Sie waren hier : http://www.sueddeutsche.de/kultur/terminekritik/ausstellungen/14913/

     
   
     
28.06.2001    10:57
 
Wiener Museumsquartier
 
Lange Geschichte
 
Das Wiener Museumsquartier wird eröffnet: Seit gut zweihundert Jahren streitet man erbittert um das Gelände der ehemaligen Hofstallungen
JOACHIM RIEDL

 
 
   
   

 
Das Quartier von oben (dpa )
 
   
   
(SZ vom 28.06.2001)

Am Anfang war das Wort, und niemand in Wien, der gemütlichen Metropole der Vergesslichkeit, kann diesmal behaupten, er wäre nicht rechtzeitig vorgewarnt gewesen: „Absolut schockiert – Wahnsinn, was da passiert!“, so schrie es etwa am 30.September 1992 von den Kiosken. Schon vor vielen Jahren nämlich hatten die mächtigen und meinungsbildenden Boulevardgazetten das drohende Unheil in ihren Schlagzeilen ausgemalt. Es ist nun tatsächlich, wenn auch in anderem Sinn, zu jenem „Monster“ geworden, das die Groschenpresse bang heraufbeschworen hatte.

Von heute Abend an wird es mit einem pompösen, dreitägigen Festprogramm in Anwesenheit einer erlesenen Schar von Würdenträgern seiner künftigen Bestimmung geweiht. Das Wiener Museumsquartier strotzt von statistischen Superlativen (60000 Quadratmeter Gesamtfläche, 285 Millionen Mark Baukosten) und es vibriert mit stolzen Erwartungen: Jährlich 1,1 Millionen Besucher sollen auf dem weitläufigen Areal in schwärmerisches Staunen verfallen – ein Neuschwanstein der Kulturnation Österreich.
 
   
   
 
 
» Wortgewaltige Geschützbatterien wurden aufgefahren, böses Blut tränkte die urbane Brache, immer neue Kombatanten wurden ausgehoben und neue Aufwallungen mobilisiert. «
      
 
 
 
 
Seine Entstehungsgeschichte, ähnlich jener des Märchenschlosses im Königswinkel, ist allerdings eine landestypische Moritat. Wie kein anderes Bauvorhaben hat diese größte Baustelle der Nachkriegsrepublik die Polemiker des Alpenlandes herausgefordert und regelmäßig neue Entrüstungsstürme entfacht. Erst in einem 24 Jahre währenden Meinungskrieg konnte es erzwungen werden.

Wortgewaltige Geschützbatterien wurden aufgefahren, böses Blut tränkte die urbane Brache, immer neue Kombatanten wurden ausgehoben und neue Aufwallungen mobilisiert. Allen voran schoss die Kronen-Zeitung – die Dicke Berta im österreichischen Medienarsenal – das Projekt systematisch sturmreif. Mehrmals lag das Kulturareal noch vor dem ersten Spatenstich in Trümmern. Das Museumsquartier, nun zierlich „MQ“ etikettiert, gleicht in seinem gewaltigen Hunger nach Ideen, Plänen und Zukunftsperspektiven einem urzeitlichen Ungeheuer.

Im Verlauf der Jahre verschlang der Moloch vier Bauten- und vier Wissenschaftsminister, die zufolge der politischen Logik in Österreich für Bundesmuseen zuständig sind, drei Bürgermeister und ebenso viele Kulturdezernenten von Wien, drei Direktoren der Errichtergesellschaft, eine unüberschaubare Schar von Lokalpolitikern, Museumsleitern, Architekten, Experten, Konsulenten, Abkassierern, Bedenkenträger und Meinungstrommlern sowie eine unabschätzbare Zahl frommer Wünsche, selbstbewusster Absichtserklärungen und hochfahrender Zielvorstellungen.

Der Leseturm

Ein imposanter Turm hätte 67 Meter hoch zum Himmel ragen und wuchtige Gebäudekuben hätten aufgeschichtet werden sollen; oder es hätte in den ehemaligen Hofstallungen der Habsburger eine Shopping-City samt Freizeitpark, dann wieder ein Hotel- und Kongresskomplex, oder doch neuerlich Stellplätze für Fiakergäule, ein andermal besser aber eine Medienwelt, vielleicht auch die wichtigste österreichische Sammlung zeitgenössischer Kunst oder eine Großbibliothek, möglicherweise jedoch gleichfalls eine großzügige Plattform für Architekturdiskussionen in dem barocken Gemäuer Platz finden sollen.

