Geschlechterfragen und Identitätskonstruktionen im Wiener Museum auf Abruf
Irritierende Kunstgeschichte
Sabine Marte, Still aus Helen A/B + das Meer, 2006
Andy Warhol
antwortete auf die Frage nach der Definition von Kunst: „Art? Isn’t
that a man’s name?“ Mit seiner ironischen Gegenfrage verwies der
amerikanische Pop Art-Klassiker auf ein kunsthistorisches Phänomen.
Denn Begriffe wie Künstler, Genie und Kreativität sind
geschlechtsspezifisch und in ihrer Grundbedeutung männlich konnotiert.
Ausstellungen, die dazu anregen, Geschlechterfragen in vielfältiger
Weise zu überdenken, haben in den vergangenen Jahren immer wieder dazu
beigetragen, fest verankerte Zuschreibungen, wie beispielsweise das
Geniale als vorherrschende künstlerische Ausdrucksform, die allein
Männern vorbehalten bleibt, ins Wanken zu bringen. Im Übrigen wird die
vielgesichtige Thematik der Geschlechterfrage längst nicht mehr allein
von Künstlerinnen diskutiert. Derzeit bildet die Strukturierung von
Kunst durch die Geschlechterdifferenz aus der Sicht von Künstlerinnen
und ihren männlichen Kollegen den Ausgangspunkt für eine sehenswerte
Ausstellung, die noch bis zum 7. Juni im Wiener Museum auf Abruf zu
sehen ist.
Das Museum auf Abruf (MUSA) geht zurück auf die
Sammlung für zeitgenössische Kunst der Stadt Wien und eine 1991 von
Wolfgang Hilger kuratierte Ausstellung in der Volkshalle des Wiener
Rathauses. Das MUSA war als flexibles Ausstellungskonzept geplant, das
an jedem beliebigen Ort präsentiert werden konnte und jederzeit „auf
Abruf“ bereit stand. Als Präsentationen kaum bekannter Kunst aus
Österreich konzipiert, zeigt sich beim Durchblättern der
Teilnehmerverzeichnisse, dass viele der damals Unbekannten Karriere
machten und einige zu den heute auch international durchgesetzten
Kunstschaffenden zählen.
In der Ausstellung mit dem langen Titel „Matrix – Geschlechter |
Verhältnisse | Revisionen“ werden anhand der aus der Sammlung
ausgewählten Kunstwerke von rund 40 Künstlerinnen und Künstlern Aspekte
der Geschlechterkonstruktionen und die damit in Verbindung stehenden
alltäglich erlebten Verhältnisse einer Revision unterzogen. Kuratiert
von den beiden Kunsthistorikerinnen Sabine Mostegl und Gudrun
Ratzinger, zeigt die Schau Werke, die Fragen zum Thema geschlechtliche
Identität und Anders-Sein aufwerfen.
Die Exponate beschreiben historisch einen Bogen von den späten 1960er
Jahren bis in die Gegenwart. Beginnend mit einem der ersten Ankäufe zum
Thema, der „Aktionshose Genitalpanik“ des Jahres 1969 von Valie Export,
präsentiert die Ausstellung eine Reihe von Künstlerinnen, die sich in
ihren Werken selbst inszenieren. Exemplarisch führen Renate Bertlmann
mit ihrer Installation „Wurfmesserbraut“ von 1978 und Lotte Hendrich-Hassmann mit „Lebenslauf“ von 1976 vor, wie gesellschaftliche Normen den Körper beschädigen.
Bilder zu Sexualität und Geschlechtlichkeit, wie die Rollenbilder von Christa Biedermann,
entziehen sich einer eindeutigen Lesbarkeit. Die Künstlerin schlüpft in
ihrer zwischen 1985 und 1987 entstandenen sechsteiligen Fotoserie in
jeweils gespiegelte Rollen von Männern und Frauen. Indem sie sich der
Divergenz von Weiblichem und Männlichem verweigert, erweitert sie die
Möglichkeiten, Geschlechterverhältnisse zu denken, und macht die
Brüchigkeit solcher Zuschreibungen sichtbar.
Carola Dertnig erinnert in ihrer Arbeit „Lora Sana“ von 2005 an die
ausgeblendete Bedeutung der Performerinnen und Künstlerinnen im Rahmen
des Wiener Aktionismus. Dertnig gibt einen Rückblick aus der
Perspektive der Kunstfigur „Lora Sana“, einer über drei Jahrzehnte
verdrängten Wiener Aktionistin. In einem Text, basierend auf realen
Interviews mit Akteurinnen des Wiener Aktionismus, kommt Lora zur
Sprache und ruft ihre vergessene Autorschaft in Erinnerung. In einer
Serie von überarbeiteten Dokumentationsfotografien aus dem Archiv des
Wiener Aktionismus tritt sie aus der den anonymen Körpern der Modelle
eingeschriebenen Geschichte hervor. Reproduziert, collagiert und
übermalt, dienen die fotografischen Dokumente und Bildinszenierungen
unter anderem von Rudolf Schwarzkogler, Günter Brus und Otto Muehl als
Folie für die Neuschreibung einer bereits kanonisierten Geschichte.
Auch viele andere Künstlerinnen verwenden Manipulationen, um
irritierende Bildfindungen zu erreichen. Ingeborg G. Pluhar nutzt die
Collage, wenn sie in ihrer 1972 bis 1974 entstandenen Serie „Illusters“
Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs zu neuen Zusammenhängen
arrangiert. Transferiert in einen anderen, oft narrativen Kontext
erhalten die Dinge eine neue Funktion und Bedeutung, wenn
beispielsweise eine Anhäufung von Lippenstiften zu Flüssigkeit wird,
die aus einem Wasserhahn tropft, oder aus zwei Frauentorsi eine
begehbare Landschaft am Meer.
Markus Schinwalds Überarbeitung eines Stichs aus dem 19ten Jahrhundert,
widmet sich jener Institution, die Disziplinierung im Sinne einer
zurichtenden Kultivierung des Männerkörpers exerzierte: dem Militär.
Mittels minimaler Korrekturen, Prothesen, die von den Soldaten wie
Schmuckstücke getragen werden, fetischisiert und feminisiert Schinwald
deren Körper und verwandelt den Männerbund in eine zärtliche,
homoerotische Versammlung.
Die Ausstellung ermöglicht anhand exemplarischer Positionen, Einblicke
ein breites Feld der künstlerischen Auseinandersetzung mit der
Kategorie Geschlecht und macht deutlich, dass Identitätskonstruktionen,
über die Geschlechterfrage hinaus, mit dem Einhalten oder Überschreiten
sozialer Normen zusammenhängen. Sexuelle Orientierung spielt dabei
ebenso eine Rolle, wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse
oder die politischen Verhältnisse – eben die ganze „Matrix“ miteinander
verwobener Genres.
Die Ausstellung „Matrix – Geschlechter | Verhältnisse | Revisionen“ ist
bis zum 7. Juni zu sehen. Das MUSA hat bei freiem Eintritt täglich
außer sonntags und montags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags zusätzlich
bis 20 Uhr, und samstags nur bis 16 Uhr geöffnet. Der
ausstellungsbegleitende Katalog ist im Springer Verlag erschienen und
kostet 24,95 Euro.