Kreativer Vormarsch im Untergrund
Von Nina Schedlmayer, Bratislava Auf die Idee, dass in Bratislava
ein Kunstzentrum ist, würde man - verwöhnt von Wien - auf den ersten Blick
nicht unbedingt kommen: Keine Kunsthalle, keine Sezession, keine Galerien,
die auf internationalen Kunstmessen vertreten sind. Doch der erste
Eindruck täuscht gewaltig. Längst hat sich nur 50 Kilometer von Wien
entfernt eine kleine, aber feine Kulturszene etablieren können.
Bleibt man bei einer oberflächlichen Betrachtung, dann findet
man die slowakische Nationalgalerie und das ehemalige Soros Center for
Contemporary Art - schön, aber eben so gut wie alles, was die Kunstszene
von Bratislava auf einer offiziell-repräsentativen Ebene so zu bieten hat.
Dafür, so scheint es, arbeitet eine kleine Off-Szene intensiv und
produktiv unter Bedingungen, die mit "selbstausbeuterisch" nur
unzureichend beschrieben sind. Der allgemeine Tenor geht hier in die
Richtung "Aus der Not eine Tugend machen". So entstehen nicht nur
alternative Projekte, sondern vor allem kreative Mischformen und enge
Kooperationen zwischen Kulturschaffenden - wie es aussieht, mehr als in
Wien.
Szene-Solidarität
"Wir wollen uns hier
gegenseitig unterstützen", sagt Jana Gerzová, die die Kunstzeitschrift
"profil" herausgibt, in der auf einigen Seiten Kunststudenten und
-studentinnen ihre Arbeiten präsentieren können. Im Gegenzug nutzt sie für
ihr Magazin die Infrastruktur der Akademie der Bildenden Künste: hier hat
sie einen Forschungsauftrag für drei Jahre und publiziert demnächst ein
Buch über Kunst in der Slowakei. Seit 1991 berichtet "profil" über
slowakische und internationale Kunstströmungen, mit einer zweijährigen
Pause während der Regierung Meciar, als das Kulturministerium die Vergabe
von Förderungen für derartige Publikationen aussetzte: "Man konzentrierte
sich in dieser Zeit eher auf identitätsstiftende und folkloristische
Projekte", so Gerzová. Danach erschien das zuvor farbige Heft in neuem
Layout und hatte ab sofort ein einzigartiges Merkmal: unkonventionell für
eine Kunstzeitschrift, ist es zur Gänze in schwarzweiß gedruckt -
Understatement pur. Zum einen ein Resultat des permanenten Geldmangels,
zum anderen wurde damit ein bestimmtes unverwechselbares Image geschaffen,
das auch in der ausländischen Fachwelt gut ankommt. Erfrischend und
bemerkenswert ist hier, dass zwischen den Generationen mehr Kontakte und
mehr Kooperationen eingegangen werden als etwa in der österreichischen
Kunstszene: Immer wieder verweisen einzelne Personen im Gespräch
aufeinander und lassen so eine strenge Trennung zwischen einer
"offiziellen", mehr oder weniger "etablierten" und einer "undergroundigen"
Szene gar nicht erst aufkommen. So kooperiert Gerzovás "profil" mit der
"Galeria Hit", die einige Studentinnen der Kunstakademie seit November
2003 im dortigen Gebäude betreiben: Als sie diese eröffneten, konnte man
bei einer Tombola einen Beitrag in "profil" gewinnen - und so erscheinen
in der nächsten Ausgabe zwei Seiten über die Künstlerin, die das große Los
gezogen hat.
Internationaler Austausch
Der
Kellerraum, den die Studentinnen von der Akademie gratis zur Verfügung
gestellt bekommen haben, verströmt einen sympathischen Charme. "Unsere
Eröffnungen", erzählt Dorota Kenderová, eine der Betreiberinnen, "sind
eher Parties, mit Musik, bei denen es schon etwas laut zugehen kann."
Dennoch würden nicht nur Studierende kommen, sondern auch Kuratoren und
Kritiker. Auch Dorota und ihre Kolleginnen setzen wie alle auf
internationalen Austausch: Unlängst haben sie Studierende aus dem
ungarischen Péc zu einer Gruppenausstellung eingeladen. Insgesamt vier
Projekte wurden bisher organisiert, meistens unter dem Motto witzig,
spritzig, jung: "Fesche Burschen", so lautete etwa der - hier frei
übersetzte - Titel der ersten Ausstellung, an der ausschließlich
Künstlerinnen teilnahmen. Ein Projekt, das vielen anderen Mut machte,
selbst etwas auf die Beine zu stellen, war die in einem Privatraum von
Mária Risková drei Jahre lang betriebene "buryzone", die von Ausstellungen
über Vorträge und Partys so ziemlich alle bot, was irgendwie mit Kultur zu
tun hatte. Nun möchte sie das Projekt unter dem Namen "burundi" im
Kulturhaus A4 weiterführen und weiterhin Festivals organisieren und Raum
für Ausstellungen zur Verfügung stellen.