Phasenweise wechselten die Nutzungsvarianten wöchentlich. Angeführt von einer Trachtenmodenhändlerin und einem Droschkenkutscher formierten sich erboste Bürger gegen dieses oder jenes. Ein Minister schwärmte von einem „Museum der Völker und Kulturen“, sein Kabinettskollege von einem „Jahrhundertwendemuseum“; eine Expertin forderte ein „Museum der Zukunft“, ihr Widerpart ein „Zentrum für zeitgenössische Kunst und Kultur“.

Kaum ein Quadratzentimeter des Spielraums zwischen all diesen musealen Vorstellungswelten blieb unbesetzt. Und fast jeder musste wieder geräumt werden. Einig war man sich lediglich, vor einer „Jahrhundertchance“ zu stehen, die der „kulturellen Manifestation der Republik“ dienen müsse. Doch in einem zerrissenen Land wächst so leicht nicht zusammen, was irgendwie zusammengehören soll.

Als nach jahrzehntelangem Vorgeplänkel das Kolossalprojekt der Architekten Laurids und Manfred Ortner 1990 von einer internationalen Jury nach einem zweistufigen Wettbewerb zum Sieger gekürt wurde, lag das Areal, auf dem dereinst das Museumsquartier erstehen sollte, bereits nahezu 200 Jahre lang im Visier der Baukünstler und Städteplaner.

Im Auftrag von Karl VI., dem Vater der mütterlichen Maria Theresia, hatte der Barockmeister Johann Bernhard Fischer von Erlach außerhalb der Stadtbefestigungen, jenseits des Glacis und am Rande der Vorstadt, sein letztes Projekt in Angriff genommen: Einen imperialen Marstall für 800 Rösser und 200 Kutschen. Die Vorderfront der gewaltigen Stallburg erstreckte sich über 353 Meter.

Als jedoch 1809, knapp ein Jahrhundert später, die aus Wien abrückenden, napoleonischen Besatzungstruppen die Mauern vor der kaiserlichen Hofburg schleiften, klaffte plötzlich eine urbane Lücke im Weichbild von Wien und führte erstmals die Notwendigkeit einer Erweiterung der in ihrem Kern mittelalterlichen Hauptstadt deutlich vor Augen.

Langsam setzte sich die Idee durch, auf dem brachliegenden Gelände ein imposantes „Kaiserforum“ zu gestalten, dessen westlichen Abschluss die Hofstallungen bilden würden. Es war ein zäher Prozess.

Schließlich wuchsen der Hofburg ein neuer Trakt und eine Triumphpforte zu, der weitläufige Heldenplatz wurde angelegt, Denkmäler wurden aufgepflanzt und zwei palastähnliche Museumsbauten für die naturkundlichen und kunsthistorischen Sammlungen der Habsburger errichtet. Kurz vor der Jahrhundertwende ging dem ehrgeizigen Bauvorhaben die Luft aus; es blieb unvollendet.

Babylonischer Kulturbezirk

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Marstall bereits weitgehend seine Bestimmung verloren und der funktionslose Koloss nährte fortan die Begehrlichkeit der ortsansässigen Architektenschaft. Zahllose Fantasieprojekte wurden entwickelt. Der umtriebige Otto Wagner etwa entwarf einen babylonischen Kulturbezirk, den er „Artibus“ taufte. Die Schüler des Oberbaurats erträumten monumentale Kathedralen mit neuer Kaisergruft oder auch ein gewaltiges „Sühnedenkmal“ für den Ersten Weltkrieg.

Auch den Nazis schwebte eine städtebauliche Großtat auf dem Areal des barocken Nutzbaues vor, in den zwischenzeitlich die Wiener Messe eingezogen war: eine „Wiener Walhalla“, in deren Zentrum zwei wehrhafte Museumsburgen den deutschen Kulturgedanken bewahren sollten.

Unbeeindruckt von den grandiosen Vorstellungen rotteten die alten Mauern langsam vor sich hin und wurden nur notdürftig für den gelegentlichen Messebetrieb adaptiert. Als 1977 erstmals in einer Parlamentsdebatte die Idee auftauchte, ein Zentrum für moderne Kunst zu errichten, war die Bausubstanz bereits ziemlich in Mitleidenschaft gezogen.

Zunächst dümpelte die Debatte in der für ihre Peymann-Schlachten berüchtigten Stadt noch vergleichsweise lustlos dahin. Erst als der auf imposante Wirkung bedachte Siegerentwurf der Brüder Ortner vorgestellt und die politischen Weichen für den Beginn des Bauvorhabens gestellt wurden, entflammte ein wütender Streit. Vor allem die Denkmalschützer liefen Sturm und drohten sogar mit dem Staatsanwalt.

