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Ästhetisch perfekt verpackte Kritik

Der Ausstellungsmacher Vitaly Patsyukov ist einer der besten Kenner der aktuellen russischen Kunstszene.

TT: Sie sind der Kurator der Ausstellung "Russische Fotografie 1920-2000", die heute Mittwoch im Innsbrucker Stadtarchiv eröffnet wird. Was erwartet den Besucher?

Patsyukov: Die Ausstellung, die bis vor kurzem an der Columbia University von New York zu sehen war, zeigt Moskau im Wandel des 20. Jahrhunderts, das bekanntlich eines der großen Umwälzungen war. Die Ausstellung ist somit genauso geschichtlich wie künstlerisch interessant, stammen die ausgestellten Arbeiten doch von den besten Fotografen Russlands von gestern wie heute.

TT: Durch die Wahl der Perspektive oder Ausschnitte sind aber viele der gezeigten Bilder, obwohl sie nichts anderes als die Wirklichkeit abbilden, Ausdruck von Kritik an politischen oder gesellschaftlichen Phänomenen.
Patsyukov: Ja, etwa ein Alexander Rodchenko verstand es meisterhaft, höchste ästhetische Raffinesse mit Kritik an der herrschenden Politik zu verbinden.

TT: Die Ausstellung ist aber auch ein Querschnitt durch die Geschichte der russischen Fotografie des 20. Jahrhunderts. Unterscheidet sich diese von der westlichen?

Patsyukov: Der Unterschied in der Ideologie ist unübersehbar. In der westlichen Fotografie stand mehr das Individuum im Mittelpunkt, in der russischen das Kollektiv. Im Westen entstanden viele Fotografien etwa im Auftrag kommerzieller Magazine oder der Wirtschaft, in Russland im Auftrag der Politik. Aber rein formal unterscheiden sich die Fotografien kaum.

TT: Hat sich die Situation seit dem Ende des Kommunismus entscheidend geändert?

Patsyukov: Ja, das kann man schon sagen. Auch in Russland wird die Fotografie nun subjektiver bzw. kommerzieller.

TT: Als Ausstellungskurator sind Sie ein exzellenter Kenner der russischen Szene. Wie ist die Stimmung in Ihrer Heimat?

Patsyukov: Die Kultur-
szene hat sich demokratisiert und kommerzialisiert. Es hat in Moskau noch nie so viele Ausstellungen, Theatervorführungen und Konzerte gegeben wie derzeit. Es herrscht eine absolute Aufbruchstimmung. Früher war die Kultur in der Opposition, derzeit ist sie Teil der marktwirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaft.

TT: Wie funktioniert der Austausch zwischen westlicher und östlicher Kultur?

Patsyukov: Gut. Bester Beweis dafür ist eine international beschickte Biennale für zeitgenössische Kunst, die 2005 erstmals in Moskau stattfinden wird.

TT: Und die ehemaligen russischen Staatskünstler, gehören die der Vergangenheit an?

Patsyukov: Das ist ein diffiziles Problem. Diese offiziellen Staatskünstler gibt es immer noch, denn Russland hat kulturpolitisch seinen Weg noch nicht gefunden. Formal haben sie sich zwar nicht geändert, geändert haben sich aber ihre Themen und Auftraggeber. Statt Generälen und Politikern malen sie heute die Neureichen.

TT: Aber wie geht es den jungen Künstlern bzw. der Avantgarde?

Patsyukov: Sie haben es sehr schwer. Der Staat kann nicht viel für sie tun, sie müssen sich selbst um Sponsoren umschauen. Selbst so renommierte Institutionen wie die Eremitage oder das Bolschoi-Theater können nur dank privater Sponsoren überleben. Da kann man sich vorstellen, wie es den Jungen geht. Doch es gibt Anzeichen, dass sich die Situation langsam bessert.



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Die Ausstellung im Innsbrucker Stadtarchiv (Badgasse 2) wird heute Mittwoch um 19 Uhr eröffnet und läuft bis 20. Februar, Montag bis Freitag 9 bis 17 Uhr
2004-01-27 16:55:30