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01.12.2004 - Kultur&Medien / Kultur News
Otto-Mauer-Preis: "Hochwürden, ist das Kunst?"
Am Dienstag verlieh Bischof Egon Kapellari den Otto-Mauer-Preis an Esther Stocker. Aus seiner Rede.

"Die Kunst aller Gattungen hat im Lauf ihrer bisherigen Geschichte insgesamt ungemein viele Sprachen, viele Stile entwickelt. Und während geografische, politische und linguistisch-grammatikalische Grenzen oft nur wenig durchlässig waren, hat die Kunst sich immer wieder als fähig erwiesen, auch solche Grenzen zu öffnen oder zu überspringen. (...) Ab etwa dem 20. Jahrhundert war aber die Sprache der jeweils neuen Kunst zwar Eliten in Europa und Nordamerika länderübergreifend vertraut, und gegen Ende des Jahrhunderts gab es bezogen auf manches sogar eine mondiale Vertrautheit und Zustimmung. Ein Großteil der Bevölkerung verweigerte aber Interesse und Zustimmung zu solcher neuen Kunst, und dies nicht zuletzt deshalb, weil die von Kunst erwartete Gegenständlichkeit und Schönheit dort nicht gefunden wurde.

Eine dafür typische Episode erlebte ich vor etwa 25 Jahren, als ich - damals Studentenpfarrer in Graz - den Besuch einer sehr betagten und kulturell sensiblen Dame empfing, die von ihrem Wahlneffen und dessen Tochter, einer Studentin an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, begleitet war. In der Eingangshalle des von mir geleiteten Studentenhauses waren Lithografien eines von Otto Mauer geförderten und heute längst sehr erfolgreichen Künstlers ausgestellt. Die alte Dame erhob missbilligend ihren Spazierstock gegen eines dieser Exponate und fragte mich mit erhobener Stimme: ,Hochwürden, ist das Kunst?' Die Wahl-Großnichte, selbst Kunststudentin, die allerdings ihrer Großtante vermutlich noch keine ihrer Arbeiten gezeigt hatte, ersparte mir eine Antwort, indem sie ruhig sagte: ,Tante, das verstehst du nicht!'

Indessen sind viele Jahre vergangen und die Bereitschaft, die Sprache neuer Kunst zu erlernen, ist vielerorts gewachsen: dies vor allem bei der jeweils jungen Generation. Diese Bereitschaft reicht auch weit in den Lebensraum der Kirche hinein. Der fast schon legendäre Msgr. Otto Mauer hat dafür pionierhaft Schritte getan und Türen geöffnet. (...) Der Otto-Mauer-Preis nimmt Kunst nicht in Dienst, auch nicht in den Dienst von Liturgie. Er eröffnet einen geistigen Raum, in welchem aus zweckfreiem Gespräch zwischen Kirche und Kunst auch Neues entstehen kann, das entsprechend einem Wort aus Rilkes Erster Duineser Elegie anruft und tröstet und hilft'. (...)"

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