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Geschützbatterien wurden aufgefahren, böses Blut tränkte
die urbane Brache, immer neue Kombatanten wurden
ausgehoben und neue Aufwallungen mobilisiert. « |
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Seine Entstehungsgeschichte, ähnlich jener
des Märchenschlosses im Königswinkel, ist allerdings eine
landestypische Moritat. Wie kein anderes Bauvorhaben hat diese
größte Baustelle der Nachkriegsrepublik die Polemiker des
Alpenlandes herausgefordert und regelmäßig neue
Entrüstungsstürme entfacht. Erst in einem 24 Jahre währenden
Meinungskrieg konnte es erzwungen werden.
Wortgewaltige
Geschützbatterien wurden aufgefahren, böses Blut tränkte die
urbane Brache, immer neue Kombatanten wurden ausgehoben und
neue Aufwallungen mobilisiert. Allen voran schoss die
Kronen-Zeitung – die Dicke Berta im österreichischen
Medienarsenal – das Projekt systematisch sturmreif. Mehrmals
lag das Kulturareal noch vor dem ersten Spatenstich in
Trümmern. Das Museumsquartier, nun zierlich „MQ“ etikettiert,
gleicht in seinem gewaltigen Hunger nach Ideen, Plänen und
Zukunftsperspektiven einem urzeitlichen Ungeheuer.
Im
Verlauf der Jahre verschlang der Moloch vier Bauten- und vier
Wissenschaftsminister, die zufolge der politischen Logik in
Österreich für Bundesmuseen zuständig sind, drei Bürgermeister
und ebenso viele Kulturdezernenten von Wien, drei Direktoren
der Errichtergesellschaft, eine unüberschaubare Schar von
Lokalpolitikern, Museumsleitern, Architekten, Experten,
Konsulenten, Abkassierern, Bedenkenträger und
Meinungstrommlern sowie eine unabschätzbare Zahl frommer
Wünsche, selbstbewusster Absichtserklärungen und hochfahrender
Zielvorstellungen.
Der Leseturm
Ein
imposanter Turm hätte 67 Meter hoch zum Himmel ragen und
wuchtige Gebäudekuben hätten aufgeschichtet werden sollen;
oder es hätte in den ehemaligen Hofstallungen der Habsburger
eine Shopping-City samt Freizeitpark, dann wieder ein Hotel-
und Kongresskomplex, oder doch neuerlich Stellplätze für
Fiakergäule, ein andermal besser aber eine Medienwelt,
vielleicht auch die wichtigste österreichische Sammlung
zeitgenössischer Kunst oder eine Großbibliothek,
möglicherweise jedoch gleichfalls eine großzügige Plattform
für Architekturdiskussionen in dem barocken Gemäuer Platz
finden sollen.
Phasenweise wechselten die
Nutzungsvarianten wöchentlich. Angeführt von einer
Trachtenmodenhändlerin und einem Droschkenkutscher formierten
sich erboste Bürger gegen dieses oder jenes. Ein Minister
schwärmte von einem „Museum der Völker und Kulturen“, sein
Kabinettskollege von einem „Jahrhundertwendemuseum“; eine
Expertin forderte ein „Museum der Zukunft“, ihr Widerpart ein
„Zentrum für zeitgenössische Kunst und Kultur“.
Kaum
ein Quadratzentimeter des Spielraums zwischen all diesen
musealen Vorstellungswelten blieb unbesetzt. Und fast jeder
musste wieder geräumt werden. Einig war man sich lediglich,
vor einer „Jahrhundertchance“ zu stehen, die der „kulturellen
Manifestation der Republik“ dienen müsse. Doch in einem
zerrissenen Land wächst so leicht nicht zusammen, was
irgendwie zusammengehören soll.
Als nach
jahrzehntelangem Vorgeplänkel das Kolossalprojekt der
Architekten Laurids und Manfred Ortner 1990 von einer
internationalen Jury nach einem zweistufigen Wettbewerb zum
Sieger gekürt wurde, lag das Areal, auf dem dereinst das
Museumsquartier erstehen sollte, bereits nahezu 200 Jahre lang
im Visier der Baukünstler und Städteplaner.
