08.10.2003 11:21
Der illusionistische Maler unter den
Bildhauern
Das Kunsthaus Bregenz zeigt den Londoner
Künstler Anish Kapoor - Foto
Der Londoner Künstler Anish Kapoor im Kunsthaus Bregenz. Ein
Großteil der Objekte, wie die Installation "My Red Homeland", wurde eigens für
Bregenz konzipiert.
Bregenz- Achtung, das Betrachten der Kunstwerke von Anish Kapoor kann
Schwindel erregen! Da wurde etwa im Foyer des KUB eine Lichtskulptur aufgebaut,
eine in der Mitte abgedunkelte, riesige leuchtende Wand, die sich im
20-Minuten-Rhythmus durch die Farben des Lichtspektrums dimmt.
Durch
längeres Betrachten scheinen sich die Proportionen von Raum und Installation mit
den Farben zu verändern. Ein ähnlicher Effekt tritt auch vor den großen, auf
Hochglanz polierten und farblich changierenden Hohlspiegeln in der ersten Etage
des KUB ein. Es verliert sich jedes Gefühl für Distanz. Die Objekte rutschen
scheinbar in den Betrachter hinein, verwirren das Gleichgewichtsorgan.
Den Arbeiten haftet eine deutlich mystische Note an. Anish Kapoor, 1954
in Bombay geboren, setzt sich mit den philosophischen Wurzeln östlicher Religion
auseinander. Entsprechend beschäftigen ihn binäre Gegensatzpaare wie Körper und
Seele oder Licht und Dunkel. Polaritäten, die es aufzuheben gilt in eine höhere,
in eine erhabene Einheit. Unterliegt die Welt der Phänomene nicht der
permanenten Täuschung? Traue deinen Augen nicht!
Auf den ersten Blick
sieht man einen Gegenstand und meint, diesen erfasst und eingeordnet zu haben.
Doch auf den zweiten Blick tun sich darin Abgründe, Leerräume, Unendlichkeiten
auf. Im zweiten Stock des KUB stehen weiß bemalte und ausgehöhlte
Kunststoffobjekte, deren Öffnungen sich zunächst als Flächen ausnehmen. Erst wer
genauer hinsieht, entdeckt den Raum dahinter. Doch diese Räume bieten dem Auge
keinen Anhaltspunkt, keine Kanten und Ecken. Nach und nach entsteht der
Eindruck, als ob die Objekte innen größer seien, als es von außen den Anschein
macht. Ein geräumiges Nichts. Eine Transformation des Zweidimensionalen in den
Raum.
Anish Kapoor sagt: "Offensichtlich geht es bei meiner Bildhauerei
um den Raum jenseits, um illusorischen Raum." Er bezeichnet sich auch als Maler
unter den Bildhauern, denn diese Wahrnehmung der Leere ist eine Qualität der
Malerei, die Kapoor in die Skulptur einbracht hat.
Befindet sich der
Besucher in den unteren drei Etagen auf der Suche nach dem Sublimen, wird er im
Dachgeschoß des Hauses von brachialer Gegenständlichkeit beinahe erschlagen. My
Red Homeland ist ein Becken im Durchmesser von zwölf Metern, gefüllt mit 25
Tonnen rot gefärbter Vaseline, in dem sich langsam ein Rührwerk dreht. Dieser
Riesenhaufen fettiger Farbe könnte durchaus als ein Joseph-Beuys-Memorial
durchgehen. (DER STANDARD; Printausgabe, 8.10.2003)