SPIEGLER
Ein kurzer Besuch im Atelier von Esther Stocker, der Otto-Mauer-Preisträgerin 2004.

D
ie Künstler sind die Letzten, die noch aushalten in der ehemaligen Heller-Fabrik in Favoriten. Die mächtige Ziegelbau-Anlage soll renoviert werden, sie trotzt verlassen und unheimlich dunkel dem hereinbrechenden Winter. Nur eine Fensterfront ist beleuchtet, wie im Märchen - und die Tür öffnet auch noch Schneewittchen. Nicht ganz, es ist Esther Stocker, die 30-jährige Malerin aus Schlanders, Südtirol, die hier befristet ein Atelier des Bundes nutzen darf und heute Abend von Bischof Egon Kapellari den Msgr.-Otto-Mauer-Preis empfangen wird.

Vor zehn Jahren ging sie nach dem Abschluss der Lehrerbildungsanstalt nach Wien, "um Malerei zu studieren und den Austausch mit anderen zu haben". Sie landete damals an der Akademie der bildenden Künste, in der Klasse vom Wiener Phantasten Anton Lehmden - eine eher unbefriedigende Situation, wie Stocker beschreibt: "Es war ziemlich moderne-feindlich und verwahrlost." Nach zweieinhalb Jahren übernahm Eva Schlegel die Klasse. "Das war die interessanteste Studienzeit, die kann man nicht vergleichen mit vorher. Prinzipiell ging es nicht um ein bestimmtes Medium, sondern um Diskurs und darum, herauszufinden, wo die Interessen liegen. Es war eine experimentelle Situation."

Doch obwohl Stocker sich an Schwarzweiß-Fotografie und Video versuchte, blieb sie der Malerei treu. Nachdem sie am Anfang am liebsten Porträts zeichnete, begann sie, diese nach und nach in ihre Teile zu zerlegen - und fand so zu ihrer heutigen, äußerst reduzierten Sprache. Stocker malt Ausschnitte von sich prinzipiell ins Unendliche fortsetzbaren geometrischen Strukturen, Rastern und Systemen - streng in Schwarz und Weiß. An der Wand des Ateliers steht eine unvollendete Leinwand. Mit Klebeband grenzt die Künstlerin penibel die Linien ab, die sie später mit Acrylfarbe füllt. "Manchmal kommt es mir vor, dass ich meine Bilder mehr klebe als male", sagt Esther Stocker leise und lächelt. Wie viele Kilometer Klebeband sie bereits verbraucht hat, weiß sie nicht. Über ein Kilometer war es jedenfalls in Berlin, wo sie im Oktober die Presse-Lounge der Kunstmesse Artforum gestaltet hat. Was ist es, das Stocker zu ihren auch mit optischen Effekten spielenden abstrakten Bildern inspiriert? Es ist weniger Architektur, Computerkunst oder elektronische Musik - sondern mehr die Theorie der Wahrnehmung an sich. "Ich habe untersucht, wie Bilder angesehen werden, was ist die Figur, was ist der Grund. Meine Bilder, die Perspektiven und Effekte, entstehen erst im Gehirn des Betrachters. Ich versuche, ein klares rationales System, ohne etwas von außen hinzuzufügen, durch seine eigenen Kriterien zu verändern."

Wichtig für ihre Arbeit waren wissenschaftliche Texte, etwa vom ungarischen Radar-Ingenieur Bela Julesz, der sich mit der Psychologie des Sehens beschäftigt hat. Und wichtig ist auch Bridget Riley, die abstrakte britische Malerin, die oft mit optischen Effekten spielt. Ist die Op-Art also ein wichtiger Bezugspunkt für Stocker? "Nein, obwohl ich meine Meinung darüber geändert habe. Die Op-Art wird in der Kunst meist skeptisch betrachtet, weil sie so nahe beim Design steht. Aber ich denke jetzt, dass optische Effekte nur ein Zusatz sind - eigentlich wird das Gerüst der Wahrnehmung untersucht." Durch ihre betretbaren Rauminstallationen, wie Stocker sie heuer in Berlin und Bozen verwirklichen konnte, hofft die Malerin, ihre Ideen "demokratischer" zu machen. "Abstrakte Bilder rufen bei vielen Menschen das Problem hervor, dass sie glauben, viel wissen zu müssen. Das nimmt oft völlig den Spaß am Sehen. Natürlich steht abstrakte Kunst immer im Kontext mit der ganzen Kunstgeschichte, aber meine Bilder sind auch das, was sie sind: schwarze und weiße Linien."

Und was ist mit der Farbe? Hat Stocker nicht manchmal Lust, einfach eine Blume zu malen? "Mich interessiert Farbe sehr - auch bei Schwarzweiß ist Farbe immer da, in verschiedenen Schattierungen. Und natürlich in ihrer Abwesenheit. Und Blumen male ich eigentlich sowieso. Auch Pflanzen bestehen schließlich aus Strukturen."

Heute, Dienstag, verleiht Diözesanbischof Egon Kapellari den mit 11.000 Euro dotierten Msgr.-Otto-Mauer-Preis an Esther Stocker. 19.30 Uhr, Erzbischöfliches Palais, Wollzeile 2, Wien 1.

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