Im Auftrag
von Karl VI., dem Vater der mütterlichen Maria Theresia, hatte
der Barockmeister Johann Bernhard Fischer von Erlach außerhalb
der Stadtbefestigungen, jenseits des Glacis und am Rande der
Vorstadt, sein letztes Projekt in Angriff genommen: Einen
imperialen Marstall für 800 Rösser und 200 Kutschen. Die
Vorderfront der gewaltigen Stallburg erstreckte sich über 353
Meter.
Als jedoch 1809, knapp ein Jahrhundert später,
die aus Wien abrückenden, napoleonischen Besatzungstruppen die
Mauern vor der kaiserlichen Hofburg schleiften, klaffte
plötzlich eine urbane Lücke im Weichbild von Wien und führte
erstmals die Notwendigkeit einer Erweiterung der in ihrem Kern
mittelalterlichen Hauptstadt deutlich vor Augen.
Langsam setzte sich die Idee durch, auf dem
brachliegenden Gelände ein imposantes „Kaiserforum“ zu
gestalten, dessen westlichen Abschluss die Hofstallungen
bilden würden. Es war ein zäher Prozess.
Schließlich
wuchsen der Hofburg ein neuer Trakt und eine Triumphpforte zu,
der weitläufige Heldenplatz wurde angelegt, Denkmäler wurden
aufgepflanzt und zwei palastähnliche Museumsbauten für die
naturkundlichen und kunsthistorischen Sammlungen der
Habsburger errichtet. Kurz vor der Jahrhundertwende ging dem
ehrgeizigen Bauvorhaben die Luft aus; es blieb unvollendet.
Babylonischer Kulturbezirk
Zu diesem
Zeitpunkt hatte der Marstall bereits weitgehend seine
Bestimmung verloren und der funktionslose Koloss nährte fortan
die Begehrlichkeit der ortsansässigen Architektenschaft.
Zahllose Fantasieprojekte wurden entwickelt. Der umtriebige
Otto Wagner etwa entwarf einen babylonischen Kulturbezirk, den
er „Artibus“ taufte. Die Schüler des Oberbaurats erträumten
monumentale Kathedralen mit neuer Kaisergruft oder auch ein
gewaltiges „Sühnedenkmal“ für den Ersten Weltkrieg.
Auch den Nazis schwebte eine städtebauliche Großtat
auf dem Areal des barocken Nutzbaues vor, in den
zwischenzeitlich die Wiener Messe eingezogen war: eine „Wiener
Walhalla“, in deren Zentrum zwei wehrhafte Museumsburgen den
deutschen Kulturgedanken bewahren sollten.
Unbeeindruckt von den grandiosen Vorstellungen
rotteten die alten Mauern langsam vor sich hin und wurden nur
notdürftig für den gelegentlichen Messebetrieb adaptiert. Als
1977 erstmals in einer Parlamentsdebatte die Idee auftauchte,
ein Zentrum für moderne Kunst zu errichten, war die
Bausubstanz bereits ziemlich in Mitleidenschaft gezogen.
Zunächst dümpelte die Debatte in der für ihre
Peymann-Schlachten berüchtigten Stadt noch vergleichsweise
lustlos dahin. Erst als der auf imposante Wirkung bedachte
Siegerentwurf der Brüder Ortner vorgestellt und die
politischen Weichen für den Beginn des Bauvorhabens gestellt
wurden, entflammte ein wütender Streit. Vor allem die
Denkmalschützer liefen Sturm und drohten sogar mit dem
Staatsanwalt.
Unterstützt wurden sie vor allem durch
das publizistische Sperrfeuer der Kronen-Zeitung, die sich
seit je um klein geistige Anliegen in Wien verdient gemacht
hat. „Museumsquartier ist Tumor“, rebellierte nun das
Boulevardblatt, „brutaler Klotz“, „Skandalbau“, „Monster“.
