Ein Erlebnispark für Kunst
Eröffnung des umstrittenen «Museumsquartiers» in Wien
Nach über drei Jahren Bauzeit wird in Wien einer der
weltgrössten Kulturbezirke eröffnet. Das Wiener Museumsquartier
reiht sich damit in die Liste ähnlicher Areale in New York, Paris,
Washington, London oder Los Angeles ein. Der Kampf um die
architektonische Signalwirkung des Projekts hat lange gedauert. Das
Ergebnis: ein Kompromiss.
Der Geltungsdrang der Kleingärtnerei hat gesiegt. Stramme
Buchsbaumhecken stehen vor der apricotfarbenen Fassade der barocken
Hofstallungen Johann Fischer von Erlachs, verräterische Botschafter
eines Grossereignisses. Nach 38 Monaten Bauzeit feiert Wien die
Eröffnung seines «Museumsquartiers», trägt sich würdig in die Liste
der weltgrössten Kunstbezirke ein und fordert das Ende der Querelen.
Streit und Zank haben in fast 30 Jahren ein Projekt begleitet, das
in der Auseinandersetzung zwischen Barock und Moderne zur
Machbarkeitsstudie des österreichischen Kunstwillens geworden ist.
Glorios oder gescheitert? Glorios gescheitert? Wer sich in Wien ein
Signal erhofft hatte, wird enttäuscht. Die Schlacht um Kubaturen ist
geschlagen. Jetzt stehen die neuen Bauten in einem drei Jahrhunderte
alten Ensemble und grüssen kaum merklich über den First ihres
wienerischen Schicksals.
Langwierige Entstehungsgeschichte
Weit zieht sich die historische Achse von der Wiener Hofburg, dem
Heldenplatz, dem Kunsthistorischen und dem Naturhistorischen Museum
hinauf in Richtung des siebten Bezirks. Der Anfang des
18. Jahrhunderts entstandene Nutzbau Fischer von Erlachs steht
als Riegel in einem Panorama, in dem auch schon die nächste
architektonische Etappe der Geschichte lauert: Ein Flakturm aus der
Zeit des Zweiten Weltkriegs überragt das Gelände, doch der hat
niemanden so sehr empört wie das, was als moderne Architektur für
neue Verhältnisse sorgen wollte. Seit den sechziger Jahren wurde
über eine neue Nutzung des Areals der ehemaligen Hofstallungen, in
der die Wiener Messe residierte, nachgedacht. Ihr abgewohnter Charme
hat seither die Begehrlichkeit der Politik und des Geschäftssinns
entfacht. Über 20 Jahre hat der Kampf um die endgültige Nutzung
gedauert. Ein Hotel sollte entstehen, ein Shopping-Center, ein
Museum für «Völker und Kulturen» oder ein «Museum der Zukunft». 1986
wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, dessen Ergebnis sich letztlich
bis 1990 verzögert hat. Das Architektenduo Laurids und Manfred
Ortner gewinnt mit einem Projekt, das als Kontrast zur historischen
Bausubstanz ein Signal moderner Architektur setzen wollte. Ein
Leseturm mit einer Höhe von achtundsechzig Metern hätte die barocke
Front der Hofstallungen weit überragt und damit wohl auch die
Innenmasse der Toleranz eines österreichischen Kleinformats.
Gemeinsam mit einer Bürgerinitiative wird der Leseturm schliesslich
1995 zu Fall gebracht. Auch die Kubaturen der übrigen Gebäude werden
nach und nach verkleinert. Ein quälend langer Prozess der
Selbstfindung war notwendig, um festzustellen, dass Wien sich immer
noch ähnlich ist.
Versackt im Humus einer öffentlichen Meinung aus
Monopol-Boulevard und willfähriger Stadtpolitik stehen die beiden
wichtigsten Gebäude, das Haus der Sammlung Leopold und das Museum
moderner Kunst, jetzt da. So als wären sie Architektur gewordener
Ausdruck einer Gemütslage. Gedrückt und trotzig zugleich, stecken
die beiden Bauten tief in der Erde. Unterirdisch müssen sie sich
jenen Raum holen, der zuvor über die historische Bausubstanz
triumphiert hätte.
Diese unerwünschten Nebenwirkungen haben jetzt mit den durchaus
erwünschten zu konkurrieren. Ortner & Ortner haben mit den
Bauten des Museumsquartiers eine Architektur geschaffen, die so
glatt und tadellos funktioniert wie ihr symbolischer Anspruch. Das
Museum moderner Kunst Sammlung Ludwig, das sich jetzt «Mumok» nennt,
will ein «Generator» sein, der finstere Ort einer brodelnden Kunst,
der mit der schwarzen Basaltlava seiner Fassade kongenial bedient
ist. Das mit weissem Donaumuschelkalk verkleidete Leopold-Museum
soll sein lichtes Gegenteil darstellen. Dort, wo ab Herbst die
Sammlung des Wiener Augenarztes Rudolf Leopold mit ihren Klimts,
Schieles und Kokoschkas zu sehen sein wird, herrscht die noble Ruhe
entspannter Bürgerlichkeit. Die neue Kunsthalle wiederum spiegelt
eifrig das «work in progress» der modernen Kunst. Als Imitat einer
Fabrikshalle tauchen die roten Klinker ihres backsteinernen Seins
dort auf, wo gerade noch Platz war: hinter der ehemaligen
Winterreithalle aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese wurde
vom Architekten Manfred Wehdorn, der für die Renovierung der alten
Bausubstanz zuständig war, so detailgetreu renoviert, dass sie wirkt
wie ein Zitat ihrer selbst. Die Kunsthalle dahinter ist nur von
einem höheren Niveau aus zu sehen, und auch die beiden Museen lassen
sich kaum auf dieses Symbol neobarocker Beharrlichkeit beziehen.