Betriebssystem
Kunst
Viele Künstler und Künstlerinnen setzen sich in ihren
Arbeiten mit dem Kunstbetrieb auseinander: sei es die große Kunst-Tombola
der "Galeria Hit", die eine Persiflage auf die das Betriebssystem Kunst
oft regierende Zufälligkeit ist, oder seien es die Arbeiten der polnischen
Gruppe Azorro, deren auf Video dokumentierten Aktionen Juraj Carny in
seiner Galerie Priestor ausstellt: da überlegen die vier Künstler, welche
Art von Kunst sie machen sollen und müssen bei jedem scheinbaren Einfall
resignieren: hat es ja schon gegeben! Oder sie versuchen in großen Museen
mit ihren Mappen hausieren zu gehen und sorgen dort für gehörige
Verwirrung. Ist es symptomatisch für die Kunstszene in Bratislava,
dass auch Carnys Galerie im Keller ist? Etwas außerhalb des Zentrums hat
Carny einen ehemaligen Luftschutzkeller in einen klassischen White Cube
umgewandelt: durch schwere grüne Türen betritt man den kalten, niedrigen
Raum, der sich für Videoarbeiten hervorragend eignet. Auch Carny braucht
für den Raum keine Miete zu zahlen: Das übernimmt eine Werbeagentur, die
sich im gleichen Haus befindet. Hier hat Carny auch sein Büro, von dem aus
er zahlreiche Aktivitäten koordiniert: internationales Networking mit
anderen Kuratoren, Veranstaltern von Festivals, Fundraising für den
Ausstellungsraum. Dass seine Galerie nicht kommerziell arbeitet, ist nicht
unbedingt eine freie Entscheidung: "In der Slowakei gibt es keinen
Kunstmarkt", stellt er trocken fest. Er versucht aber trotzdem alles: so
platziert er etwa Kunstwerke in Designshops: kannst du dir schicke Sofas
leisten, hast du auch Geld für Kunst, so die unterschwellige Botschaft.
Kein Platz! Das größte Problem in Bratislava scheint das
Platzproblem zu sein - und alle lösen es auf unterschiedliche Art: während
die einen Raum umsonst zur Verfügung gestellt bekommen, weichen die
anderen in den öffentlichen Raum aus: die Gruppe Billboart Art etwa.
Ähnlich wie beim Wiener Museum in progress werden Plakatflächen gesponsert
und von Billboart Art bespielt. Die Organisation, die mit internationalen
Partnern, unter anderem auch mit dem Wiener WUK, kooperiert, schreibt alle
zwei Jahre einen Wettbewerb aus, an dem sich beim letzten Mal etwa 200
Leute beteiligt haben: der Anspruch ist dabei, in den eingereichten
Vorschlägen auf das Medium der Plakatfläche als Werbetafel einzugehen und
diese Sprache mitzureflektieren. Mira Keratová, Organisatorin und
Kuratorin der Billboart Gallery ist sich der Plakativität bewusst: "Man
muss sehr klar und visuell stark arbeiten." Die Subtilität liegt, wenn
überhaupt, dann in der Irritation des Umfeldes. Das zeigt sich unter
anderem in Zerstörungsaktionen: etwa bei einem Plakat, auf dem ein Sniper
abgebildet war, und das seine Entsprechung im Stadtraum fand: allerdings
handelte es sich dabei um eine Attrappe, die in Wirklichkeit ein Fernrohr
war. Auf Betreiben des Magistrates hin musste dieses wieder abmontiert
werden.
Keine Partner aus Wien
Irgendwann während
des Gesprächs erkundigt sich Mira Keratová über die Kunstszene in Wien und
erzählt von ihren Schwierigkeiten, Partner zu finden. Ähnliches stellt
Juraj Carny fest, der noch keine Galerie für Kooperationen gefunden hat.
Trotz der Ausstellung "Stadt in Sicht", die im Vorjahr im Künstlerhaus
Kunst aus Bratislava präsentierte und anderer kleinerer Kooperationen
seien die Verbindungen zwischen den beiden Städten noch immer nicht die
besten. In Anbetracht der internationalen Orientierung von Bratislava
scheint dies allerdings eher ein Nachteil für Wien zu sein.
Erschienen am: 19.02.2004 |
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