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05.03.2004
Die große
Erregung
Späte Würdigung eines
Schmuddelkinds: Wien widmet dem umstrittenen Aktionskünstler Otto
Muehl drei Ausstellungen
Von Markus
Huber
Es mag sonderbar klingen, wenn man über eine
Vernissage, bei der sich mehr als 2000 Menschen drängelten, sagt,
es wäre niemand da gewesen. Und doch war es so. Als Peter Noever,
der Direktor des Wiener Museums für Angewandte Kunst (MAK), die
Ausstellung des Gesamtwerks von Aktionskünstler Otto Muehl
eröffnete, fehlten trotz allem Gedrängel die Prominenten. Zum
Beispiel der Künstler: Aufgrund seiner schweren Parkinsonkrankheit
sitzt der 79-Jährige im Rollstuhl und erschien nicht bei der
Eröffnung.
Und,
Überraschung!, kein Politiker zeigte sich. Weder der omnipräsente
Wiener Bürgermeister noch sein Kulturstadtrat. Sogar der zweite
Nationalratspräsident Heinz Fischer, der die Schau mit einer
Leihgabe aus seiner Sammlung unterstützt hatte, wagte sich nicht
ins MAK. Die Anwesenheit vor TV-Kameras und Fotografen war ihm
offenbar zu heiß, zu problematisch – schließlich bewirbt sich
Fischer zurzeit um das Amt des österreichischen Bundespräsidenten.
Dabei als Muehl-Liebhaber ausgemacht zu werden, ist nicht gerade
opportun.
Lange Jahre war es in Wien still gewesen um den
Aktionisten Otto Muehl, der mittlerweile mit wenigen Getreuen
zurückgezogen in der Nähe von Faro im Süden Portugals lebt. Und
wenn sich nicht gerade ein Journalist in seine Umgebung verirrt
hat, war von Muehl nichts zu hören. Doch das hat sich gründlich
geändert. Seit dieser Woche befassen sich in Wien mehrere
Ausstellungen mit dem Künstler. Die größte davon, „Otto Muehl.
Leben/Kunst/Werk. Aktion Utopie Malerei 1960–2004“ mit 480
Arbeiten, zeigt das MAK. Die Galerie Krinzinger konzentriert sich
auf das Spätwerk, und die Galerie Charim zeigt ab Mitte Mai
Arbeiten aus den Achtzigern, vorwiegend Grafiken, Malereien und
Aquarelle. Auch wenn es niemand explizit sagt: Offensichtlich
dient die konzertierte Aktion dazu, Muehl als Künstler abseits
aller gesellschaftspolitischen und juristischen Vorwürfe zu
rehabilitieren. Schließlich war er einer der Protagonisten des
Wiener Aktionismus. Manche meinen: der souveränste.
Doch
kann das gelingen? Wohl kaum. Gut: Die MAK-Ausstellung ist
weitgehend harmlos, nicht zuletzt, weil Etliches fehlt. Zwar will
sie das Gesamtkunstwerk beleuchten, doch Muehls Kommunenphase in
den Siebziger und Achtzigerjahren wird nur verschämt gestreift.
Aus dieser Zeit sind nur ein paar Dokumentationsmaterialien zu
sehen, etwa Anleitungen zur „Selbstanalyse“ für die Kommunarden,
außerdem die Cover einiger Kommunenzeitschriften. Dazu kommt eine
Reihe von Siebdrucken, die wie eine illustrierte Hausordnung
wirken; sie verdeutlichen das strenge hierarchische Regelwerk der
Muehl-Kommune.
Stattdessen werden die Aktionen der
Sechzigerjahre in epischer Breite in Fotos und Filmen gewürdigt –
vor allem die Materialbilder und Aktionsmalereien von 1962/63, die
einen wesentlichen Beitrag zur neueren österreichischen
Kunstgeschichte darstellen. In einem eigenen Bereich, gleich
rechts vom Eingang, sind Muehls jüngere Arbeiten zu sehen:
„Electric Paintings“, also Computeranimationen der eher
schlichteren Machart. Darunter fallen auch die simplen
Darstellungen gefräßiger Haie, mit denen sich Muehl gegenwärtig
die Zeit verkürzt. Den Darstellungen natürlich, nicht den Haien
selbst.