Auf dem weiten Platz im Inneren des Fischer- von-Erlach-Baus
stehen die leicht gegeneinander gedrehten Gebäude da in einer
seltsam unorganischen Kumpanei, die sich auch in einer inneren
Verbindung nicht wirklich erklärt. Die Winterreithalle wird als
Foyer für zwei Veranstaltungssäle und die Kunsthalle genützt. Glas
und Stahl liefern sich mit den Stuckaturen der Winterreithalle ein
Gefecht, das bestenfalls unentschieden endet. Klarer ist dagegen die
Innengestaltung der neuen Kunsthalle. Als fensterloser nüchterner
Raum, über den sich ein Tonnengewölbe spannt, soll sie eine «hands
on»-Ästhetik präsentieren.
Architektonische Symbolik
Konsequent haben Ortner & Ortner die Symbolik ihrer Bauten
auch im Innenraum fortgesetzt. Die Sammlung Leopold ordnet ihre
Ausstellungsräume flügelartig um ein hohes Atrium an, dessen
Tageslicht auf die klaren Muschelkalkwände im Inneren fällt und auf
Eichenparkett, das noch einmal jene Gemütlichkeit betont, in der
Leopold auch gerne die Wände des Museums mit Stoff bespannt hätte.
Am eindrücklichsten ist wohl das Museum moderner Kunst ausgefallen,
dessen schwermütige, vertikal durchbrochene Fassade aus Basaltlava
noch durch abgeschrägte Dachkanten betont wird. Je nach Licht und
Witterung ändert sich die Farbe dieses schroffen Kubus, der auch
innen so wenig Kompromisse macht, dass die Frage, ob das Museum auch
praktikabel genützt werden kann, sich erst im Herbst entscheiden
wird. Denn dann wird das «Mumok» eröffnet. Eine Eingangshalle, die
hoch nach oben gezogen, von gusseisernen Plattformen und einem
gläsernen Lift beherrscht wird, ist der zentrale Ort, von dem aus
sich die flachen Ebenen verteilen. Bis tief unter die Erde reicht
der Bau, der die künstlerische Avantgarde vor 1945 präsentieren
wird, Pop-Art, Fluxus, Aktions- und Installationskunst bis herauf in
die neunziger Jahre. Im grössten Saal allerdings müssen diese
Hervorbringungen neuerer Art erst gegen das Panorama des Gestern
ankämpfen: Ein Fenster öffnet den Blick auf die imperiale Pracht
Wiens und schliesst den Bogen hin zu jener subtilen Gefährdung des
Neuen durch das Alte, der sich auch die Architekten Ortner &
Ortner willig geschlagen geben.
In eine neopittoreske Sammlung aus Ausstattungsarchitektur haben
Ortner & Ortner all das investiert, was sie sich bei den
nüchternen Bauten versagen mussten. Eine unsägliche Apotheose des
Vorstadt-Gartenzauns zieht sich als Geländer und Lift-Verkleidung
durchs Areal, Stahlgitter-Brücken werden im hinteren Teil des
Museumsquartiers über Gässchen geschlagen, die für Laurids Ortner
erst recht so etwas wie ein «Quartier» andeuten. Ein Städtchen en
miniature, in dem man sich unverständlicherweise nicht mit
Möblierung zurückgehalten hat: Barock-Kandelaber, wuchtige Tröge für
den Baumbestand, ein Wasserbecken, Steinquader als Sitzbänke und
viel Glas und Klinker zieren das Museumsquartier, das neben seinem
architektonischen Auftrag ein anderes Erfordernis vielleicht sogar
besser erfüllt: Als neues urbanes Zentrum Wiens wird das
Museumsquartier zum Erlebnispark für Kunst und Gastronomie werden.
Acht Kaffeehäuser und Restaurants sollen den einst morbiden Ort
beleben. Insgesamt 20 kulturelle Einrichtungen, Künstlerateliers,
Zentren für Neue Medien und für Architektur, Veranstaltungsorte für
neue Kunst, ein Kindermuseum und das lang erhoffte Tanzquartier
sollen hier bis zum Herbst eröffnet werden. Schon versucht man der
Kritik an der Architektur mit dem Verweis auf die Nutzanwendungen
den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese sind ohne Zweifel enorm,
und in diesem Bewusstsein wird das 60 000 Quadratmeter
umfassende neue Museumsquartier auch in einem bis morgen Samstag
dauernden Spektakel eröffnet. Man wird sich feiern lassen und eine
triumphale Wiederkehr des Leseturms fordern. Die Chancen stehen
eindeutig besser als bei der ersten Präsentation 1987.
Paul Jandl