Zuerst denkt man: typisch. Da wird eine Kunstrichtung wie die Street Art langsam in Wien heimisch, und dann ist dafür doch wieder kein Österreicher verantwortlich. Zumindest nicht in erster Linie. Da muss doch wieder jemand aus dem Ausland in die Stadt kommen und feststellen, dass sich auf diesem Gebiet noch zu wenig tut.
So ist es vor einigen Jahren Nick Platzer gegangen, dem amerikanischen Filmstudenten, den es nach Europa zog und der dann (auch wegen des hier stationierten Vaters) in Wien haltmachte und bis heute blieb. 2006 eröffnete er die kleine Galerie INOPERAbLE in der Lindengasse, seit dem Vorjahr hat er mit der Kunstgeschichtestudentin Nathalie Halgand eine Partnerin (aus Österreich!), und die Galerie hat seit Herbst in der Burggasse einen neuen, größeren Standort. Die beiden stellen im Monatsrhythmus vorwiegend Graffitikünstler aus. Der Schwerpunkt liegt also auf gesprayten Werken oder Arbeiten mit Schablonen, Kunst, die von der Straße kommt. Wobei auch Fotokunst, Buttons oder T-Shirts „erlaubt“ sind.
Billige Werke, unsicherer Wert. Da Österreich nicht unbedingt
einen prestigeträchtigen „Street-Art-Ruf“ hat, greifen die beiden
vorwiegend zu ausländischen Künstlern. Die lernen sie auf ihren Reisen
durch die ganze Welt oder bei Besuchen befreundeter Galerien in London,
Paris und Berlin kennen. „In diesen Städten gibt es an jeder Ecke eine
Street-Art-Galerie“, sagt Nick Platzer. Allerdings habe er den
Eindruck, dass mitunter Sammler leer stehende Lokale für kurze Zeit
anmieten, ihre Sammlung verkaufen und wieder zusperren würden. Ein
Phänomen der Krise? Vielleicht. Dabei würde man die Krise in der Street
Art mitunter weniger spüren als in anderen Kunstbereichen. Denn manche
Werke sind durchaus (noch) billig zu erstehen. „Dafür lässt sich auch
schwer sagen, wie sie sich wertmäßig entwickeln.“ Weshalb Kunst von der
Straße selten als Wertanlage gesehen wird. „Leute, die bei uns kaufen,
kaufen nicht, weil sie in Kunst investieren wollen, sondern weil es
ihnen gefällt“, sagt Halgand. So seien ihre regelmäßigsten Besucher
etwa Schulklassen. „Jedes Kind kann sich hier etwas leisten, einen
Button, ein T-Shirt oder einen Sticker.“
Und manche Künstler haben selbst schon im Kindesalter zu sprayen begonnen. Wie der 19-jährige Australier Shida, der derzeit durch Europa reist und seit Freitag seine Werke bei INOPERAbLE zeigt. Er arbeitet mit kleinen Schablonen, mit denen er Spitzen und Zacken formt. Seine Figuren nehmen Anleihen an der Maori-Kunst, erinnern an Totempfähle und martialische Kriegsfiguren.
Weltbekannt sind die ausgestellten Künstler natürlich noch nicht. Ein Banksy etwa ist in der Galerie nicht zu bekommen. Der zur Zeit gefragteste Graffitikünstler aus England, der wie viele andere Street Artists strengstens die Identität verheimlicht – was erst unlängst Prinz William bei einem Museumsbesuch zum Scherz „Ich bin Banksy“ veranlasste –, erzielt bei Versteigerungen Summen im sechsstelligen Eurobereich. Bei einer Auktion zeitgenössischer Kunst im Dorotheum wurde eines seiner Werke um 191.000 Euro verkauft. „Street Art ist mittlerweile ein fixer, wenn auch kleiner Bestandteil von Auktionen zeitgenössischer Kunst“, sagt Patricia Pálffy, Expertin für Zeitgenössische Kunst im Dorotheum.
Die Stadt als grenzenlose Galerie. Von treuen
Street-Art-Sammlern, die interessiert an den ausgestellten Werken sind,
träumen auch die beiden Galeriebesitzer von INOPERAbLE. So wie man sie
etwa auf der Art Basel sieht, wo sich in den vergangenen Jahren gezeigt
hätte, dass Street Art zu einem immer größer werdenden unverzichtbaren
Teil werde. Aber gut, die Szene ist auf beiden Seiten, der
künstlerischen und der sammelnden, klein. Was auch Vorteile hat, wie
Nathalie Halgand erklärt. „Viele Künstler schätzen die Tatsache, dass
Wien noch nicht so überlaufen ist. Man wird hier nicht so stark
beobachtet. Die Stadt ist ziemlich relaxed.“ In New York und Berlin
hätten die Künstler „viel mehr attitude“, viel mehr Haltung, die sie
einnehme, meint Nick Platzer.
Wien hätte genügend „Halls of Fame“, also Wände, auf denen legal gesprayt werden darf. Wobei das nicht nur von Vorteil ist. Denn bei einem Werk auf einer „Hall of Fame“ weiß man, dass es schnell wieder weg, also übersprayt, sein kann. Bei illegalen, versteckten Plätzen hält das Kunstwerk meistens länger an. Echte Fans gehen auf die Suche nach Werken in der grenzenlosen Galerie namens Stadt.