Unter dem Pseudonym Aurelius warf sich der Herausgeber und
Miteigentümer Hans Dichand, selbst Besitzer einer
hochkarätigen Sammlung klassischer Moderne, höchstpersönlich
in die Schlacht. „Eisige Ablehnung“ forderte er in seiner
Kampagne ein. In seinem entschlossenen Widerstand dürfte der
Zeitungszar wohl durch den Umstand bestärkt worden sein, dass
er in einer frühen Planungsphase mit einem lukrativen
Konsulentenvertrag (4,2 Millionen Mark) in das Projekt
eingebunden war, jedoch bald wieder ausgebootet wurde.
Die Ansprüche der Sammler
Besonders um
den „Leseturm“, der als weithin sichtbares Wahrzeichen des
Kulturbezirks gedacht war, entbrannte ein erbitterter Streit.
Unter dem jahrelangen publizistischen Dauerfeuer knickten
selbst die entschlossensten Politiker langsam ein.
Scheibchenweise wurden die Pläne verkleinert; ein
Museumsgebäude schrumpfte um 20 Prozent seines Bauvolumens,
von dem Symbol Leseturm wurden elf Meter gekappt. Indes, die
aufgebrachten Gemüter waren nicht mehr zu beschwichtigen.
Mittlerweile hatte auch die freiheitliche Opposition
ein veritables Thema in dem Museumsstreit entdeckt; und die
architektonische Konkurrenz von Ortner und Ortner
antichambrierte mit Gegenmodellen. Einen Stararchitekten, der
beim Wettbewerb einst den Einreichtermin versäumt hatte,
konnten die Planer erst mit einer gerichtlichen Verfügung zum
Schweigen bringen.
Inzwischen hatten aber auch die
Wiener Stadtväter kalte Füße bekommen; gegen den erklärten
Willen des Kronen-Zeitung-Herren, so die verbreitete Ansicht,
sei jede Gemeindeverwaltung auf Dauer machtlos. Sie forcierten
daher die Idee, das gesamte Projekt zu „redimensionieren“.
Knirschend gaben Laurids und Manfred Ortner klein bei und
akzeptierten, dass ihnen ein Experte für die Restaurierung
historischen Gemäuers als Aufpasser beigestellt wurde.
In dem neuen Entwurf war der umfehdete Turm endgültig
gefallen und die Gebäudehöhen auf die Hälfte verringert
worden; stattdessen sollten nun die Baukörper drei Geschosse
tief in die Erde gerammt werden.
Die bedeutende
zeitgenössische Sammlung von Karlheinz Essl wurde wieder –
nicht nur wegen Platznot, sondern auch aus Rivalität mit dem
Schiele-Sammler Leopold, dessen Preziosen die Republik für ihr
Renommierprojekt erworben hatte – aus dem Museumsquartier
hinauskomplimentiert. Mittlerweile hat der Mäzen und Baumarkt-
Betreiber längst sein eigenes Museum in Klosterneuburg bei
Wien eröffnet.
Den grotesken Höhenpunkt der
Schildbürgereien bildete 1995 ein aufwändiger Feldversuch, bei
dem die neuen Gebäudehöhen mittels Gerüsten und Kränen am Ort
des Geschehens simuliert wurden. Jetzt frohlockte auch der
oberste Denkmalschützer der Republik: „Die Neubauten werden in
der Stadtsilhouette nicht sichtbar sein.“ Die bedingungslose
Kapitulation der Museumsplaner markierte allerdings noch lange
nicht das Ende der Erregung.
Während weiterhin eine
endlose Kette großer und kleiner Querelen die
unterschiedlichsten Gemüter in Wallung brachten, wurde die
„Kümmervariante“ (so Roland Rainer, der Doyen der
österreichischen Architekten) langsam ihrer Fertigstellung
entgegenbetoniert und eifrig die Werbetrommel gerührt.
Endlich, am Vorabend des festlichen
Eröffnungsmarathons, beschlossen die zerstrittenen Direktoren
der verschiedenen Teilinstitutionen, feierlich eine Phase der
Zärtlichkeit auszurufen. Einhellig beteuern sie, das gesamte
Museumsquartier sei ein work in progress. Das ist es, streng
genommen, seit Napoleon die Stadtbefestigung niederreißen
ließ; es fragt sich bloß, in welche Richtung der Fortschritt
führt. |
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