Unterstützt wurden sie vor allem durch das publizistische Sperrfeuer der Kronen-Zeitung, die sich seit je um klein geistige Anliegen in Wien verdient gemacht hat. „Museumsquartier ist Tumor“, rebellierte nun das Boulevardblatt, „brutaler Klotz“, „Skandalbau“, „Monster“. Unter dem Pseudonym Aurelius warf sich der Herausgeber und Miteigentümer Hans Dichand, selbst Besitzer einer hochkarätigen Sammlung klassischer Moderne, höchstpersönlich in die Schlacht. „Eisige Ablehnung“ forderte er in seiner Kampagne ein. In seinem entschlossenen Widerstand dürfte der Zeitungszar wohl durch den Umstand bestärkt worden sein, dass er in einer frühen Planungsphase mit einem lukrativen Konsulentenvertrag (4,2 Millionen Mark) in das Projekt eingebunden war, jedoch bald wieder ausgebootet wurde.

Die Ansprüche der Sammler

Besonders um den „Leseturm“, der als weithin sichtbares Wahrzeichen des Kulturbezirks gedacht war, entbrannte ein erbitterter Streit. Unter dem jahrelangen publizistischen Dauerfeuer knickten selbst die entschlossensten Politiker langsam ein. Scheibchenweise wurden die Pläne verkleinert; ein Museumsgebäude schrumpfte um 20 Prozent seines Bauvolumens, von dem Symbol Leseturm wurden elf Meter gekappt. Indes, die aufgebrachten Gemüter waren nicht mehr zu beschwichtigen.

Mittlerweile hatte auch die freiheitliche Opposition ein veritables Thema in dem Museumsstreit entdeckt; und die architektonische Konkurrenz von Ortner und Ortner antichambrierte mit Gegenmodellen. Einen Stararchitekten, der beim Wettbewerb einst den Einreichtermin versäumt hatte, konnten die Planer erst mit einer gerichtlichen Verfügung zum Schweigen bringen.

Inzwischen hatten aber auch die Wiener Stadtväter kalte Füße bekommen; gegen den erklärten Willen des Kronen-Zeitung-Herren, so die verbreitete Ansicht, sei jede Gemeindeverwaltung auf Dauer machtlos. Sie forcierten daher die Idee, das gesamte Projekt zu „redimensionieren“. Knirschend gaben Laurids und Manfred Ortner klein bei und akzeptierten, dass ihnen ein Experte für die Restaurierung historischen Gemäuers als Aufpasser beigestellt wurde.

In dem neuen Entwurf war der umfehdete Turm endgültig gefallen und die Gebäudehöhen auf die Hälfte verringert worden; stattdessen sollten nun die Baukörper drei Geschosse tief in die Erde gerammt werden.

Die bedeutende zeitgenössische Sammlung von Karlheinz Essl wurde wieder – nicht nur wegen Platznot, sondern auch aus Rivalität mit dem Schiele-Sammler Leopold, dessen Preziosen die Republik für ihr Renommierprojekt erworben hatte – aus dem Museumsquartier hinauskomplimentiert. Mittlerweile hat der Mäzen und Baumarkt- Betreiber längst sein eigenes Museum in Klosterneuburg bei Wien eröffnet.

Den grotesken Höhenpunkt der Schildbürgereien bildete 1995 ein aufwändiger Feldversuch, bei dem die neuen Gebäudehöhen mittels Gerüsten und Kränen am Ort des Geschehens simuliert wurden. Jetzt frohlockte auch der oberste Denkmalschützer der Republik: „Die Neubauten werden in der Stadtsilhouette nicht sichtbar sein.“ Die bedingungslose Kapitulation der Museumsplaner markierte allerdings noch lange nicht das Ende der Erregung.

Während weiterhin eine endlose Kette großer und kleiner Querelen die unterschiedlichsten Gemüter in Wallung brachten, wurde die „Kümmervariante“ (so Roland Rainer, der Doyen der österreichischen Architekten) langsam ihrer Fertigstellung entgegenbetoniert und eifrig die Werbetrommel gerührt.

Endlich, am Vorabend des festlichen Eröffnungsmarathons, beschlossen die zerstrittenen Direktoren der verschiedenen Teilinstitutionen, feierlich eine Phase der Zärtlichkeit auszurufen. Einhellig beteuern sie, das gesamte Museumsquartier sei ein work in progress. Das ist es, streng genommen, seit Napoleon die Stadtbefestigung niederreißen ließ; es fragt sich bloß, in welche Richtung der Fortschritt führt.
   
 
 


© Süddeutsche Zeitung GmbH / SV Online GmbH.
Nachdruck, Aufnahme in Online-Dienste und ins Internet sowie
Vervielfältigung auf Datenträger nur mit vorhergegangener
schriftlicher Genehmigung der SV Online GmbH