Großgewachsen. Das dunkle Haar hochgesteckt. Die enge
schwarze Jacke von japanischer Schlichtheit erinnert an Elfriede Jelinek.
Ein Null-Kunst-Photo, das sie zeigen würde, wie sie ist, will sie nicht in
der Zeitung sehen. Dabei schaut sie ohnehin im zivilen Leben aus wie eine
Kunstfigur. An Irene M. Andessner ist alles präzise. Muß wohl so sein für
eine Frau, die sich so weit hinaus wagt in der Demontage des eigenen, in
der Aneignung von fremden Wesen.
In der Malerei - sie studierte in Venedig bei Emilio
Vedova, in Wien bei Max Weiler und Arnulf Rainer - arbeitete sie sich zum
Selbstporträt vor. Und dann weiter zu Bildnissen bewunderter Frauen. Eine
Form des Identitätsaustauschs, und wohl immer auch Spiegelung ihres
eigenen Ichs. "Ich habe Malerinnen aus vier Jahrhunderten interpretiert:
Sofonisba Anguissola (die erste namentlich bekannte Malerin in der
Renaissance, Anm.), Angelika Kauffmann, Frida Kahlo, Gwen John.
Danach habe ich Frauenfiguren gemacht für eine Ausstellung in Salzburg,
die mit Salzburg zu tun hatten: Constanze und Nannerl Mozart, Caroline
Auguste, die Namensgeberin des Museums, wo ich ausgestellt habe, Emilia
Kraus, die sogenannte Hundsgräfin, eine Geliebte Napoleons, und die
Malerin Barbara Krafft."
Seit Dezember bereitet Irene Andessner ihre neueste
Rolle, ihre Aktion als "Venus im Pelz" vor. Diese von Leopold von
Sacher-Masoch (1836 bis 1895) in die Welt gesetzte Romanfigur wurde
begriffliche Urmutter aller Dominas: Der Nervenarzt Richard von
Krafft-Ebing belegte den männlichen Lustgewinn aus physischem Schmerz und
Erniedrigung mit dem Namen "Masochismus".
Andessner: "Mein Zugang geht über die Frau von
Sacher-Masoch, Wanda von Sacher-Masoch. Sie hat eine Lebensbeichte
geschrieben, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat, ein 500 Seiten
dickes Buch. Ich beziehe mich auf die Lebensbeichte und auch auf die
"Venus im Pelz". Die wurde geschrieben, lange bevor Sacher-Masoch mit
Frauen in diese Spiele gegangen ist. Es war sein Wunschbild, eine Frau zu
haben, die ihn dominiert und ihn durch diese Dominanz zu Höchstleistungen
bringt."
In der Psychologie wisse man, daß Masochisten starre
Bilder suchen. "Ein Beispiel ist ein Tizian-Gemälde im Kunsthistorischen
Museum, auf das sich Sacher-Masoch immer wieder bezieht - das Bild einer
Frau, die Pelze trägt und dadurch despotisch wird. Der Pelz ist das
Attribut der Dominanz für ihn, der Macht und der Herrschaft."
Im Kulturstadt-Europa-Programm "Graz 2003" gibt es unterm
Titel "Lust als Passion" mehrere Ausstellungen, die an den gebürtigen
Lemberger Sacher-Masoch erinnern. Er hat viele seiner Bücher in Graz
geschrieben. Für den "Dom im Berg" werden von Videos und Leuchtbildern
begleitete Aktionen vorbereitet: "Wanda SM", vom 25. April bis 25. Mai.
Der Mann als Schemel
Eine Aktion "unter ritueller Einbindung von geladenen
Gästen" wird am 21. Oktober (17 bis 23 Uhr) im Tizian-Saal des Wiener
Kunsthistorischen Museums aufgezeichnet. Im Internet ist sie live zu
beobachten (www.andessner.com). Für das Graz-Projekt, das auch in der Oper
und im Hotel Erzherzog Johann Schauplätze bekommt, lud sie bereits Männer
in ein Brautmodengeschäft am Wiener Gürtel ein. "Das Ziel war, daß der
Mann so vor mir kniet, wie es das historische Photo zeigt, daß er mir das
Schuhband öffnet mit seinen Zähnen, und daß ich meine Füße auf ihn legen
kann wie auf einen Schemel."
Für die Venedig-Biennale 2003 bereitet sie bereits für
das Café Florian eine "Sala delle donne illustre" vor - sie soll dort die
Galerie berühmter Männer konterkarieren. Der Kunstbuchverlag Crantz druckt
rechtzeitig eine große Andessner-Monographie mit vielen Frauenbildern. Für
ihre Videos und Aktions-Momentaufnahmen braucht sie ein Dutzend
Professionisten - Regie, Visage, Licht, Ausstattung. Sie erzählt von
wissenschaftlicher Lektüre, von Fachberatung, etwa durch die
Psychotherapeutin Rotraud Perner.
Berlin lernte Irene M. Andessner als "Marlene Dietrich"
kennen. Dazu hat sie sogar einen Herrn geheiratet, der Dietrich heißt, nun
kann sie die Dokumentarphotos mit "M. Dietrich" signieren. "Ich wollte
ganz in dieser Frauenfigur aufgehen. Ich habe meine Haare blond gefärbt,
meine Augenbrauen abrasiert, ein Jahr lang nur Herrenanzüge getragen, dann
auch den Kontakt gesucht zu einem Transvestitenlokal, wo ich als Marlene
Dietrich aufgetreten bin und für einige Wochen jeden Abend um halb drei
Uhr früh gesungen habe - bekannte Songs wie "Lili Marlen".
Sie hat überdies einen Film, wo die Dietrich als Braut
aufgetreten ist, nachinszeniert - in einem Photo-Shooting, zu dem sie
Gunter Sachs als Photographen kürte. "Während dieses Jahres habe ich dann
auch einen Mann geheiratet, den ich gecastet habe, das heißt, ich habe 500
Dietrichs angeschrieben, die ich aus dem Berliner Telephonbuch gesucht
habe, und dann haben sich 30 im engeren Kreis ergeben, die ich gecastet
habe - und einen habe ich ausgewählt, damit er mir für ein Jahr den Namen
gibt."
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