02.04.2002 10:29:00 MEZ
Ein letzter weißer Fleck
Eine erste größere Schau indischer Gegenwartskunst im deutschen Sprachraum: "Kapital & Karma" in der Kunsthalle Wien

Die Bedeutung Indiens wird hierzulande ökonomisch wie kulturell unterschätzt. Mit der Ausstellung "Kapital & Karma" verweist die Kunsthalle Wien auf jene Leerstelle und zeigt die erste größere Schau indischer Gegenwartskunst im deutschen Sprachraum.


Wien - Wenn das Kapital fließt, bleibt auch das Karma nicht das alte. Der Globalisierungsschub hat auch vor Indien nicht halt gemacht. Zumindest die urbane Bevölkerung des Subkontinents verändert sich rapide. Und: Auch wenn das geläufige Indienbild in unseren Breiten immer noch irgendwo zwischen Tempeltanz, Witwenverbrennung, Armut, Atommacht und Ben Kingsley angesiedelt ist - spätestens seit der westliche Bedarf an Computerexperten nur mehr aus indischen Ressourcen gestillt werden kann, ist klar: Neben China wird Indien unsere Zukunft wesentlich beeinflussen.

"Indien ist nicht irgendein wichtiges Land für die Zukunft der Welt. Sämtliche Denktraditionen sind in dieser Gesellschaft präsent: Hinduismus, Islam, Christentum; weltlich: Liberalismus, Marxismus, Sozialdemokratie, Gandhi. Es gibt keinen Gedanken, der im Westen oder Osten gedacht wurde, der nicht in irgendeinem indischen Verstand aktiv wäre." Dem britischen Historiker E. P. Thompson war das schon nach seiner ersten Indienreise 1977 klar, lange bevor Globalisierung ein Schlagwort, geschweige denn als Falle erkannt wurde.


Kunst als Exotikum

Kunst existiert auch ohne weltweite Kapitalströme. Sie wird nur entweder gar nicht oder wenn ja, dann als Exotikum beachtet. Trifft Zweiteres zu, wird ihr zwar ein Marktwert, nicht aber ein Mitspracherecht eingeräumt. Die "Exotika" werden zwar zur Belebung des Handels verwendet, die westliche Sicht der Kunstgeschichte aber verändern sie kaum.

Mit der Ausstellung Kapital & Karma zeigt die Kunsthalle Wien zehn Gegenwartskünstler aus Indien - es ist die erste größere Präsentation indischer Gegenwartskunst im deutschen Sprachraum -, die exakt an der Schnittstelle zwischen eigener Tradition und westlichem Einfluss agieren. Und betritt damit, von uns aus gesehen, einen fast durchgehend weißen Fleck auf der Kunstlandkarte. Kaum eine der vertretenen Positionen ist bekannt, keine via Documenta oder Venedig-Biennale vorweg als markt- oder ausstellungstauglich eingeführt.

Ohne den Anspruch, repräsentativ zu sein, zeigt Kapital & Karma vor allem die vielschichtigen Überlagerungen zwischen Tradition und internationalen Tendenzen, zwischen postkolonialer Gegenwart und virtuellem Anschluss an die restliche Welt.

Die zehn Künstler thematisieren den gebrochenen Blick Indiens, verarbeiten private Erzählungen und öffentliche Mythen sowohl im für Indien klassischen Medium der Malerei als auch in Fotografie, Video, Installation oder digitaler Kunst und kombinieren "Nationales", "Lokales" und "Globales". Das "Private" ergibt sich schlicht aus der Notwendigkeit einer Neudefinition aller Beziehungen - zwischen Individuum und Gemeinschaft, zwischen Politik, Ökonomie und Kultur - in einer fragmentierten Gesellschaft. Genau damit verweist eine "Indien"-Ausstellung auf globale Probleme, die weit über die der Nation und der Kunst hinausreichen.

Der Kulturtheoretiker Ranjit Hoskote hierzu im Interview mit Michael Wörgötter, der gemeinsam mit Angelika Fitz die Ausstellung kuratiert hat: "Das 'semifeudale Denken' und die 'semifeudale' soziale Struktur beeinflussen auch das Bewusstsein. Aber ich weiß nicht, ob die Leute bereit sind, dieses Problem in ihrer Kunstpraxis zu thematisieren.

Wir haben es irgendwie geschafft, die regressivsten zwei oder drei möglichen Elemente unterschiedlicher kultureller und sozialer Phasen zu verschmelzen: Ein feudales "Machogehabe" vermischt sich mit dem Modell des romantischen Genies und dem Helden der Moderne, der Spätmoderne bzw. dem heroischen Modell eines Helden der Hochmoderne."
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2. 4. 2002)


Quelle: © derStandard.at