Schon lange bevor die Ausstellungen nun ihre
Pforten eröffneten, erinnerten die österreichischen Feuilletons an
die Muehl-Geschichten von damals. An die Kommune-Ära und vor allem
den Kindesmissbrauch, für den Muehl 1991 zu sieben Jahren
Gefängnis verurteilt worden war. In der „Zeit“ verteidigte der
Aktionist und einstige Sexprotz seine Verbindung von Kunst und
Lebensexperiment nun erneut als gesellschaftlichen Kampf: „Die
Zweierbeziehung zum Beispiel halte ich für vorbei, das ist eine
richtige Knechtschaft, insbesondere für die Frau.“ Worauf der
„Spiegel“ mit neuen Vorwürfen ehemaliger Kommunarden
nachlegte.
Die alten Geschichten sind wieder auf dem Tapet:
1970 hatte Muehl in der Wiener Praterstraße eine Kommune
gegründet, die sich anfangs als Auffangbecken für Künstler und
gestrandete Existenzen verstand. Schon bald wurde dort die freie
Sexualität samt wechselnden Partnern zur Norm erklärt. Kahl
geschoren und mit Latzhosen zogen die Kommunarden durch Wien; mit
Schnullern bewaffnet, demonstrierten sie ihren Ausstieg aus der
Erwachsenenwelt – die Gruppe wuchs rasch. 1972 emigrierte die
Kommune ins Burgenland und bewohnte einen Bauernhof,
wirtschaftlich abgesichert durch ein weit verzweigtes
Firmenkonglomerat.
Aus der zunächst chaotischen
Gruppierung wurde allmählich eine Dorfgemeinschaft, die sich von
der Schulbildung bis zur Ernährung um alles kümmerte. Otto Muehl
war ihr uneingeschränkter Souverän. Er kontrollierte alles, auch
auf sexueller Ebene: wer mit wem schlafen durfte und sollte, wer
schwanger werden durfte und wer nicht, und ob die Frauen ihre
Kinder selbst aufziehen durften oder nicht. Ausgenommen davon war
der Meister selbst, der in der strengen Gesellschaftsordnung der
Kommune als unumschränkter Alleinherrscher regierte. Die Kommune
zerfiel in den Achtzigerjahren; das endgültige Aus kam 1991, als
Muehl wegen Unzucht mit Minderjährigen, die es in der Kommune
ebenfalls gab, von einem österreichischen Gericht ungewöhnlich
hart bestraft wurde.
All das ist jetzt wieder omnipräsent
und war im Vorfeld des Ausstellungsreigens nicht nur Anlass für
mediale Erregungen, sondern auch für politische Querelen. Sogar im
Kulturbetrieb eher verhaltensunauffällige Geister wie der
FPÖ-Politiker Eduard Mainoni, im Hauptberuf Geschäftsführer einer
Wach- und Schließgesellschaft, fühlten sich bemüßigt, gegen die
Muehl-Ausstellung zu polemisieren. Sie gehöre gestoppt, so
Mainoni, allein schon aus Respekt vor den Opfern Muehls. Andere
konservative Politiker folgten seinem Beispiel, weshalb sich die
Gäste der Vernissage im Museum für angewandte Kunst in einem
Hochsicherheitstrakt wähnten. Überall Security-Vertreter, am
Einlass gab es Taschenkontrollen, Besucher wurden mit
Metalldetektoren abgetastet. Und die Fotografen mussten ihre
Kameras aufschrauben, um zu beweisen, dass sie keine Waffen bei
sich tragen. In früheren Zeiten an einem anderen Ort wäre allein
das schon ein aktionistisches Event gewesen.
Eine eigene
Ausstellungs-Abteilung bilden übrigens die Porträts. Eine Zeit
lang versuchte Muehl nicht nur die Gesellschaftsordnung, die er
ablehnte, mit dem Gegenentwurf einer Kommune in Frage zu stellen,
sondern die Repräsentanten dieser „Wichtelgesellschaft“, wie er
sie nannte, auch künstlerisch zu entlarven. Das Ergebnis waren
bunte Pop-Art-Bilder von Charles de Gaulle bis Ho Chi Minh samt
einiger österreichischer Staatsmänner. Für jüngere Besucher wird
diese Sektion zur skurrilen Zeitreise. Eine ähnlich
anachronistisch-skurrile Tour ist die ganze Ausstellung – samt der
Aufregung um sie herum.
Museum für Angewandte Kunst,
Wien, bis 31. Mai; Katalog 44 €. Galerie Krinzinger: bis 8. April.
Galerie Charim: 19. Mai bis 31. Juli
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