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23.09.2002 - Kultur News
Marlene Dietrich und "Venus im Pelz": Frau inszeniert sich als Vorzeigefrau
Irene Andessner verblüfft in der Maskerade historischer Frauengestalten. Ein radikales Performance-Konzept: Um Marlene Dietrich zu werden, heiratete sie in Berlin auf ein Jahr einen Herrn Dietrich. Für die "Graz 2003"-Ausstellung über den Schriftsteller L
VON HANS HAIDER


Großgewachsen. Das dunkle Haar hochgesteckt. Die enge schwarze Jacke von japanischer Schlichtheit erinnert an Elfriede Jelinek. Ein Null-Kunst-Photo, das sie zeigen würde, wie sie ist, will sie nicht in der Zeitung sehen. Dabei schaut sie ohnehin im zivilen Leben aus wie eine Kunstfigur. An Irene M. Andessner ist alles präzise. Muß wohl so sein für eine Frau, die sich so weit hinaus wagt in der Demontage des eigenen, in der Aneignung von fremden Wesen.

In der Malerei - sie studierte in Venedig bei Emilio Vedova, in Wien bei Max Weiler und Arnulf Rainer - arbeitete sie sich zum Selbstporträt vor. Und dann weiter zu Bildnissen bewunderter Frauen. Eine Form des Identitätsaustauschs, und wohl immer auch Spiegelung ihres eigenen Ichs. "Ich habe Malerinnen aus vier Jahrhunderten interpretiert: Sofonisba Anguissola (die erste namentlich bekannte Malerin in der Renaissance, Anm.), Angelika Kauffmann, Frida Kahlo, Gwen John. Danach habe ich Frauenfiguren gemacht für eine Ausstellung in Salzburg, die mit Salzburg zu tun hatten: Constanze und Nannerl Mozart, Caroline Auguste, die Namensgeberin des Museums, wo ich ausgestellt habe, Emilia Kraus, die sogenannte Hundsgräfin, eine Geliebte Napoleons, und die Malerin Barbara Krafft."

Seit Dezember bereitet Irene Andessner ihre neueste Rolle, ihre Aktion als "Venus im Pelz" vor. Diese von Leopold von Sacher-Masoch (1836 bis 1895) in die Welt gesetzte Romanfigur wurde begriffliche Urmutter aller Dominas: Der Nervenarzt Richard von Krafft-Ebing belegte den männlichen Lustgewinn aus physischem Schmerz und Erniedrigung mit dem Namen "Masochismus".

Andessner: "Mein Zugang geht über die Frau von Sacher-Masoch, Wanda von Sacher-Masoch. Sie hat eine Lebensbeichte geschrieben, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hat, ein 500 Seiten dickes Buch. Ich beziehe mich auf die Lebensbeichte und auch auf die "Venus im Pelz". Die wurde geschrieben, lange bevor Sacher-Masoch mit Frauen in diese Spiele gegangen ist. Es war sein Wunschbild, eine Frau zu haben, die ihn dominiert und ihn durch diese Dominanz zu Höchstleistungen bringt."

In der Psychologie wisse man, daß Masochisten starre Bilder suchen. "Ein Beispiel ist ein Tizian-Gemälde im Kunsthistorischen Museum, auf das sich Sacher-Masoch immer wieder bezieht - das Bild einer Frau, die Pelze trägt und dadurch despotisch wird. Der Pelz ist das Attribut der Dominanz für ihn, der Macht und der Herrschaft."

Im Kulturstadt-Europa-Programm "Graz 2003" gibt es unterm Titel "Lust als Passion" mehrere Ausstellungen, die an den gebürtigen Lemberger Sacher-Masoch erinnern. Er hat viele seiner Bücher in Graz geschrieben. Für den "Dom im Berg" werden von Videos und Leuchtbildern begleitete Aktionen vorbereitet: "Wanda SM", vom 25. April bis 25. Mai.

Der Mann als Schemel

Eine Aktion "unter ritueller Einbindung von geladenen Gästen" wird am 21. Oktober (17 bis 23 Uhr) im Tizian-Saal des Wiener Kunsthistorischen Museums aufgezeichnet. Im Internet ist sie live zu beobachten (www.andessner.com). Für das Graz-Projekt, das auch in der Oper und im Hotel Erzherzog Johann Schauplätze bekommt, lud sie bereits Männer in ein Brautmodengeschäft am Wiener Gürtel ein. "Das Ziel war, daß der Mann so vor mir kniet, wie es das historische Photo zeigt, daß er mir das Schuhband öffnet mit seinen Zähnen, und daß ich meine Füße auf ihn legen kann wie auf einen Schemel."

Für die Venedig-Biennale 2003 bereitet sie bereits für das Café Florian eine "Sala delle donne illustre" vor - sie soll dort die Galerie berühmter Männer konterkarieren. Der Kunstbuchverlag Crantz druckt rechtzeitig eine große Andessner-Monographie mit vielen Frauenbildern. Für ihre Videos und Aktions-Momentaufnahmen braucht sie ein Dutzend Professionisten - Regie, Visage, Licht, Ausstattung. Sie erzählt von wissenschaftlicher Lektüre, von Fachberatung, etwa durch die Psychotherapeutin Rotraud Perner.

Berlin lernte Irene M. Andessner als "Marlene Dietrich" kennen. Dazu hat sie sogar einen Herrn geheiratet, der Dietrich heißt, nun kann sie die Dokumentarphotos mit "M. Dietrich" signieren. "Ich wollte ganz in dieser Frauenfigur aufgehen. Ich habe meine Haare blond gefärbt, meine Augenbrauen abrasiert, ein Jahr lang nur Herrenanzüge getragen, dann auch den Kontakt gesucht zu einem Transvestitenlokal, wo ich als Marlene Dietrich aufgetreten bin und für einige Wochen jeden Abend um halb drei Uhr früh gesungen habe - bekannte Songs wie "Lili Marlen".

Sie hat überdies einen Film, wo die Dietrich als Braut aufgetreten ist, nachinszeniert - in einem Photo-Shooting, zu dem sie Gunter Sachs als Photographen kürte. "Während dieses Jahres habe ich dann auch einen Mann geheiratet, den ich gecastet habe, das heißt, ich habe 500 Dietrichs angeschrieben, die ich aus dem Berliner Telephonbuch gesucht habe, und dann haben sich 30 im engeren Kreis ergeben, die ich gecastet habe - und einen habe ich ausgewählt, damit er mir für ein Jahr den Namen gibt."



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